# taz.de -- Filmfestival Cannes: Der Zahnarztbohrer tief im Mund | |
> Takeshi Kitano kehrt zum Yakuza-Film zurück. Xavier Beauvois widmet sich | |
> Mönchen, die in Algerien ermordet wurden. | |
Bild: Im seinem neuesten Werk versteinert und stoisch, auf dem Teppich von Cann… | |
Takeshi Kitano kehrt zum Genre des Yakuza-Films zurück. "Outrage", sein | |
Beitrag zum Wettbewerb, erzählt von der blutigen Umstrukturierung eines | |
Clans. Davon, wie sich die Mitglieder immer tiefer in den Intrigen | |
verstricken, die sie selbst geplant haben. Und davon, wie althergebrachte | |
Ehrencodes umso rascher an Bedeutung verlieren, je mehr neue | |
Geschäftsfelder sich für das organisierte Verbrechen auftun. Den | |
Protagonisten Otomo gibt Kitano mit versteinertem Gesicht und jener | |
stoischen Haltung, die man aus Filmen wie "Sonatine" oder "Brother" kennt. | |
"Outrage" geizt nicht mit Schockeffekten. Ein Teppichmesser trennt einen | |
kleinen Finger von der Hand. Der Bohrer des Zahnarztes fährt tief in den | |
Mund des verfeindeten Clanchefs. Essstäbchen schieben sich in ein Ohr, und | |
im Kugelhagel stehen die Gangster aufrecht, ohne Deckung zu suchen. All das | |
geschieht mal offscreen, mal onscreen und wird mit jenem trockenen, | |
unerschrockenen Blick registriert, für den Kitanos Filme bekannt sind. Aus | |
dem Kontrast von maßloser Gewalt und großer Ungerührtheit bezieht "Outrage" | |
zwar einerseits seinen Witz, andererseits will Kitano den Fatalismus, der | |
seiner Geschichte innewohnt, durchaus ernst nehmen. Das ist weder ein Novum | |
in seinem Oeuvre, noch will es ihm hier recht glücken. | |
Viel ernster zu nehmen ist Xavier Beauvois Wettbewerbsbeitrag "Des hommes | |
et des dieux" ("Von Männern und Göttern"). Auch er handelt von Männern, die | |
dem Tod ins Auge sehen - mit dem Unterschied, dass der Film sich nicht im | |
artifiziellen Raum des Genres bewegt, sondern auf einen tatsächlichen Fall | |
zurückgeht. Im März 1996 werden im algerischen Atlas-Gebirge sieben | |
französische Mönche entführt, im Mai werden ihre Köpfe gefunden. Die Groupe | |
Islamiste Armee (GIA) bekennt sich zwar zu dem Verbrechen, ihre Täterschaft | |
gilt heute allerdings als nicht zweifelsfrei bewiesen. | |
Beauvois entwirft ein ruhiges Bild der klösterlichen Routinen. Er schaut | |
den Mönchen bei Gartenarbeit und Gebet zu, folgt ihnen auf den Wochenmarkt, | |
nimmt sich Zeit für die Dorfbewohner, die die Sprechstunde des Arztes, des | |
Bruders Luc (Michael Lonsdale), aufsuchen. Die Kamera - Caroline Champetier | |
führt sie - bewegt sich langsam, oft erfasst sie die Weite der Landschaft, | |
die Hügel, Felder und Felsen in der Ferne. Beauvois nimmt den Glauben und | |
die Spiritualität der Figuren ernst. "Des hommes et des dieux" bezweifelt | |
in keiner Szene, dass die Mönche im Einklang mit Gott, sich selbst und | |
ihrer Umwelt leben. | |
Eines Tages wird eine Baustelle in der Nähe des Klosters überfallen, | |
kroatische Bauarbeiter werden umgebracht, die Täter sind religiöse | |
Fundamentalisten. Von diesem Augenblick an sind die Mönche unter Druck. Das | |
Militär und der Bezirksvorsteher wollen, dass sie fortgehen, könnten sie | |
doch als Geiseln genommen werden. Die Dorfbewohner wollen, dass sie | |
bleiben, weil ihre Anwesenheit Schutz verspricht. Die Mönche sind hin- und | |
hergerissen, und bald ist nicht mehr zu erkennen, auf wen in dieser | |
Situation Verlass ist, da das Militär seine Macht missbraucht. | |
Trotz der sich zuspitzenden Lage bleibt Beauvois seinem ruhigen, | |
beobachtenden Stil treu. Nur selten erlaubt er sich eine aufgeladene Szene, | |
einmal etwa hören die Mönche beim Abendessen "Schwanensee" von | |
Tschaikowski, die Musik schwillt an, sie lachen, sie weinen, immer näher | |
rückt die Kamera an ihre gerührten Gesichter. Ein anderes Mal singen sie | |
gegen einen Hubschrauber an, der über dem Kloster kreist und aus dem der | |
Lauf eines Maschinengewehrs ragt. | |
Beauvois Entscheidung, sich auf die Seite der Mönche zu stellen, birgt | |
Probleme. Die algerischen Soldaten und Provinzpolitiker haben etwas | |
Korruptes und Brutales, den Fundamentalisten wird nur für Augenblicke etwas | |
anderes als Schurkenhaftigkeit zugestanden. Wer mit postkolonialer Theorie | |
vertraut ist, wird sich daran stoßen, wer dem Katholizismus mit Skepsis | |
begegnet, an anderen Dingen. Das ändert nichts an den Stärken des Films. In | |
der letzten Einstellung wandern die Mönche durch die Berglandschaft, es ist | |
Winter. Ihr Weg führt über eine Wiese, die Kamera bleibt stehen, sie | |
stapfen in die Bildtiefe hinein, bis sie im diffusen Weißgrau der | |
Schneelandschaft verschwunden sind. | |
19 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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