# taz.de -- Filmfestival Cannes: "Man sitzt immer am falschen Tisch" | |
> Ein Interview-Termin auf einer Yacht: Christoph Hochhäusler erzählt | |
> davon, dass man auch als Regisseur Probleme hat, in Cannes die | |
> gewünschten Leute kennenzulernen. | |
Bild: Dinnierte mit "absurder Starpower": Regisseur Christoph Hochhäusler. | |
Samstagnachmittag auf der Yacht, die Arte für die Zeit des Festivals | |
gemietet hat. Eine der Hostessen saugt Staub, es regnet. "Unter dir die | |
Stadt" läuft gerade zum zweiten Mal an diesem Tag ein paar Schritte | |
entfernt in der Salle Debussy. Der Film erzählt von einer Amour fou im | |
Milieu der Banker, er tut dies sehr verdichtet und absichtsvoll | |
artifiziell. Manchmal verrätselt er sich, manchmal wirkt er ein wenig zu | |
gesetzt. Christoph Hochhäusler gibt Interviews im 15-Minuten-Takt. Gerade | |
ist er etwas nass geworden, da er fürs Fernsehen auf dem Deck der Yacht | |
Rede und Antwort stehen musste. | |
taz: Herr Hochhäusler, vor fünf Jahren waren Sie mit "Falscher Bekenner" in | |
Cannes, in diesem Jahr mit "Unter dir die Stadt". Wie ist es, einen Film | |
hier zu zeigen? | |
Christoph Hochhäusler: Erst mal ist es ein großes Kompliment, weil man | |
weiß, dass die Auswahl in Cannes stärker als bei anderen Festivals von | |
Cinephilen getroffen wird, von Leuten, die wissen wollen, was gerade state | |
of the art im Kino ist und wohin sich das Kino bewegt. Das ist das eine. | |
Und dann gibt es die Realität des Festivals, die eher anstrengend ist. Die | |
Berlinale ist ein Publikumsfestival, das ist hier anders. Man hat mit | |
vielen gestressten, ungeduldigen Leuten zu tun. Und man selbst hat auch | |
einen recht vollen Terminplan. | |
Was machen Sie denn, wenn Sie nicht gerade Ihren Film im Kino präsentieren? | |
Ich gebe Interviews und nehme offizielle Termine wahr, die wichtig sind, | |
weil Geldgeber von uns beteiligt sind oder weil das Festival uns einlädt. | |
Zum Beispiel? | |
Gestern war ich auf einem Diner, das absurde Starpower versammelt hatte. | |
Gilles Jacob hat uns eingeladen. Es waren da: Alain Delon, Claudia | |
Cardinale, George Lucas, Martin Scorsese, Benicio Del Toro, Matthieu | |
Amalric und so weiter. Großartige Leute, die man alle gern mal kennen | |
lernen würde. Man lernt sie natürlich nicht wirklich kennen, weil man | |
Platzkarten hat. | |
Man sitzt immer an einem anderen Tisch … | |
Genau. Am falschen Tisch, immer. Aber immerhin: Man hat sie mal gesehen und | |
hat Ankedoten zu bieten. | |
Welche Auswirkungen hat denn die Teilnahme hier für die Rezeption in | |
Deutschland? | |
Es ist ambivalent. In jedem Fall bringt es künstlerisches Prestige, und das | |
strahlt auch nach Deutschland. Ob es wirklich die Arbeitsbedingungen | |
verbessert, kann ich schwer sagen. Auf jeden Fall ändert sich nichts über | |
Nacht. Es ist eher so, dass die Reputation zunimmt, und die nutzt einem | |
dann, keine Frage. | |
Und an der Kinokasse? | |
So wie ich das deutsche Publikum kennen gelernt habe, hat es andere | |
Kriterien. Es achtet nicht darauf, welche Preise ein Film auf welchen | |
Festivals gewonnen hat. Die Deutschen gehen der Inhalte wegen ins Kino, in | |
Frankreich ist es anders. Hier ist die Wahrnehmung sehr hysterisch, was | |
Cannes betrifft. Daher gibt es ja auch die Hohepriester der Cinephilie - | |
wenn die Weihrauch über einem Film verteilen, dann muss die ganze | |
kulturelle Elite diesen Film gesehen haben. | |
In Ihrem Blog haben Sie kürzlich geschrieben: Filme wollen zwei, drei | |
Helden haben und deren Geschichten erzählen, Filme tun sich deshalb schwer, | |
ein System, konkret: das Finanzsystem, darzustellen. An Oliver Stones "Wall | |
Street: Money Never Sleeps" lässt sich dieses Problem erkennen. Wie sind | |
Sie damit umgegangen? | |
Ich habe darüber viel mit meinem Ko-Autor Ulrich Peltzer gesprochen. Wir | |
wussten von Anfang an, dass wir einen Film machen wollten, der über die | |
private Geschichte hinausgeht. Wir waren nicht in der Lage, eine Form zu | |
finden, in der mehr als eine Handvoll Hauptfiguren erzählt werden können. | |
Also haben wir versucht, Metaphern zu finden, die Figuren künstlicher zu | |
machen, zu Stellvertretern von größeren Zusammenhängen. Es ist ja kein | |
realistischer Film, eher ein Märchen, mit dem man dann Aspekte dieser | |
Bankenwelt oder auch der Finanzkrise diskutieren kann. | |
Können Sie das konkretisieren? | |
Eines der Dinge, die diese Industrie ausmachen, ist, dass sie voller | |
unzuverlässiger Erzählungen ist. Die Karrieren und der Wettbewerb innerhalb | |
der Firmen und das Verhältnis zum Kunden sind von so vielen Codes umstellt, | |
dass sich eigentlich niemand auf den anderen verlassen kann. Und dieses | |
Prinzip der unzuverlässigen Erzählung - jeder erzählt eine | |
Heldengeschichte, die nicht wahr sein kann -, das haben wir ins | |
Individuelle geholt. | |
17 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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