# taz.de -- Nazimode umgedreht: Freiwillig komisch | |
> Das T-Shirt-Label Storch Heinar veralbert Nazimode und benutzt dafür | |
> deren eigene Symbole. Mediatex, der Betreiber vom Original "Thor | |
> Steinar", hat dagegen geklagt. | |
Bild: Der Web-Shop "Storch Heinar" vertreibt seit 2008 T-Shirts mit veralberten… | |
Ein kleiner, missratener Storch mit Seitenscheitel, Hitlerbärtchen und | |
schwerer Kindheit will die Mode-Weltherrschaft an sich reißen und den | |
Fashion Victims zeigen, wo der Frosch die Locken hat: Storch Heinar. Der | |
gleichnamige Web-Shop vertreibt seit Dezember 2008 Textilien mit | |
Storchenwappen im Kampf gegen Rechtsextremismus. Die Betreiberfirma der | |
Marke "Thor Steinar", die Mediatex GmbH, findet das nicht lustig. Sie klagt | |
gegen den Projektleiter, den mecklenburgischen SPD-Landtagsabgeordneten | |
Mathias Brodkorb, wegen Verletzung und Verunglimpfung ihrer Marke. | |
In seinem Büro im Schweriner Schloss trägt Mathias Brodkorb kein | |
Storchen-Shirt, stattdessen Anzug und Hemd. "Im Parlament wären die | |
T-Shirts vermutlich verboten", sagt der 33-Jährige. Ausprobiert hat er es | |
noch nicht. Das Tragen von Thor-Steinar-T-Shirts ist verboten. | |
Das Projekt "Storch Heinar" ist für Mathias Brodkorb das Spaßtüpfelchen in | |
der Auseinandersetzung mit rechts. Seit die NPD 2006 in den Landtag von | |
Mecklenburg-Vorpommern einzog, dokumentieren, analysieren und kommentieren | |
Mathias Brodkorb und seine Kollegen akribisch die Arbeit der sechs | |
Abgeordneten. | |
Nach zwei Jahren war die Zeit reif für Satire. Den Ausschlag gab die | |
Eröffnung eines Klamottenladens in der Rostocker Innenstadt, der Marken wie | |
Thor Steinar verkaufte, die in der rechten Szene beliebt sind. Während die | |
Rostocker demonstrierten, eröffnete der NPD-Abgeordnete Birger Lüssow | |
demonstrativ sein Wahlkreisbüro im selben Gebäude. | |
"Endstation Rechts", das Informationsportal über Nazis und die | |
NPD-Fraktionen in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, | |
wollte etwas tun. "Was liegt näher, als ein eigenes Modelabel zu machen", | |
sagt Mathias Brodkorb. Schließlich soll die Auseinandersetzung mit | |
Rechtsextremismus auch Spaß machen. | |
In einer Rotweinrunde entstand als Grundidee die Geschichte um den | |
modeverrückten Führerstorch, dem sein geliebtes, heiliges, einziges Ei | |
geklaut wird und der deshalb in den Krieg zieht. "Wir waren nicht | |
betrunken", betont Brodkorb. | |
Inzwischen ist der Klamottenladen in Rostock dicht – der [1][T-Shirtshop] | |
im Netz nicht. Fünf Leute teilen sich die ehrenamtliche Arbeit. Als Quelle | |
für immer neue Motive dient die rechte Szene selbst. Als etwa der | |
NPD-Abgeordnete Birger Lüssow in einer Landtagsrede vom "großen Dichter | |
Franz Grillpanzer" sprach, war das die Vorlage für das Grillpanzer-Shirt: | |
ein Stehgrill mit integriertem Kanonenrohr. | |
Rechte Symbole werden neu besetzt | |
"Unfreiwillig komisch" findet Brodkorb diese "lächerlichen Gestalten, die | |
keinen grammatikalisch korrekten Satz zustande kriegen, aber den Anspruch | |
haben, Gesellschaft und Staat zu gestalten". Er will ihre Symbole neu | |
besetzen. Der in der rechten Szene als Märtyrer verehrte Rudolf Hess taucht | |
nun als debiler Storch Rudolf auf. Er war es, der in Meiland beim | |
Eilympischen Eierlauf gegen Benito Storcholini das Ei von Führerstorch | |
Heinar stahl – und daraus Eierlikör mischte. | |
"Früher fand ich das Thema Rechtsextremismus todlangweilig", sagt Brodkorb. | |
Heute ist er Experte. Sein Erweckungserlebnis war ein Wortwechsel im Jahr | |
1997. Der 20-jährige Brodkorb, Abiturient mit guter Note in Geschichte, | |
sprach den damaligen NPD-Landesvorsitzenden Ronny Grubert an, wollte ihn | |
argumentativ "fertigmachen". | |
Kriegsverbrechen, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit – jeder Vorwurf prallte | |
an Grubert ab. Er habe nichts gegen andere Völker, antwortete er, er glaube | |
nicht, dass die Deutschen höherwertig seien, und ja, Hitler sei ein | |
Verbrecher gewesen. Brodkorb war mit seinem Anti-Nazi-Latein am Ende. "Da | |
ist mir aufgegangen, dass Rechtsextremismus nicht dasselbe ist wie | |
Nationalsozialismus". Es war seine erste Begegnung mit dem | |
Ethnopluralismus, der Ideologie der Neuen Rechten. | |
Brodkorb studierte Philosophie und Altgriechisch, schrieb seine | |
Abschlussarbeit über Ethnopluralismus. Heute kennt er die Argumente der | |
intellektuellen Neuen Rechten besser als so mancher NPDler selbst. Bei | |
dieser Strömung geht es um die Theorie der "Vielfalt der Völker". Die | |
erklärt keine Nation oder Kultur als höher- oder minderwertig, sondern jede | |
einzelne für schützenswert. Um sie zu erhalten, gilt es sie zu trennen. | |
Der rechte Ethnopluralismus | |
Brodkorb stellt "zwischen dem rechten Ethnopluralismus und dem linken | |
Multikulturalismus ungewollt Schnittmengen" fest. Während | |
Multikulturalisten "abstrakt eine ,Vielfalt der Kulturen'" preisten, lüden | |
Ethnopluralisten diesen postmodernen Relativismus völkisch auf. "Böse | |
gesagt: Der Ethnopluralismus ist so gesehen paradoxerweise vielfach | |
Multikuturalismus plus." | |
Brodkorb ärgert sich nicht über die NPD im Landtag, er erforscht sie. | |
"Storch Heinar" befasst sich nicht mit dem Ethnopluralismus. Satire, | |
erklärt Brodkorb, funktioniert nur bei Verfremdung von Bekanntem. | |
Hitlerbart und Wehrmachtshelm lassen sich persiflieren, die philosophischen | |
Grundlagen der Neuen Rechten nicht. "So bleibt Storch Heinar intellektuell | |
weit hinter dem zurück, was wir sonst tun", sagt Brodkorb. | |
Sein Engagement hat sich auf die Aufklärung über die Neue Rechte verlagert, | |
hier sieht er eine "Riesenbildungslücke" und eine Gefahr: "Wir sind alle | |
auf Neonazis fixiert und sehen oft nicht, dass es subtilere Möglichkeiten | |
gibt, rechtsextrem und menschenverachtend zu sein." Viele Stunden widmet er | |
der Lektüre neuer Publikationen und der Jungen Freiheit. Brodkorb kämpft | |
mit Argumenten, erkenntnistheoretischen, anthropologischen, und plädiert | |
für eine Menschenrechtspädagogik an den Schulen. "Ansonsten haben wir keine | |
überzeugten Demokraten, sondern konditionierte Menschen." | |
Prozessbeginn Ende Juni | |
Am 23. Juni beginnt der Markenprozess am Gericht Nürnberg-Fürth. Brodkorbs | |
Anwälte haben der Firma Mediatex als Güteangebot eine Zusammenarbeit | |
vorgeschlagen, mit der sie sich von der rechten Szene distanzieren könne, | |
erzählt Brodkorb. Darauf sei die Firma bisher nicht eingegangen. | |
Brodkorb ist optimistisch. Er sieht keine Verwechslungsgefahr zwischen | |
einem weißen Storch auf rotem Grund und einem weißen Kreuz auf grauem | |
Grund, der eingetragenen Wort-Bild-Marke von Thor Steinar. Außerdem hat | |
Mediatex ein ähnliches Verfahren in Nordrhein-Westfalen in zwei Instanzen | |
verloren. "Das Gericht entschied, dass das ,Torten-Schneider-T-Shirt' | |
erkennbar satirisch und eine politische Meinungsäußerung sei", sagt | |
Brodkorb. Er hofft auf eine ähnliche Einschätzung der bayerischen Richter. | |
Ein Erfolg ist schon jetzt der Verkauf des Retter-Shirts, das er vom | |
Fußballverein St. Pauli – mit Einverständnis – abgekupfert hat. Damit | |
werden Spenden für mögliche Prozesskosten gesammelt. Der Aufdruck: | |
Weltkriegsverliererbesieger. | |
22 May 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://storchheinar.de/ | |
## AUTOREN | |
Kirsten Menzel | |
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