# taz.de -- Islamfeindlichkeit: Was die denken, die nicht denken | |
> Islamfeindliche Gruppen bedienen rechtspopulistische Tendenzen und sind | |
> ideologisch bei Neonazis. Auch mit bei der Hetze gegen Migranten dabei: | |
> christliche Fundamentalisten. | |
Bild: Flashmob gegen Burka-Verbot im Mai 2010 in Sydney. | |
Wir sind verloren. Das Abendland wird untergehen, es droht eine | |
schleichende Islamisierung, Europa wird bald unter der Scharia leben | |
müssen, Glaubenskriege auf deutschem Boden sind nur noch eine Frage der | |
Zeit - so und noch viel derber lauten die Parolen der Islamgegner. Und ihre | |
Angstthesen haben Konjunktur. | |
Eine feindliche Einstellung gegen Muslime, teilweise bis zur Hetze, ist | |
längst auch in Deutschland salonfähig geworden. Und gegenüber dem üblichen | |
Rassismus hat die Islamophobie einen Vorteil: Sie lässt sich als Engagement | |
für Demokratie und Emanzipation tarnen. | |
"Die islamfeindlichen Bewegungen sind zwar zahlenmäßig kleine Gruppen, aber | |
machen einen ungeheuren Druck durch Leserbriefe, Telefonanrufe und bei | |
öffentlichen Veranstaltungen", beschreibt Mathias Rohe, Juraprofessor und | |
Islamexperte vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa die | |
Stimmung. "Es entsteht eine Atmosphäre der Unsicherheit. Die Gruppen | |
richten viel Schaden an," sagt Rohe. | |
Die Splitterpartei Christliche Mitte verbirgt ihre Anti-Islam-Propaganda | |
hinter einem spießbürgerlichen Gewand. In ihrem Grundsatzprogramm ist als | |
erstes Gebot zu lesen: "Nein zur Islamisierung Deutschlands und Ja zu einem | |
christlichen Deutschland". Konfessioneller Religionsunterricht wird | |
befürwortet und Islamunterricht in öffentlichen Schulen abgelehnt, da | |
dieser "wesentlich Koran-Unterricht und damit antidemokratisch und | |
antichristlich ist". Außerdem sollen "kriminelle Muslime ausgewiesen, | |
Muslime, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren wollen, unterstützt | |
werden". | |
Kritische Islamwissenschaftler wie Ursula Spuler-Stegemann sind entsetzt, | |
wie aufgeheizt die Debatte über Muslime in Deutschland mittlerweile ist. | |
Spuler-Stegemann ist bekannt für ihre harte Kritik an den islamischen | |
Verbänden, doch sie warnt vor den populistischen Umgang von Ängsten. | |
"Kritisch sein ist in Ordnung, aber dieses Hochschaukeln der Situation, das | |
kann es nicht sein." | |
Zur Forderung des "Bundesverbandes der Bürgerbewegung zur Bewahrung von | |
Demokratie, Heimat und Menschenrechten" (BDB) gehörte die "Überprüfung von | |
Art. 4 GG (Religionsfreiheit) hinsichtlich seiner Anwendbarkeit auf die | |
Politikreligion Islam". Ein Mitglied des BDB habe 2006 Anzeige bei der | |
Staatsanwaltschaft Hamburg gegen die Verbreitung des Korans eingereicht, | |
weil die heilige Schrift "den Tatbestand der Beschimpfungen von | |
Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigung" und | |
den "Tatbestand der Volksverhetzung" erfülle. | |
Der BDB fusionierte 2008 mit dem Verein Pax Europa, welcher "über die | |
schleichende Islamisierung Europas aufklären" will. Natürlich richte dieser | |
"sich nicht ,gegen die Muslime', er tritt vielmehr für den Erhalt des | |
christlich-jüdisch geprägten europäischem Werteverbundes ein". Die | |
Glaubensfreiheit, von der hier gesprochen wird, meint nur den christlichen | |
Glauben. Dass die Szene der Islamgegner auch aggressiv sein kann, weiß | |
Mathias Rohe. So musste ein Vortrag von ihm 2007 zum Thema "Grundgesetz und | |
Scharia" nach provokanten Zwischenrufen aus dem Publikum abgebrochen | |
werden. Bei der Diskussionsrunde in München, berichtet Rohe, hätten die | |
Störer andere "niedergeschrien". Danach erhielt der Wissenschaftler per | |
E-Mail eine Morddrohung, in der es hieß, für sein Tun könne es nur die | |
Todesstrafe geben. Die antiislamischen Gruppen seien durchaus | |
ernstzunehmen, "weil Randexistenzen sich radikalisieren können", und nennt | |
als Beispiel Alex W., der 2009 im Dresdner Landgericht die Ägypterin Marwa | |
El Sharbini aus Fremdenhass mit einem Messer erstach. Im Sommer 2008 hatte | |
Alex W. die Ägypterin auf einem Spielplatz als "Islamistin" und | |
"Terroristin" angepöbelt. "Woher hat solch ein Mann seine Beschimpfungen?", | |
fragt Rohe. Zudem wird Rohe regelmäßig von der einschlägig bekannten | |
Website Politically Incorrect (PI) an den Pranger gestellt. | |
Hier sprechen Möchtegern-Islamkritiker das aus, was die denken, die nicht | |
denken. Rechtspopulistische Tendenzen werden abgewiesen, aber in den | |
jeweiligen Kommentarforen toben sich die niedersten Instinkte aus. Der | |
SPD-Rechtsexperte Sebastian Edathy warnt seit langem vor einer "steigenden | |
Islamophobie in Deutschland". Weil PI regelrechte Hetze gegen den Islam | |
betreibe, sollte die Homepage "durch den Verfassungsschutz beobachtet | |
werden", so Edathy. | |
Zunehmend drängen die Leser der Homepage auf die Straßen. Es gibt | |
mittlerweile bereits zahlreiche PI-Aktionsgruppen in Deutschland - vom | |
Ruhrgebiet bis Dresden, von Karlsruhe bis Hamburg. Eine genaue Übersicht | |
über Anzahl und Größe islamfeindlicher Gruppen und Grüppchen gibt es nicht. | |
"Ihre Zahl hat in den letzten Jahren zugenommen, und von daher auch die | |
gefühlte Islamfeindlichkeit", sagt die Islamismusexpertin Claudia | |
Dantschke. | |
Vor allem als Sammelbecken für Politikverdrossene seien diese Gruppen | |
gefährlich. Dantschke befürchtet, dass es den Republikanern gelingen | |
könnte, diese kleinen, lokalen, meist unabhängig voneinander handelnden | |
Gruppen zusammenzubringen und damit politisch handlungsfähiger zu machen. | |
Denn die These der islamischen Überfremdung bringt Wähler, dass haben auch | |
die Republikaner erkannt. "Und wer sich von der Politik alleingelassen | |
fühlt, der geht zu populistischen Bewegungen", sagt Dantschke. Mittlerweile | |
würden auch islamfeindliche Gruppen Vorgehensweisen der extremen Rechten | |
übernehmen, wie die Wortergreifungsstrategie. So wird etwa auf der Homepage | |
der christlichen Bewegung "Deus Vult Caritatem" (Gott will die Liebe) dazu | |
aufgerufen, Veranstaltungen zu besuchen, sich einzumischen und diese "auf | |
Kurs zu bringen"! | |
Überhaupt ist zu beobachten, dass auf islamfeindlichen Seiten dazu | |
aufgefordert wird, Veranstaltungen zu besuchen, die sie für promuslimische | |
halten, sich möglichst verteilt im Raum zu verteilen und dann zu stören. | |
Die Störer fallen nicht als Gruppe auf. Lediglich ihre provozierenden | |
Fragen verraten sie, der Tonfall ist meist aggressiv. | |
Der Kölner Völkerkundler Erwin Orywal, der sich im Zusammenhang mit dem | |
Kölner Moscheenstreit ebenfalls für einen Dialog ausgesprochen hatte, bekam | |
auch Drohmails. Von vielen Kollegen sei ihm bekannt, dass Personen, die | |
sich öffentlich für Dialog aussprechen, zunehmend unter Druck geraten. Ob | |
Muslime oder nicht, diejenigen, die sich für einen Dialog aussprechen, | |
haben mit Hasspost und sogar Morddrohungen zu rechnen. Denn alles Elend der | |
Welt wird dem Islam, den muslimischen Einwanderern und deren Verteidigern | |
zugeschoben. | |
Seitdem Muslime ihr Dasein in der deutschen Gesellschaft etwa mit | |
Moscheebauten zeigen, sind die Reaktionen gereizt bis ausfällig. Und wenn | |
Hinterhofmoscheen repräsentativen muslimischen Gebetshäusern weichen oder | |
weichen sollen, bilden sich fast überall Gegengruppen. Da gerät der Bau | |
eines islamischen Gotteshauses zu einem christlichen Kulturkampf. Eine | |
Partei, die außer Islamfeindschaft kaum politisches Programm zu bieten hat | |
und sich besonders im Kölner Moscheenstreit etablieren konnte, gelangte | |
2004 sogar in das Kölner Stadtparlament. Die Bürgerbewegung "Pro Köln" hat | |
es geschafft, dass die bürgerliche Mitte plötzlich über Themen diskutiert, | |
die von der rechten Seite moderiert werden. Die Rheinländer sind ein | |
Ableger der islamfeindlichen Pro-Bewegung, die in Nordrhein-Westfalen um | |
Einfluss auf kommunaler Ebene kämpft. Sie ist ein Auffangbecken für | |
enttäuschte Konservative, denen der Kurs der CDU zu sanft geworden ist. | |
Die Arbeitsstelle Neonazismus an der Fachhochschule Köln hat sich in einer | |
Studie mit den Methoden von "Pro NRW" und "Pro Deutschland" beschäftigt. | |
"Ihre Methoden sind perfider, als wir dies von Rechtsextremen bisher | |
kannten", warnt Alexander Häusler, Verfasser der Studie. "Die Themen sind | |
populistisch, und es geht insbesondere um den Islam. Denn die | |
Islamfeindlichkeit ist nicht nur in den extremen Rechten verbreitet, | |
sondern in größeren Teilen der Gesellschaft", sagt Häusler. Ein | |
Ex-Pro-NRW-Aktivist konvertierte im letzten Jahr zum Islam und lästert | |
heute über seine früheren Mitstreiter. | |
Nach der Diskussion über einen möglichen Muezzinruf in der Centrum-Moschee | |
Hamburg erhielt die islamische Gemeinde einen Brief, in dem mit Brandsätzen | |
gedroht wurde. Das Schreiben war mit den lateinischen Worten "Terra | |
Christiane est" (Die Erde ist christlich) unterschrieben. | |
Die Polizei geht von einem Einzeltäter aus, bis heute konnte der Verfasser | |
nicht ausfindig gemacht werden. Die "Interessengemeinschaft | |
Pankow-Heinersdorfer Bürger e. V." engagiert sich seit 2006, den geplanten | |
Moscheebau der Ahmadiyya-Gemeinde in Pankow-Heinersdorf zu verhindern - was | |
ihnen nicht gelang. Nach jahrelangen Protesten, mit Unterstützung der | |
Berliner CDU, gegen den ersten repräsentativen Moscheeneubau auf | |
ostdeutschem Boden wurde diese 2008 unter Polizeischutz eröffnet. Seitdem | |
ragt das zwölf Meter lange Minarett in den Himmel. | |
26 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Cigdem Akyol | |
## TAGS | |
Ahmadiyya | |
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