# taz.de -- Affenexperimente an Bremer Uni: Hirnforscher setzt auf Tierversuche | |
> Die Bremer Experimente mit Primaten werden jetzt wieder vor Gericht | |
> verhandelt. Es geht auch um die Frage, wie weit die Freiheit der | |
> Wissenschaft eigentlich gehen darf. | |
Bild: Umstrittene Forschung: Neurobiologe Andreas Kreiter. | |
Längst ist der Streit persönlich geworden und verletzend: Als | |
"Makaken-Mengele" hat man den Bremer Neurobiologen Andreas Kreiter schon | |
bezeichnet, seine Familie bedroht. Und der Wissenschaftler hat kürzlich in | |
der Zeit behauptet, der Bremer Landespolitikerin Silvia Schön (Grüne) liege | |
das Wohl von Tieren mehr am Herzen als die Heilung kranker Kinder. Das muss | |
er jetzt unterlassen, dazu hat er sich verpflichtet. | |
Wenns nicht beiderseits so bösartig wäre, man könnte von Kindergartenniveau | |
sprechen. Dabei gehts um ernste Fragen: um den Wert von Erkenntnis und die | |
Messbarkeit von Leiden, um die Freiheit der Wissenschaft und darum, wie die | |
sich demokratisch begrenzen lässt. | |
Zum Glück muss sich die Auseinandersetzung jetzt versachlichen: Am Freitag | |
beginnt der Prozess um die Primatenversuche, die Kreiter seit 1998 an der | |
Bremer Universität durchführt: Bei denen misst er die Aktivitäten einzelner | |
Hirnzellen, während die Tiere vorm Bildschirm kauern und, sobald sie ein | |
gelerntes Muster wiedererkennen, einen Knopf drücken. Ziel ist es, den | |
Vorgang visueller Aufmerksamkeit zu verstehen. Fortsetzen darf er die | |
Experimente seit anderthalb Jahren aber nur aufgrund einer Eilentscheidung | |
des Verwaltungsgerichts. | |
Denn eine erneute Genehmigung hat ihm die Bremer Gesundheitssenatorin 2008 | |
verweigert. Die Experimente würden für die Tiere "erhebliche Leiden" | |
bedeuten, so die Begründung. Das kam mit Ansage: Noch vor der Wahl 2007 | |
hatte sich der Landtag Bremens, die Bürgerschaft, einstimmig für ein Ende | |
der Versuche ausgesprochen. | |
Ein Beschluss, den der rot-grüne Koalitionsvertrag kurz darauf noch | |
bekräftigte. Und doch ist es ein aufsehenerregender Schritt: Eine seit über | |
einem Jahrzehnt laufende Versuchsreihe zu stoppen - das hat sich noch kein | |
Bundesland getraut. | |
Kreiter meint, und so sehens auch Uni und Deutsche Forschungsgemeinschaft | |
(DFG), er hätte einen Rechtsanspruch auf Genehmigung. Weil ja die Wahl der | |
Methode Teil der Wissenschaft ist und deren Freiheit ein Grundrecht. Ob | |
eine Behörde das einschränken darf - das ist eine juristisch höchst | |
knifflige Frage, auch nachdem der Tierschutz ins Grundgesetz aufgenommen | |
wurde. Und auch wenn Kreiters Versuche dem ethischen Empfinden breiter | |
Bevölkerungskreise zuwiderlaufen. | |
Denn ja, das tun sie. Wobei sie gerade da am abschreckendsten wirken, wo | |
sie am harmlosesten sind: Ins Hirn der Affen werden Elektroden eingeführt - | |
das hört sich gruselig an. Das Hirn ist allerdings unempfindlich für | |
Schmerzen. Auch die Operation unter Narkose gilt nur als mittlere | |
Belastung. | |
Und in Bremen hat man mittlerweile lernen müssen, dass die Daten, auf die | |
es ankommt, mit bildgebenden Verfahren noch lange nicht erhoben werden | |
können. Das war eine teure Lektion: Die Anschaffung eines | |
Tesla-3-Kernspintomografen hat Bremen vor acht Jahren mit 1,7 Millionen | |
Euro bezuschusst. Die Hoffnung war: damit hätten sich die Ableitungen | |
direkt aus dem Hirn erübrigt. | |
Die implantierten Elektroden messen jedoch das Energieniveau einzelner | |
Neuronen. Deren durchschnittliches Volumen liegt bei 0,000014 | |
Kubikmillimetern. Die Messgenauigkeit des Bremer Kernspintomografen liegt | |
bei umgerechnet fünf Kubikmillimetern. Mit einem Stadtplan kann man sich in | |
der City besser orientieren als mit einer Weltkarte. | |
Was Verhaltensforschern wirklich Tränen in die Augen treibt, das sind die | |
Dressur, die periodische Isolation einzelner Affen - denn Makaken sind | |
Herdentiere -, die dauerhafte Wasserverknappung, um ihre Mitarbeit zu | |
erzwingen - denn nur für den "richtigen" Knopfdruck bekommen sie ein | |
Schlückchen Saft - und vor allem ihre stundenlange Fixierung in einem | |
Plexiglaskäfig, dem sogenannten Primatenstuhl. Denn Makaken bewegen sich | |
gern. | |
Dass trotzdem die "Drähte im Kopf" (Spiegel) oder "Elektroden, die ins Hirn | |
gebohrt" würden (Renate Künast) Leitmotive der tierschützerischen Polemik | |
geblieben sind, kann man als unsachlich bezeichnen. Aber nicht als unfair. | |
Denn selbst der Gründer des Bremer Instituts für Hirnforschung, der | |
Neurozoologe Gerhard Roth, weist darauf hin, dass "Affekte und Emotionen | |
unser Verhalten" steuern - und "nicht die Vernunft". | |
Andererseits sind Kreiter und seine Lobby um keinen Deut besser: Fotos von | |
den Versuchen selbst werden nicht gestattet. Gerne jedoch lässt sich der | |
Forscher in der Rolle des liebenden Affen-Papis mit Jung-Makaken | |
fotografieren - nicht operierten, versteht sich. Und während selbst | |
tierliebe Bio-Ethiker wie Dieter Birnbacher ein "Frankenstein-Syndrom" der | |
Versuchsgegner diagnostizieren, tendiert Kreiters Selbstdarstellung ins | |
Megaloman-Messianische: Ungezählte Kinder hat er schon von Epilepsie, | |
Greise von Altersdemenz und Psychotiker von Schizophrenie geheilt, selbst | |
Blinde sollen wieder sehen können. Bloß sind diese Ergebnisse rein | |
virtuell, denkbare Anwendungen erhoffter Entdeckungen. | |
Will man die schon als Nutzen der Versuche definieren - dann müsste man | |
wenigstens erwähnen, dass es seit langem auch starkes militärisches | |
Interesse an allen neuroprothetischen Trends gibt: Die Forschungsabteilung | |
der US-Armee, DARPA, verfolgt nach wie vor das mit über 10 Millionen Dollar | |
jährlich ausgestattete Human-Assisted Neural Devices Program, um zu | |
verhindern, so ihr Direktor Tony Tether, "dass der Mensch das schwächste | |
Glied in den US-Streitkräften" wird. | |
27 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Hund | |
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