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# taz.de -- Rücktritt von Horst Köhler: Merkels Präsident geht
> Damals wollte Angela Merkel Horst Köhler. Er galt als Symbol für
> Schwarz-Gelb. Zuletzt schwieg sie nur noch zu seinen Thesen. Jetzt tritt
> Bundespräsident Köhler zurück.
Bild: Ein Mann, um den es zuletzt immer einsamer wurde: Köhler mit Merkel.
Anders als vor sechs Tagen saß Angela Merkel diesmal noch nicht im
Flugzeug. Als Horst Köhler, zu diesem Zeitpunkt noch Bundespräsident, die
Kanzlerin telefonisch über seine Rücktrittsabsichten informierte, war sie
noch zum geplanten Besuch der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im
Südtiroler Trainingslager aufgebrochen. Sie sagte die Reise ab.
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch, von dessen Abschied Merkel
vorige Woche auf einer Arabien-Reise erfuhr, war ein innerparteilicher
Gegner. Der Bundespräsident, der nach Heinrich Lübke als zweiter in der
Geschichte der Republik vorzeitig sein Amt aufgibt, war dagegen Merkels
Mann. Auch wenn sie das seit ihrem Einzug ins Kanzleramt nicht mehr allzu
gerne hören mochte.
Sechs Jahre ist es her, es war der Abend des 2. März 2004. Ein Dienstag. In
der Privatwohnung des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle trafen am späten
Abend die CDU-Chefin Merkel und ihr CSU-Kollege Edmund Stoiber ein. Es ging
um die Nominierung des neuen Bundespräsidenten, in der Union galt Wolfgang
Schäuble als Favorit. Eine Nacht später, nach einer turbulenten
Präsidiumssitzung der CDU, stand der Kandidat offiziell fest: Horst Köhler,
Präsident des Internationalen Währungsfonds, Nichtpolitiker.
Die Präsidentenkür galt als strategische Meisterleistung Merkels. Vor allem
aber galt sie als Vorbote einer schwarz-gelben Regierung und einer
Reformpolitik, die heute als neoliberal verrufen ist. Gerade mal ein halbes
Jahr, nachdem die Regierung von Union und FDP in die Ministerien eingezogen
ist, tritt Köhler zurück. Es ist ein unerwarteter Höhepunkt, der den
Berliner Chaoswochen bislang noch fehlte. Es wirkt wie die offizielle
Beglaubigung eines Scheiterns durch das Staatsoberhaupt.
Den Anlass für Köhlers Rücktritt boten seine umstrittenen Äußerungen zu
Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Der Präsident hatte den Eindruck erweckt,
als dienten sie auch wirtschaftlichen Interessen. Dafür war er kritisiert
worden, auch aus dem Regierungslager. Gestützt hatte ihn niemand. Merkel
zog es vor zu schweigen.
Doch die Afghanistan-Affäre war nur der jüngste Fehltritt eines
Präsidenten, der sich mehr als alle Amtsvorgänger in die Tagespolitik
einmischte und dabei oft unglücklich agierte. Eines Mannes, um den es
zuletzt immer einsamer wurde. Dem im Schloss Bellevue und dem eiförmigen
Verwaltungsbau des Präsidialamts nebenan die Mitarbeiter davonliefen. Dem
nun auch die neue Pressesprecherin nicht mehr helfen kann, die ihre Stelle
eigentlich an diesem Dienstag antreten sollte.
Bereits ein Jahr nach Amtsantritt sah sich Köhler mit der schwierigsten
Entscheidung konfrontiert, die das Grundgesetz dem an Kompetenzen armen
Staatsoberhaupt zuweist. Es ging um die Auflösung des Bundestags, die der
damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder nach der SPD-Wahlniederlage in
Nordrhein-Westfalen 2005 anstrebte. Köhlers starke Identifizierung mit dem
schwarz-gelben Projekt nährte nicht nur den Verdacht, er neige auch aus
parteipolitischen Gründung zu einer Billigung des Neuwahlplans. Er
rechtfertigte die Parlamentsauflösung in einer Fernsehansprache dann auch
noch mit einer apokalyptischen Darstellung der Lage im Land, die in einem
Satz zur demographischen Entwicklung gipfelte: "Wir werden alle immer
älter." Das war ein Argument, das die Verfassung für eine
Parlamentsauflösung nicht vorsah.
Wenige Monate später war Merkel tatsächlich Kanzlerin. Aber nicht in jener
Koalition mit der FDP, für die Köhlers Kür ursprünglich stand. Sondern in
einem Bündnis mit der SPD. Aus der Erfahrung des fast verstolperten
Wahlsiegs zog sie die Konsequenz, sich vom radikalen Reformprogramm zu
verabschieden. Der Zwang zu Kompromissen mit dem neuen Regierungspartner
diente ihr als willkommenes Alibi.
Den Reformpräsidenten ärgerte das. Er kritisierte die Regierung auch
öffentlich. Er verweigerte mehrfach Gesetzen seine Unterschrift, die seine
Hausjuristen als verfassungswidrig ansahen. Seine Vorgäner hatten solche
Entscheidungen eher dem Verfassungsgericht überlassen. So wurde der
Präsident trotz seines unpopulären Programms als Antipolitiker populär, als
ein Staatsoberhaupt, das die Parteienverdrossenheit nährte und von ihr
profitierte. Im etablierten Politikbetrieb kam er nie an. Das Verhältnis
zur Kanzlerin, die ihn ins Amt gehoben hatte, blieb bestenfalls
instrumentell.
Entsprechend lustlos betrieb die Union im Jahr 2009 Köhlers Wiederwahl. Nur
die FDP sah das Staatsoberhaupt noch immer als ihren Mann. Die übrigen
Parteien nahmen Köhlers zweite Amtszeit eher mit dem Argument in Kauf, dass
ein Bundespräsident keinen wirklichen Schaden anrichten könne. So sah es
zunächst auch die Führung der SPD, die zu diesem Zeitpunkt aber nicht die
Kraft aufbrachte, eine erneute Kandidatur der Politikprofessorin Gesine
Schwan zu verhindern.
Köhler sah sich als erster Bundespräsident aus dem Amt heraus zu einem
regelrechten Wahlkampf gezwungen. Es war die Zeit kurz nach dem Ausbruch
der Bankenkrise. Der frühere IWF-Chef versuchte seine Wirtschaftskompetenz
auszuspielen, schlug nun aber deutlich skeptischere Töne an und verstrickte
sich bisweilen in programmatische Widersprüche. In seiner "Berliner Rede",
die er kurz vor der Wahl in einer ruinösen Berliner Kirche hielt, sprach er
viel von den Grenzen des Wachstums. Sollte es ein Werben um die Stimmen der
Grünen gewesen sein, so hatte es Erfolg. Die entscheidende Stimme, die dem
Präsidenten am 23. Mai 2009 zur Wiederwahl bereits im ersten Wahlgang
verhalf, stammte von einer Überläuferin der Oppositionspartei. Sie
begründete ihr Votum mit Köhlers Engagement für Afrika, einer der wenigen
Kontinuitäten in seiner bisweilen sprunghaften Amtsführung.
Als habe der Präsident alle Kräfte im eigenen Wahlkampf erschöpft,
verstummte er nach der Wiederwahl fast ganz. Routinemäßig absolvierte er
das vom Protokoll vorgegeben Programm, hielt Reden, verlieh Orden, empfing
Botschafter. Die Terminlisten waren die einzige Botschaft, die aus dem
Präsidialamt noch nach außen drang. Abgesehen von Medienberichten über die
neuesten personellen Abgänge in Köhlers Behörde.
Die ersehnte Koalition von Union und FDP kam nun ins Amt, die Finanzkrise
ging in ihre zweite Runde. Der schwarz-gelbe Präsident, der Finanzexperte
Köhler hatte zu beidem nichts zu sagen, vielleicht wollte er auch aus gutem
Grund nichts sagen. Doch die Kritik daran ertrug er nicht. In der
Zeitschrift Focus antwortete er mit einer Fülle politischer
Detailvorschläge bis hin zu höheren Benzinpreisen. Spätestens dieses
Interview raubte ihm den letzten Kredit im politischen Berlin. Schon damals
gab es fast nur Kritik und Schweigen, kaum Zustimmung. Jetzt ist es mit den
Zitaten zu Afghanistan erneut passiert. Das war ein deutliches Zeichen.
Auch wenn am Ende unklar bleibt, womit Köhler seinem Amt mehr schadete: mit
seiner Amtsführung - oder mit dem Rücktritt selbst.
1 Jun 2010
## AUTOREN
Ralph Bollmann
## TAGS
Horst Köhler
Horst Köhler
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