Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Friedensdschirga: Großer Basar in Kabul
> Die Friedensdschirga berät über Verhandlungen mit den Taliban; deren
> Menschenrechtsbilanz ist verheerend. Auf Kosten der Menschenrechte aber
> kann es keine echte Versöhnung geben.
Bild: Afghanische Delegierte hören am 2. Juni bei der Friedensdschirga der Red…
Die "Friedensdschirga", die jetzt in Kabul tagt, soll Verhandlungen mit den
Taliban vorbereiten und legitimieren. Diesen Verhandlungen hat die
internationale Gemeinschaft schon Ende Januar auf der großen
Afghanistankonferenz in London ihr Plazet erteilt. Nun soll auch die
afghanische Bevölkerung überzeugt werden. Dabei drohen die Menschenrechte
zur Verhandlungsmasse und die Verbrechen der Taliban vergessen zu werden.
Die Menschenrechtsbilanz der Taliban ist verheerend - das gilt nicht nur
für die Jahre von 1996 bis 2001, in denen sie über Afghanistan herrschten,
sondern auch für die Gebiete, die sie heute wieder kontrollieren. Frauen
werden dort regelrecht in ihren Häusern eingesperrt, können weder arbeiten
noch zur Schule oder zum Arzt gehen. Die Taliban attackieren gezielt
Zivilisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Journalisten und
Menschenrechtsaktivisten sowie Schulen und Gesundheitsstationen für Frauen
und Mädchen. Sie missachten die Menschenrechte und das humanitäre
Völkerrecht. Nach UN-Angaben waren die Taliban und andere bewaffnete
Gruppierungen im Jahr 2009 für zwei Drittel der über 2.400 zivilen Opfer in
Afghanistan verantwortlich.
Auch die Regierung von Hamid Karsai tritt die Menschenrechte mit Füßen:
wortwörtlich, wenn Mitarbeiter des afghanischen Geheimdiensts auf Häftlinge
eintreten, und im übertragenen Sinne, wenn die Regierung Karsai zu wenig
unternimmt, um die Rechte von Frauen zu schützen. Öffentlich sichtbare und
politisch engagierte Frauen leben in Afghanistan gefährlich. Deswegen
treten bei den Parlamentswahlen kaum noch Kandidatinnen an. Und
Polizistinnen, die sich für bedrohte Frauen einsetzen, müssen manchmal
selbst Zuflucht in Frauenhäusern suchen.
Geht es bei der "Friedensdschirga" um die Menschenrechte? Amnesty
International ist skeptisch. Denn wer sollte in dieser Versammlung danach
fragen? Bestenfalls eine der etwa 20 Frauen unter den 1.600 Teilnehmern,
die größtenteils aus regierungsnahen Gruppierungen stammen. Gerade weil die
"Friedensdschirga" bisher unter keinem guten Stern steht, ist ein klares
Signal nötig: bei potenziellen Verhandlungen mit den Taliban darf es keinen
Ausverkauf der Menschenrechte geben. Das gilt insbesondere für die
Frauenrechte.
Grundsätzlich hat sich seit dem Sturz des Talibanregimes 2001 für Frauen
und Mädchen einiges verbessert: Mädchen können in den Gebieten, die von der
Regierung kontrolliert werden, in die Schule gehen, Frauen sind im
Parlament vertreten. Die Regierung Karsai hat ein Frauenministerium
eingerichtet und eine Frauenquote eingeführt. Die Verfassung sieht gleiche
Rechte für Männer und Frauen vor und garantiert die Menschenrechte. Nun
muss ihnen echte Geltung verschafft werden! Die Regierung in Kabul muss
sicherstellen, dass die Einhaltung der Menschenrechte in Zukunft besser
überprüft wird. Dazu muss sie den Aufbau des Polizei- und vor allem des
Justizwesens viel ernster nehmen. Wenn nötig, muss die Regierung Karsai
noch mehr internationale Unterstützung einfordern!
Afghanistan braucht Institutionen, die die Menschenrechte wirksam schützen.
Nur die Zahl der Polizisten und Soldaten zu erhöhen ist keine Lösung. Es
kommt auf die Ausbildung auch in Menschenrechtsfragen und das anschließende
Monitoring an. Da geht der Ansatz der bisherigen internationalen
Afghanistan-Konferenzen am Problem vorbei.
In einer Umfrage der Unabhängigen Menschenrechtskommission haben
Afghaninnen und Afghanen bereits im April 2004 deutlich gemacht, dass sie
der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen einen hohen Stellenwert für
die politische Zukunft Afghanistans beimessen. Die politisch
Verantwortlichen, ob in Kabul, Washington, London oder Berlin, sollten
diesen Wunsch ernst nehmen.
Deshalb muss die Regierung Karsai das Amnestiegesetz vom März dieses Jahres
zurücknehmen. Denn dieses Gesetz macht es möglich, dass Unterdrückung,
Folter, Verschwindenlassen und Tötungen der vergangenen 30 Jahre nicht
verfolgt werden, sofern die Täter mit der Regierung zusammenarbeiten. Das
gilt für Taliban, aber auch für Regierungsmitglieder, Beamte, Polizisten
und Militärs. Diese Regelung ist menschenrechtswidrig und verstößt gegen
Afghanistans internationale Verpflichtungen.
Vor den Parlamentswahlen im Herbst muss sichergestellt werden, dass nur
Kandidaten antreten, die sich nicht der Verletzung von Menschenrechten
schuldig gemacht haben. Dafür muss die afghanische Regierung einen
Überprüfungsmechanismus entwickeln und auch hier, wenn nötig, auf die
Unterstützung der Staatengemeinschaft zurückgreifen.
Die rote Linie für die Verhandlungen mit den Taliban und anderen
Aufständischen ist klar: Diejenigen, die die Menschenrechte verletzt haben,
können zwar mögliche Verhandlungspartner sein. Aber: Freies Geleit darf es
nicht geben und schon gar keine Amnestie, denn das wäre ein Schlag ins
Gesicht der Opfer.
Ist das politisch naiv und realitätsfremd? Nein! Es ist konsequent und
stiftet langfristig Frieden. Die Menschenrechte setzen einen
internationalen Maßstab, der im Frieden wie im Krieg gilt. Das legen die
auch von Afghanistan ratifizierten UN-Menschenrechtspakte fest. Das
bedeutet auch, dass schwere Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich
verfolgt werden müssen. 111 Staaten haben dem mit der Anerkennung des
Internationalen Strafgerichtshofes ausdrücklich zugestimmt, darunter auch
Afghanistan. Vereinbarungen oder gar Friedensverträge, die diese
Wertegrundlagen ignoriert und stattdessen eine Amnestie für
Menschenrechtsverletzer gewähren, werden nicht von Dauer sein. Das zeigt
schon ein Blick in die Geschichte.
In Afghanistan wurden und werden die Menschenrechte immer wieder ignoriert
und politischen Kompromissen preisgegeben - auf Kosten der Bevölkerung und
vor allem zu Lasten von Frauen und Mädchen. Frieden wurde damit nicht
erreicht. Deshalb sind Menschenrechte nicht verhandelbar.
3 Jun 2010
## AUTOREN
Monika Lüke
## ARTIKEL ZUM THEMA
Afghanische Friedendschirga: Die Zustimmungsmaschine
Trotz demokratischer Debatten endet Kabuls Friedensdschirga mit einem von
oben verordneten Scheinkonsens. Der Friedensplan wurde den Delegierten
nicht ausgehändigt.
Friedensdschirga in Kabul: Trotz Raketenbeschuss fortgesetzt
In Kabul sind die Debatten der Friedensdschirga über einen möglichen
Friedensprozess fortgesetzt worden. Die Taliban haben für Karsais Treffen
weiter nur Beschuss und Hohn übrig.
Debatte Nato-Krieg in Afghanistan: Die Freiheit der Afghanen
Die Rede von unserer "Verantwortung" am Hindukusch ist Betrug. Nach dem
Abzug der Nato muss es dort keineswegs zum Bürgerkrieg kommen.
Kommentar Afghanistan: Karsai sucht Allianz mit Taliban
Entweder es gibt in Zukunft in Afghanistan eine Taliban-Regierung oder eine
Regierung aus Taliban, Hekmatjar und Karsai an der Spitze. Letzteres hat
der Präsident im Auge.
Ergebnisse der Afghanistan-Konferenz: Und wieder grüßt das Murmeltier
Schuldenerlass, ziviles und militärisches Engagement. Die meisten
Beschlüsse der Londoner Afghanistan-Konferenz wurden bereits mehrmals
gefällt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.