# taz.de -- Debatte Nato-Krieg in Afghanistan: Die Freiheit der Afghanen | |
> Die Rede von unserer "Verantwortung" am Hindukusch ist Betrug. Nach dem | |
> Abzug der Nato muss es dort keineswegs zum Bürgerkrieg kommen. | |
Eine klare Mehrheit der deutschen Bevölkerung, also des Souveräns, lehnt | |
den Nato-Krieg in Afghanistan ab. Damit steht sie im Gegensatz zur Mehrheit | |
seiner parlamentarischen Vertreter. Doch dies spielte in der | |
Bundestagsdebatte über die Verlängerung des Kriegsmandats nur eine | |
marginale Rolle. Eine Grundsatzdebatte über den Krieg der Nato in | |
Afghanistan fand und findet nicht statt. Jeder ernsthafte Anlauf dazu wird | |
mit Totschlagparolen ausgebremst, die sich auf genau zwei Fragen | |
konzentrieren: Welche Alternativen gibt es zum Krieg? Und was geschieht | |
nach dem Truppenrückzug? | |
Der Urfehler der Intervention gerät dabei aus dem Blick. Denn mit der | |
Lebenslüge, auch am Hindukusch werde "unsere Freiheit" verteidigt, begann | |
bekanntlich das ganze Elend. Die Parole ist das Echo einer biederen | |
Leutnantsweisheit, die der militärkundige Friedrich Engels schon 1859 als | |
Verlegenheitsstrategem zerlegte. Damals hieß es, die deutsche Rheingrenze | |
müsse gegen das bonapartistischen Frankreich auch am Po in Italien | |
verteidigt werden, indem sich deutsche Truppen auf die Seite des | |
österreichischen Besatzungsregimes stellten und gegen Frankreich in den | |
Krieg zögen. Damals ging es um die nationale Einigung Italiens und | |
Deutschlands gegen österreichische und französische Hegemonialansprüche. | |
Das meiste an der politischen Konstellation von damals ist mit dem | |
Nato-Krieg in Afghanistan nicht vergleichbar - bis auf ein Moment, das | |
Engels genau erkannte: "Überlassen wir es Italien, seine eigenen Sachen | |
selbst abzumachen, so hört der Hass der Italiener gegen uns von selbst | |
auf." | |
Die Nato-Truppen am Hindukusch bewirken nur, den Hass der Afghanen auf sich | |
zu ziehen. Die Intervention mit der Parole, von dort aus werde "unsere | |
Freiheit" bedroht, geht von der illusionären Prämisse aus, die Leute von | |
Bin Ladens al-Qaida und ein paar tausend Taliban seien eine Weltmacht, der | |
man den Krieg erklären müsse, statt sie mit einer Polizeiaktion zu stoppen. | |
Mit dem Nato-Krieg hat sich "der" Westen erst zum Feind der Afghanen | |
gemacht - so, wie ehemals die Österreicher zum Feind der Italiener. | |
Die "neue" Strategie der Nato-Truppen - tagsüber Schulen bauen und nachts | |
mit Drohnen und Kampfflugzeugen zuschlagen - ist weder neu noch | |
aussichtsreich. Schon 1963 schlug der französische General David Calula | |
vor, revolutionäre Bewegungen in Algerien und anderswo mit dieser Strategie | |
zu "pazifizieren". Diese Strategie verfehlte jedes Mal ihr Ziel, weil jedes | |
zivile Opfer militärischer Angriffe jene stärkt, die ihr Land - ob Algerien | |
oder Afghanistan - als Opfer der Angriffe von außen sehen. | |
Die Lücke zwischen dem Anspruch der ehrgeizigen Strategie und der | |
trostlosen Wirklichkeit soll jetzt mit Panzern und anderen schweren Waffen | |
geschlossen werden. Kann man Feuer mit Benzin löschen? Oder einen Aufstand | |
mit dem Abschreckungsmärchen, ein Blick "in das Kanonenrohr des Leopard 2" | |
bringe die Afghanen schon zur Räson, wie der FDP-Politiker Hellmut | |
Königshaus meint? | |
Den "Krieg gegen die Taliban", den die Nato führt, nehmen viele Afghanen | |
als einen Krieg gegen Afghanistan wahr. Dass sich die Nato-Truppen auf | |
Frieden, Menschenrechte und Demokratie berufen, kann nicht verhindern, dass | |
der Krieg als das erscheint, was er ist: als ein Gesinnungskrieg "des | |
Westens" gegen den politisch motivierten "Islamismus" der Taliban, die ihre | |
Existenz saudi-arabischem Geld und logistischer Hilfe der US-Geheimdienste | |
verdanken. | |
Möglich, dass nach dem Abzug der Nato-Truppen ein Bürgerkrieg ausbricht. | |
Das ist aber kein Argument für die Fortsetzung des Krieges. In Afghanistan | |
haben es die Völkerschaften, Stämme und familialen Clans aus eigener Kraft | |
und quer durch die Ethnien geschafft, Strukturen und Netzwerke aufzubauen, | |
die ein fragiles inneres Gleichgewicht garantierten. Bürgerkriege gab es | |
nicht aufgrund ethnischer Spaltungen, sondern immer dann, wenn sich starke | |
Netzwerke wie etwa die "Nordallianz" von Warlords unterschiedlicher Ethnien | |
auf Bündnisse mit auswärtigen Staaten einließen, durch den sich andere | |
Netzwerke geschwächt oder bedroht fühlten. Weder die Monarchie noch die | |
afghanische Republik nach 1973 waren Staaten im Sinne westlicher | |
Lehrbücher. Viele vor- und parastaatliche Institutionen (Loja Dschirga, | |
Stammes- und Ältestenräte) überformten und begrenzten die staatlichen | |
Institutionen (Regierung, Parlament, Verwaltung, Justiz). Letztere waren | |
immer schwächer. | |
Wenn es nach dem Abzug der Nato-Truppen zu einem Bürgerkrieg kommt, kann | |
man den abziehenden Truppen dafür nicht die Verantwortung geben. Die | |
Verpflichtung von Staaten, Bürgerkriege in anderen Staaten zu verhindern, | |
ist zwar politisch-moralisch postulierbar. Die Erfahrung mit so begründeten | |
"Verantwortungs"-, also reinen Gesinnungs- und Interessenkriegen in | |
Somalia, im Kosovo und anderswo zeigt zwiespältige Resultate. In keinem | |
Fall wurden Frieden oder Demokratie dauerhaft installiert und | |
Menschenrechte gesichert. | |
"Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Demokraten in Afghanistan", | |
meint der grüne Abgeordnete Tom Koenigs. Doch die Rechtfertigung solcher | |
Kriege mit dem Begriff "Verantwortung" taugt nicht. Der Begriff ist ein | |
Kobold der politischen Theorie: Je nach Perspektive und Interessenlage kann | |
mit ihm eine Intervention oder das Gegenteil begründet werden. "Unsere" | |
Verantwortung für den Krieg gegen Afghanistan hat ihre Grundlage angeblich | |
in den universell gültigen Menschenrechten. Nimmt man diese jedoch ernst | |
nimmt, darf man sie nicht für restlos partikulare Interessenpolitik wie den | |
"Krieg gegen den Terror" instrumentalisieren, denn das führt zu | |
Widersprüchen. | |
Unsere "Verantwortung" verstummt immer wieder gegenüber Chinas | |
Tibet-Politik, Putins Regime im Kaukasus und Israels Unterdrückung der | |
Palästinenser. Wer "Verantwortung" predigt, will betrügen. Und wer | |
interveniert, um "Verantwortung in Verantwortung" an Afghanistan "zu | |
übergeben", wie es Ruprecht Polenz (CDU) postuliert, der betrügt doppelt - | |
sich selbst und die Afghanen. | |
11 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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