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# taz.de -- Debatte Sparkonzept von Schwarz-Gelb: Tückische Umdeutung
> Das Sparkonzept steht. Sozialkürzungen werden als "effizient" verkauft.
> Das ist pure Ideologie und Kalkül mit Blick auf die Mittelschichten
Nun ist es also eingetreten: Kritiker, die im vergangenen Jahr in der
Finanzkrise vor der zunehmenden Verschuldung und vor sozialen Kürzungen
warnten, wurden noch als Schwarzseher gescholten. Doch jetzt liegt das
größte Sparkonzept der bundesdeutschen Geschichte vor - und ist ein
drastisches Beispiel für politische Umdeutungen und Verlagerungen, die
Ungerechtigkeiten kaschieren.
80 Milliarden Euro müssen bis zum Jahr 2014 im Bundeshaushalt eingespart
werden, wegen der hohen staatlichen Verschuldung und der selbst verordneten
Schuldenbremse, die in der Zukunft wirkt. Nun ist wenig dagegen
einzuwenden, dass steuerliche Nachlässe für energieintensive Unternehmen
abgebaut werden, eine Luftverkehrsabgabe kommt und die Bundeswehr ihr
Personal reduziert. Doch warum sollen Arbeitslose und Wohngeldempfänger
bluten für die Folgen einer global ausgelösten Wirtschafts- und
Finanzkrise, für die sie nichts, aber auch gar nichts können?
Laut Sparkonzept sollen Empfänger von Arbeitslosengeld I, die in den Bezug
von Hartz IV rutschen, keine auf zwei Jahre befristeten Zuschüsse mehr
erhalten. Es gibt weniger Beschäftigungsmaßnahmen für Erwerbslose. Das
Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger mit Neugeborenen soll gestrichen werden.
Der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger entfällt. 5 Milliarden sollen
im nächsten Jahr bei den Sozialausgaben eingespart werden. Und im folgenden
Jahr noch deutlich mehr - und so geht es weiter bis 2014.
Wenn staatliche Ausgaben gekürzt werden, trifft dies naturgemäß die
Schwachen, denn vor allem sie bekommen Transfergelder. Deswegen ist die
Alternative "Steuern erhöhen" oder "Ausgaben kürzen" die entscheidende
Verteilungsfrage. Die Regierungskoalition hat sich für die zweite
Finanzierungsvariante entschieden.
Die Sparaktionen werden dabei mit Umdeutungen begleitet - und das ist
gruselig: Das Sparen soll als etwas Verantwortungsvolles und daher Edles,
eine Art nationale Aufgabe verkauft werden. "Freibier für alle macht
beliebt, aber dann fährt der Karren vor die Wand", sagt FDP-Chef Guido
Westerwelle. Er tritt auf als einer, der das Realitätsprinzip verkörpert,
eine Wahrheit, die nicht mehr hinterfragt werden kann. Das ist eine
hochwirksame ideologische Konstruktion.
Dazu passt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder von Sozialleistungen
spricht, die "effizienter" eingesetzt werden sollen. FDP-Generalsekretär
Christian Lindner hatte bereits erklärt, ein Elterngeld, das
Hartz-IV-Empfänger 14 Monate lang zusätzlich zu ihrer Sozialleistung
bekommen, sei "systemwidrig".
Nun ist es schon gewagt, nach einer Wirtschafts- und Finanzkrise mit
bislang ungekannten Staatshilfen etwas von "Systemwidrigkeit" zu erzählen.
Welches "System" lag eigentlich der Maßnahme zugrunde, den Bürgern im
vergangenen Jahr öffentliches Geld zu zahlen, wenn sie ihr betagtes Auto
vorzeitig gegen einen Neuwagen austauschten? Viele der Konjunkturmaßnahmen
im vergangenen Jahr wirken heute wie "Top Kill"-Rettungsversuche in einer
Notsituation, für die es keine Blaupause gab.
Und was sind beispielsweise "effiziente" Arbeitsmarktmaßnahmen, auch von
der Kanzlerin jetzt wieder eingefordert? Oft werden den Chancenlosen vom
Jobcenter nur einige Monate Beschäftigung und ein kleines Zusatzeinkommen
geboten; dabei geht es um Lebensqualität. Ob das nun "effizient" ist oder
nicht, ist schlichtweg eine Frage der sozialen Perspektive.
Es ist symptomatisch, dass jetzt wieder die Sprache aus der "Agenda 2010" -
also aus der Zeit der Einführung von Hartz IV - benutzt wird, um das Sparen
als eine Art moralische Sanierung zu verkaufen. Das klingt ganz so, als
seien in Deutschland bislang Wohltaten verteilt und die Transferempfänger
verwöhnt worden.
Dabei wurde aber schon seit Jahren gespart: Walter Riester (SPD) musste zu
Zeiten von SPD-Finanzminister Hans Eichel im Jahr 2000 umgerechnet
6,4^hMilliarden Euro einsparen. Es folgten Rentenreformen, Hartz IV, mehr
Eigenbeiträge für die Krankenversorgung. Ein Aufwuchs an Sozialleistungen
sieht anders aus.
Schon das Wort von der "Verschuldung" führt in die Irre. Bei einer
"Verschuldung" ist irgendwer verantwortlich und muss das abzahlen. Die
staatlichen Schulden sind infolge einer global ausgelösten Finanz- und
Wirtschaftskrise, den damit verbundenen sinkenden Steuereinnahmen und den
Ausgaben durch die Konjunkturpakete entstanden - und durch die vereinbarte
"Schuldenbremse", die die Bezahlung wie einen unverantwortlichen
Ratenkredit in die Zukunft verschob. Diejenigen, die jetzt leiden sollen,
sind nicht dafür verantwortlich.
Die Verlagerung von Schulden als eine Art moralische Sanierung zu verkaufen
ist politisches Kalkül. Die Regierung setzt aber wohl auch darauf, dass die
wechselseitige Solidarität schwindet, wenn alle sparen sollen. Die
Angehörigen der Mittelschichtmilieus murren etwa über die milde Absenkung
des Elterngeldes und leiden ohnehin unter den Löchern in den kommunalen
Finanzen, unter lückenhaftem Lehrpersonal in den Schulen, langen
Arztwartezeiten als Kassenpatient und befristeten Arbeitsverträgen. Sollen
sich die Hartz-IV-Empfänger also nicht so haben.
Und dann gibt es ja auch Milderndes: Die Regierung weist beim Sparen
ökologische Elemente vor, indem sie Subventionen für die energieintensiven
Unternehmen kürzt. Auch die hohe Besteuerung von Atomenenergie ist ein
geschickter Schachzug - dabei können die WählerInnen leicht vergessen, dass
die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken allen früheren Zusagen
widerspricht.
Es erschien der schwarz-gelben Regierungskoalition mit Blick auf breite
Wählerschichten sicherer, weder eine Erhöhung von Spitzensteuersätzen,
Erbschaft- oder Vermögensteuern ernsthaft zu diskutieren. Diese Diskussion
wäre nötig gewesen, wenn es um die Begleichung von "Schulden" als eine Art
nationaler Kraftakt geht. Letztlich zählen aber nur die Mehrheiten. Das
Sparkonzept mit seiner ideologischen Verpackung zeigt auf drastische Weise
diesen Stand der Verteilungsdebatte an.
8 Jun 2010
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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