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# taz.de -- Nach den Unruhen in Kirgistan: Rückkehr in ein zerstörtes Land
> Patrouillen statt Barrikaden: Während Usbeken und Kirgisen die Straßen
> kontrollieren, kehren die ersten Flüchtlinge nach Kirgistan zurück. Doch
> die Lage bleibt angespannt.
Bild: Über die Grenze nach Hause: Die ersten usbekischen Familien kehren aus U…
DSCHALALABAD taz | Die usbekischen Flüchtlinge kehren nach Kirgisien
zurück. Hunderte Frauen und Kinder überqueren auf schmalen Feldwegen die
usbekisch-kirgisische Grenze in Begabad, zwölf Kilometer südlich von
Dschalalabad. Die 30-jährige Sachita Keschebajewa sitzt erschöpft am
Lehmpfad im Schatten eines Baumes, im Arm schreit die acht Monate alte
Tochter. Der 10-jährige Sohn bewacht ernst die zwei chinesischen
Leinenpakete, in denen Hab und Gut verschnürt sind.
"Ich habe natürlich Angst", sagt sie, "doch die Lage soll sich ja beruhigt
haben." Bald solle ihr Mann mit dem Auto kommen und die Familie abholen.
"Wir sind in Usbekistan gut behandelt worden, sie haben uns auch gut
versorgt", beteuert Frau Keschebajewa, "aber wir wollen jetzt nach Hause."
Am Sonntag vor einer Woche entbrannten auch in Dschalalabad, der nach Osch
zweitgrößten Stadt im Süden Kirgisiens, die Pogrome gegen die usbekische
Minderheit. Nach Aussagen örtlicher Usbeken seien deswegen innerhalb
kürzester Zeit über hunderttausend Frauen und Kinder aus Dschalalabad und
der angrenzenden Grenzprovinz Susak ins benachbarte Usbekistan geflüchtet.
Nur die Männer seien geblieben und hätten sich in Susak verschanzt.
Abdu Matalijew ist in Susak jetzt einer der usbekischen Führer. Nach dem
Ausbruch der Unruhe ist der Usbeke aus der Hauptstadt Bischkek in die
Heimat geeilt. Die Männer hätten Barrikaden errichten. "Wir hatten nur
Jagdgewehre", die andere Seite sei jedoch uniformiert, gut bewaffnet und
sogar mit Schützenpanzern angerückt, berichtet der Usbeke.
"Erst nachher haben wir verstanden, dass diese nur Provokateure waren",
sagt er. Es sei ihnen auch gelungen, den Plünderern den Eintritt nach Susak
zu verwehren. Als Regierungstruppen aus Bischkek nach Dschalalabad und
Susak gekommen seien, waren auch Verhandlungen mit den Aufrührern möglich.
Am Sonntag patrouillieren Usbeken und kirgisische Soldaten gemeinsam auf
den Straßen der Grenzprovinz und auch die Barrikaden sind weggeräumt. "Wir
haben die Lage wieder unter Kontrolle, und deshalb kommen die Frauen nach
Susak", erklärt Abdu Matalijew. Bald schon würden die Flüchtlinge auch nach
Dschalalabad zurückkehren.
Dort hat sich am Sonntag die Lage wieder beruhigt und unweit der von Ruß
verschmierten Ruinen planschen schon wieder die Kinder im Stadtbrunnen. Der
Gouverneur der Stadt ist überzeugt, dass die Unruhen vorbei seien. Auch
hierher würden die Flüchtlinge bald zurückkehren.
Zwei usbekische Viertel, das um die "Universität der Völkerfreundschaft"
und die Hodschi Mahalla, sind bis auf die Grundmauern niedergebrannt
worden. Ein Usbeke sitzt in dem Trümmern seines Hauses und stiert auf die
schwarzen Steinmauern. Die Nachbarn berichten, dass sich dessen Frau vor
den Plünderern in den Keller geflüchtet habe und dann sei sie dem Feuer
nicht mehr entkommen.
Die zerstörte "Universität der Völkerfreundschaft" wurde von dem
wohlhabenden usbekischen Geschäftsmann Kadirschon Batirow gegründet. Bei
der April-Revolution, als der kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew
verjagt wurde, hatte der Usbeke die jahrelange Neutralität der usbekischen
Minderheit im innerkirgisischen Machtkampf aufgeben, die provisorische
Regierung unterstützt und sich damit gegen Bakijew gestellt. "Das war ein
Fehler, denn damit hat er alle Kirgisen im Süden gegen die Usbeken
aufgebracht", kritisiert der Usbekenführer Matalijew in Susak. Batirow ist
abgetaucht, vielleicht nach Usbekistan geflüchtet. Die überlebenden Usbeken
versuchen nun, in Dschalalabad wieder neu anzufangen - auch wenn sie nicht
wissen, wie.
21 Jun 2010
## AUTOREN
Marcus Bensmann
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