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# taz.de -- Innenminister bei Protesten getötet: Ausnahmezustand in Kirgisien
> Preiserhöhungen haben in Kirgisien Proteste gegen den Präsidenten
> ausgelöst. Die gewaltsamen Zusammenstöße forderten viele Tote - laut
> Opposition bis zu 100.
Bild: Polizeigewalt nach Steinewürfen.
BERLIN taz Die zentralasiatische Republik Kirgisien durchlebt erneut eine
schwere innenpolitische Krise. Bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen
Demonstranten und Sicherheitskräften in der kirgisischen Hauptstadt
Bischkek wurden am Mittwoch offenbar Dutzende Menschen getötet und über 100
verletzt. Rettungskräfte sprachen von mehr als 50 Toten.
Am Nachmittag stürmten Demonstranten das Parlament in Bischkek. Sie
besetzten auch das Anwesen von Präsident Bakijew. Außerhalb des
Regierungssitzes gingen am Abend Sicherheitskräfte erneut mit scharfer
Munition gegen tausende Demonstranten vor. In der Nähe konnten Zeugen
Explosionen hören. Nach Angaben von Menschenrechtlern ist unter den
Getöteten auch Innenminister Moldomussa Kongantijew, der zuvor entführt
worden sein soll. In Bischkek und in den nördlichen Provinzen wurde der
Ausnahmezustand verhängt.
Am Morgen war es zu Straßenschlachten mit der Polizei gekommen, als sich
tausende Demonstranten vor dem Sitz der Opposition versammelten. Dort
wurden sie von Sicherheitskräften mit Gummigeschossen, Tränengas,
Blendgranaten und Wasserwerfern erwartet. Kleine Gruppen von
Regierungskritikern, von denen einige bewaffnet gewesen sein sollen,
zündeten Mannschaftswagen an und bewarfen Polizisten mit Steinen. Rund
5.000 aufgebrachte Demonstranten, die den Rücktritt von Staatschef
Kurmanbek Bakijew forderten, zogen daraufhin ins Stadtzentrum. Als die
Menge das Regierungsgebäude angriff, schoss die Polizei wahllos mit
scharfer Munition in die Menge. Eine weitere Gruppe von Demonstranten
stürmte unterdessen das Gebäude des staatlichen Rundfunks. Begonnen hatten
die Proteste, die unter anderem durch eine massive Erhöhung von Strom- und
Heizkosten ausgelöst worden waren, bereits am Dienstag in Talas. Bilder des
Präsidenten gingen in Flammen auf. Zu Besetzungen örtlicher
Verwaltungsgebäude kam es auch in den Städten Tokmok, Osch und Naryn, wo
rund 5.000 Anhänger der Opposition den Sitz der Regionalregierung stürmten
und einen Volksgouverneur einsetzen. In der Nacht zum Mittwoch wurden
Journalisten angegriffen und Anführer der Opposition verhaftet - darunter
auch der Expremierminister und derzeitige Chef der Sozialdemokratischen
Partei, Almaz Atabajew, sowie der Vorsitzende der Vaterlands-Partei,
Omurbek Tekebjew. Die Staatsanwaltschaft kündigte Ermittlungen wegen
besonders schwerer Verbrechen gegen die betroffenen Politiker an. Den
gewalttätigen Auseinandersetzungen waren seit Wochen wachsende Spannungen
zwischen der Opposition und der Regierung von Bakijew vorausgegangen. Seine
Kritiker werfen dem Präsidenten unter anderem vor, die Pressefreiheit immer
weiter einzuschränken und die Korruption zu befördern. Bakijew führte 2005
die Protestbewegung in Kirgisien an und kam im Zuge der "Tulpenrevolution"
an die Macht, die seinen Vorgänger Askar Akajew aus dem Amt fegte. Damals
erklärte er vollmundig, er werde gegen Korruption und Vetternwirtschaft
vorgehen sowie demokratische Reformen einleiten.
Doch die Realität in dem 5,5-Millionen-Einwohner-Staat, der zu den ärmsten
Nachfolgestaaten der Sowjetunion gehört, sieht anders aus. Bakijew hat ein
autoritäres Regime errichtet, in dem vor allem Journalisten ständig
verschärften Repressionen ausgesetzt sind. Einige Internetseiten, die vor
wenigen Wochen gesperrt wurden, sind immer noch nicht zugänglich. Bakijews
Wiederwahl zum Präsidenten 2009 war von Verstößen gegen das Wahlgesetz
begleitet. Für zusätzliche Verärgerung sorgte im November vergangenen
Jahres die Ernennung von Präsidentensohn Maxim zum Chef einer staatlichen
Agentur, die für in- und ausländische Investitionen verantwortlich ist.
Der Kaukasus- und Zentralasienexperte Uwe Halbach von der Stiftung für
Wissenschaft und Politik in Berlin sieht in der wachsenden Unzufriedenheit
mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung den Auslöser der jüngsten
Unruhen. Die Krise sei auch eine Folge der Politik Russlands, die die Zölle
gegenüber Kirgisien verschärft und Erdölprodukte für Bischkek verteuert
habe. Ein ähnliches Szenario wie 2005 hält er derzeit eher für
unwahrscheinlich. Dazu sei die Opposition nicht gut genug aufgestellt.
Zudem habe die Regierung ihre Sicherheitskräfte verstärkt. "Und die wird
sie", so Halbach, "auch einsetzen."
7 Apr 2010
## AUTOREN
Barbara Oertel
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