# taz.de -- Affäre um L'Oréal: Die Milliarden der Madame Bettencourt | |
> Die reichste Frau Frankreichs verschenkt Geld. Zu viel, findet die | |
> Tochter. Der Butler spioniert und entdeckt politisch Brisantes: die | |
> Affäre L'Oréal. | |
Bild: L'Oréal-Erbin und Frankreichs reichste Frau: Liliane Bettencourt. | |
PARIS taz | Zwölf Monate lang hat der Butler alles mitgehört, was im | |
Arbeitszimmer seiner Arbeitgeberin gesagt und manchmal nur geflüstert | |
wurde. Liliane Bettencourt, 87 Jahre alt, gilt als die reichste Frau | |
Frankreichs. Was sie beispielsweise mit ihrem Vermögensverwalter Patrice de | |
Maistre oder dem Notar Jean-Michel Normand zu besprechen hatte, war | |
tatsächlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Der Butler hat - | |
angeblich aus eigenem Antrieb - mit einem versteckten Diktafon die | |
vertraulichen Gespräche aufgezeichnet und diese auf insgesamt 28 CD-ROMs | |
der Person ausgeliefert, die Liliane Bettencourt heute als ihre schlimmste | |
Feindin betrachtet: ihre Tochter Françoise. Diese übergab die Dokumente | |
umgehend der Finanzbrigade der Polizei. | |
Die Aufnahmen können ihrer Meinung nach den definitiven Beweis dafür | |
erbringen, dass ihre betagte Mutter nicht mehr im Vollbesitz ihrer | |
geistigen Kräfte ist und von skrupellosen Beratern und habgierigen | |
Mitarbeitern manipuliert und ausgenutzt wird. In den vom Internetmagazin | |
Médiapart publizierten Auszügen ist nicht nur von Erbschleichern, sondern | |
auch von Steuerbetrug, geheimen Bankkonten in der Schweiz, Wahlspenden und | |
kompromittierenden Kontakten zu Ministern und zur Staatsführung die Rede. | |
Großzügige Gönnerin | |
L‘Oréal-Erbin Liliane Bettencourt kann es sich leisten, großzügig zu sein. | |
Ihr Vermögen wird auf 13 bis 15 Milliarden Euro geschätzt. Doch nach | |
Ansicht der Tochter und designierten Alleinerbin Françoise | |
Bettencourt-Meyers hat alles vernünftige Grenzen, auch die Wohltätigkeit. | |
Ihre Mutter war immer als Mäzenin bekannt, die über ihre Stiftung | |
zahlreiche Hilfsprojekte finanzierte. Mehr als suspekt findet die Tochter | |
jedoch die ins Maßlose steigenden Geschenke an den Fotografen | |
François-Marie Banier. Diesem Freund soll Liliane Bettencourt im Verlauf | |
der Jahre Geschenke in Form von Geld, Immobilien und Kunstwerken im | |
Gesamtwert von annähernd einer Milliarde Euro gemacht haben. Für die | |
Tochter handelt es sich um sträflichen Missbrauch der Willensschwäche einer | |
alten Dame mit einem zu großen Herzen. Diese verwahrte sich mehrfach und | |
resolut gegen die Behauptung, dass sie nicht mehr ganz zurechnungsfähig | |
sei. Einer Expertise unabhängiger Ärzte wollte sie sich aber nicht | |
unterziehen, weil sie das als unzumutbar erachtete. | |
Aufgrund einer Strafklage von Françoise Bettencourt-Meyers und der | |
Hartnäckigkeit eines Untersuchungsrichters soll sich Banier Anfang Juli vor | |
dem Strafgericht von Nanterre bei Paris verantworten. Dass es zur | |
Verhandlung kommt, ist einem hartnäckigen Untersuchungsrichter zu | |
verdanken. Die Staatsanwaltschaft wollte eigentlich die Klage abweisen und | |
einen Prozess vermeiden, der womöglich weitreichende Konsequenzen für das | |
Kosmetikunternehmen L‘Oréal haben könnte. | |
Liliane Bettencourt ist mit einem Kapitalanteil von rund 30 Prozent bisher | |
Hauptaktionärin. Fast ebenso groß ist der Anteil des Schweizer Konzerns | |
Nestlé, der schon lange auf ein größeres Kuchenteil schielt. Dass eines der | |
bekanntesten und profitabelsten Unternehmen des Landes in ausländische | |
Hände gerät, würde die französische Staatsführung gern verhindern. Ob | |
Françoise Bettencourt-Meyers ebenfalls von einem solchen | |
Wirtschaftspatriotismus beseelt ist wie ihre Mutter, ist nicht bekannt. | |
Diese hochrangigen Wirtschaftsinteressen rücken den Familienstreit um die | |
Zurechnungsfähigkeit der L‘Oréal-Erbin in ein anderes Licht. | |
Die jetzt in den Medien zirkulierenden Aufzeichnungen des Butlers scheinen | |
tatsächlich zu belegen, dass Madame Bettencourt sich oft nicht an frühere | |
Anweisungen an ihre Berater erinnert. Das gilt erst recht für das Ausmaß | |
ihrer Zuwendungen an Banier. Diesen hatte sie sogar in einem der letzten | |
Testamente als Universalerben eingesetzt, erfuhr sie laut dem | |
mitgeschnittenen Gespräch zu ihrem Erstaunen von ihrem Notar: "Wie viel | |
habe ich Banier vermacht? Welchen Anteil? – Universalerbe. - Das heißt? – | |
Alles. – Oh nein! – Oh doch… Sie haben mir das so gesagt. – Wer? Ich?" | |
Ebenso überrascht scheint sie zu sein, als man ihr sagte, dass eine Insel | |
der Seychellen, die sie 1999 von der Schah-Familie gekauft, aber dem Fiskus | |
nie deklariert hatte, nun ihrem Protegé Banier samt einer mit 20 Millionen | |
Euro dotierten Stiftung zum Unterhalt des Eilands gehöre. | |
Der Vermögensverwalter de Maistre wünscht sich in einem anderen Gespräch | |
eine Jacht. Er schlägt Bettencourt vor, das Finanzielle in aller Diskretion | |
in der Schweiz zu regeln. Dort müssten ja ohnehin dringend die Spuren einer | |
Steuerhinterziehung verwischt werden. Er bietet an, zu diesem Zweck | |
Guthaben auf zwei Konten im Wert von rund 80 Millionen nach Singapur zu | |
transferieren, bevor die französischen Steuerfahnder aufgrund eines neuen | |
Abkommens mit der Schweiz davon informiert werden könnten. | |
Ministergattin vermittelt | |
Zu solchen Vorsichtsmaßnahmen sahen sich die Beteiligten durch den vom | |
damaligen Haushaltsminister Eric Woerth verschärften Kampf gegen die | |
Steuerflucht und das Bankgeheimnis gezwungen. Um so seltsamer ist es, dass | |
Bettencourts Finanzberater de Maistre die Gattin von Woerth in eine | |
leitende Position der Verwaltung des persönlichen Bettencourt-Vermögens | |
vermittelte. Seit 2007 (also seit Ernennung Woerths zum Budget- und | |
Steuerminister) war Florence Woerth für die Firma Clymène mit der | |
Investition von Bettencourts L‘Oréal-Dividenden betraut. | |
Ein Schritt, den de Maistre im Nachhinein wohl bedauert hat. Madame Woerth | |
werde zum Risiko, stellt er in einem der vertraulichen Gespräche mit | |
Liliane Bettencourt fest: "Wenn Sie wollen, werde ich diskret ihren Mann | |
[Eric Woerth] treffen, um ihm zu sagen, dass wir angesichts der | |
Gerichtsverhandlung [gegen Banier] und wegen Nestlé aufpassen müssen und | |
dass wir darum seine Frau nicht behalten können. Wir geben ihr Geld, und | |
damit hat sichs." | |
Wenig später sagt er, er habe Woerth kommen lassen. "Wer ist das?", wollte | |
Bettencourt wissen, und ihr Verwalter antwortet: "Das ist unser | |
Finanzminister, er ist sehr sympathisch, außerdem befasst er sich mit Ihren | |
Steuern. Ich fand es darum nicht idiotisch, [ihn kommen zu lassen]. Er ist | |
sehr sympathisch, er ist ein Freund." Diese Anspielung ist der Opposition | |
nicht entgangen. Eva Joly im Namen der Grünen und Arnaud Montebourg von den | |
Sozialisten fordern Woerths Rücktritt. | |
Das allerdings schließt Woerth, der seit einer Kabinettsumbildung | |
Arbeitsminister ist, am Montag in einer Stellungnahme kategorisch aus. | |
"Sehe ich aus wie jemand, der Steuerbetrug deckt?" Er habe selbst | |
eventuelle Interessenkonflikte erwogen, sich dann aber gesagt, dass er sich | |
nicht in die berufliche Karriere seiner Gattin einmischen wolle, solange | |
deren Aufgabe in keiner Weise etwas mit Steuern zu tun habe. Aufgrund des | |
nun entstandenen Wirbels kündigt Woerth an, dass seine Frau ihre Stelle bei | |
Clymène umgehend aufgeben werde. | |
Liliane Bettencourt ihrerseits ließ mitteilen, sie wolle mit dem Fiskus | |
wegen allfälliger nicht versteuerter Guthaben im Ausland ins Reine kommen. | |
Was sie das kosten wird, ist für sie ein Pappenstiel. Das dürften aber noch | |
lange nicht die letzten Konsequenzen der Spionage im Hause Bettencourt | |
sein. In diesen Indiskretionen werden auch Wahlspenden beispielsweise an | |
Nicolas Sarkozy, Woerth oder an Forschungs- und Hochschulministerin Valérie | |
Pécresse erwähnt. Diese sind an sich nicht illegal, werden aber bestimmt | |
Anlass sein für weitere Recherchen. | |
Sarkozy mischt sich ein | |
Gegen den nach zwanzigjährigem Dienst entlassenen Butler Pascal wurde ein | |
Strafverfahren eingeleitet. Er hat seine Bespitzelung damit gerechtfertigt, | |
dass er nicht mitansehen konnte, wie seine Arbeitgeberin von allen | |
ausgenutzt wurde. Was mit seinen illegalen Aufzeichnungen geschieht, muss | |
die Justiz entscheiden. Der Prozess gegen Banier könnte wegen des | |
zusätzlichen Belastungsmaterials und neuer Straftatbestände verschoben | |
werden. | |
Bettencourts Berater de Maistre rühmte sich in den Aufzeichnungen | |
allerbester Beziehungen. Regelmäßig habe er Präsident Sarkozys juristischen | |
Berater Patrick Ouart getroffen, der ihm im voraus verraten hat, dass der | |
Staatsanwalt die Klage gegen Banier eigentlich abweisen wolle. Da der | |
Präsident die Sache persönlich verfolge, müsse sich Madame Bettencourt | |
keine Sorgen machen, auch wenn der Prozess in erster Instanz verloren gehen | |
sollte: "Im Berufungsgericht kennen wir den Staatsanwalt sehr, sehr gut." | |
Dass da ganz ungeniert die Möglichkeit einer Einmischung der Staatsführung | |
in die Justiz erwogen wird, schockiert zumindest die Anhänger einer | |
Gewaltentrennung. Wirklich überrascht darüber ist in Frankreich aber | |
niemand. | |
23 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
Rudolf Balmer | |
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Kosmetik | |
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