# taz.de -- Englands Presse fordert Capellos Kopf: "Der praktische Sündenbock" | |
> Nach dem Achtelfinal-Aus gerät Englands Trainer Capello unter Druck. | |
> Viele Zeitungen fordern seinen Rücktritt. Der will davon nichts wissen | |
> und schiebt die Schuld für die Niederlage auf die Schiedsrichter. | |
Bild: Einsam: Fabio Capello. | |
LONDON dpa | Nach der schmachvollen 1:4-Niederlage gegen die deutsche | |
Fußball-Nationalmannschaft haben Teile von Englands Presse den sofortigen | |
Abschied von Coach Fabio Capello gefordert. "Zeit zu gehen, Fabio", schrieb | |
das mit knapp drei Millionen Exemplaren auflagenstärkste Boulevardblatt The | |
Sun am Montag und wurde noch deutlicher: "Verzieh Dich, und nimm Deine | |
Spieler mit." Auch der Mirror forderte den 64 Jahre alten Italiener unter | |
der Überschrift "Fabi-Go" zum "Rücktritt in Schande" auf. | |
Nach der Schlappe gegen die glänzend aufspielende DFB-Elf hatte sich | |
Capello zunächst ambivalent geäußert. Ein Rücktritt sei ausgeschlossen, | |
aber er werde mit dem Vorsitzenden des englischen Fußballverbandes FA, Sir | |
Dave Richards, ein Gespräch über die Zukunft führen. "Ich habe Zeit zu | |
entscheiden", erklärte der Nationaltrainer. | |
Die FA hatte Capellos bis 2012 laufenden Vertrag noch kurz vor der Abreise | |
nach Südafrika modifiziert und den italienischen Erfolgstrainer eine | |
Ausstiegsklausel streichen lassen, die es ihm erlaubt hätte, sein Amt nach | |
der WM niederzulegen. | |
Insgesamt ging Englands Presse am Tag nach dem WM-Aus mit den "Three Lions" | |
hart ins Gericht. England habe "Fußball aus dem Mittelalter" gespielt, | |
behauptete die Sun. "England wurde von einem geschmeidigeren, schnelleren, | |
clevereren Deutschland an die Wand gespielt", urteilte die Times und wollte | |
den Verweis auf "praktische Sündenböcke" mit dem uruguayischen | |
Linienrichter als letztem in einer langen Linie nicht mehr geltenlassen. | |
"Die Fehlschläge in Serie zwingen uns, genauer hinzusehen. Es liegt nicht | |
an ihnen. Es liegt an uns." | |
Beim Schuss von Frank Lampard in der 38. Minute war der Ball von der | |
Unterkante der Latte deutlich hinter der Torlinie aufgekommen. "Das Spiel | |
wäre nach dem 2:2 völlig anders verlaufen", hatte Fabio Capello nach dem | |
Spiel gewettert. Die Schiedsrichter hatten das aber übersehen. | |
Hier ein paar weitere Auszüge aus den englischen Kommentaren: | |
The Guardian: "Echos von 1966: Aber für Englands goldene Generation ist | |
alles aus - Einer der kontroversesten Momente in Englands Fußballgeschichte | |
kehrte zurück, um die Nationalspieler der heutigen Generation zu verfolgen. | |
England führt das Drama des Scheiterns wieder auf. Diese 44 Jahre ohne | |
einen WM-Sieg sind wohl nur der Auftakt der Wartezeit." | |
The Independent: "Opfer einer grausamen Ungerechtigkeit, aber am Ende wurde | |
England zu Recht geschlagen. Die gewitzteren Deutschen ließen England | |
chronisch träge aussehen. Am Ende machte die Qualität des Augenlichts des | |
Linienrichters den Unterschied aus, und Deutschlands überlegene Schnelle, | |
in den Beinen wie im Kopf." | |
Daily Telegraph: "Lassen Sie sich nicht von Fabio Capellos | |
Vernebelungsmanöver über Frank Lampards "Tor" in die Irre führen. Selbst | |
wenn das außergewöhnliche Tor des Mittelfeldmannes gegolten hätte, was es | |
hätte sollen, kann sich England nicht der brutalen Erkenntnis entziehen, | |
dass Deutschland in allen Belangen überlegen war." | |
The Times: "England draußen, Capello gibt Schiedsrichter die Schuld, | |
Englands alte Garde zeigt alle alten Schwächen - Irgendwo, unbeachtet im | |
Gewirr grimmig dreinblickender England-Spieler und fröhlicher, junger | |
Deutscher wäre der Sündenbock zu finden gewesen. Irgendwo im Bauch des Free | |
State Stadium war der uruguayische Linienrichter ... In der Vergangenheit | |
gab es immer praktische Sündenböcke, auf die sich englische Frustrationen | |
richten konnten - Peter Bonetti, Diego Maradona, David Beckham, Phil | |
Neville, Cristiano Ronaldo oder Urs Meier, der Schweizer Schiedsrichter -, | |
aber die Fehlschläge in Serie zwingen uns, genauer hinzusehen. Es liegt | |
nicht an ihnen. Es liegt an uns." | |
The Sun: "Zeit zu gehen, Fabio - Verzieh Dich, und nimm Deine Spieler mit. | |
Deutschland reißt England in Stücke, Fans sauer auf "Müll"-Team. Manche | |
Dinge ändern sich nie: Wieder eine WM, und wieder verabschiedet sich | |
England früh, mit gesenktem Kopf und ruiniertem Ruf, nachdem es Fußball aus | |
dem Mittelalter spielte." | |
The Mirror: "Fabi-Go: Capello sollte in Schande seinen Rücktritt | |
einreichen. Three Lions? Wir waren eher wie drei Kätzchen." | |
Daily Mail: "Oh mein Gott - die Worte des Linienrichters, als er die | |
Fernsehbilder sah. Es ist sinnlos, über Frank Lampards nicht gegebenes Tor | |
zu weinen, die Anzeigentafel lügt nicht. Wäre es so sehr anders gelaufen, | |
wenn es nach 38 Minuten 2:2 gestanden hätte? Hat jemand Rooney gesehen?" | |
Express: "Deutschland zerstört Englands WM-Träume - Nach 44 Jahren der | |
Schmerzen und des schwelenden Ärgers nahm Deutschland Revanche. Heute trägt | |
England alle Wunden davon. ... Dieses Mal überschritt der Ball klar die | |
Linie, aber England blieb deutlich hinter den Anforderungen zurück." | |
28 Jun 2010 | |
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Schwerpunkt Deniz Yücel | |
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