# taz.de -- Pro & Contra Fußball-Videobeweis: Beugehaft oder Fair Play | |
> Blatter argumentiert irrational, seine Abneigung gegen Videobeweise ist | |
> fast schon pathologisch, meint MARKUS VÖLKER. Dagegen fordert ANDREAS | |
> RÜTTENAUER mehr Fairness – auch von Manuel Neuer. | |
Bild: Englands Trainer Capello gehörte im Moment der Fehlentscheidung sicherli… | |
PRO Videobeweis | |
Die Fifa ist ein komischer Haufen. Wenn es darum geht, Geld zu scheffeln, | |
dann sind sie so modern wie nur irgend möglich. Wenn es allerdings ums | |
Regelwerk des Fußballspiels geht, dann sind sie einfach nur von gestern. | |
Joseph Blatter sträubt sich gegen den Videobeweis und gegen den Chip im | |
Ball, und zwar so energisch, dass man denken könnte, die Welt des Fußballs | |
sei dem Untergang geweiht, wenn der Beweis kommt. | |
Dabei wird alles im Reich des Joseph Blatter mit modernster Technik | |
abgwickelt, nicht zuletzt die Buchführung des Weltverbandes, doch auf dem | |
Platz soll die Technik nicht Einzug halten. Die Weigerung der Fifa ist | |
nicht nur absurd, sie ist sportfeindlich und undemokratisch. Sie führt zu | |
krassen Spielverzerrungen und grassierender Ungerechtigkeit auf dem Rasen. | |
Zudem öffnet sie der Korruption Tür und Tor, denn nicht jeder Referee ist | |
neutral, wie diverse Wettskandale beweisen. | |
Millionen, ach was, Milliarden Zuschauer haben auf ihren Bildschirmen | |
gesehen, dass der Schuss von Bloemfontein drin war, sie haben auch gesehen, | |
dass der Argentinier, der zum 1:0 gegen Mexiko traf, klar im Abseits stand. | |
Nicht gesehen haben es die Schiedsrichter und ihre Assistenten. Die | |
Diktatur der Unfähigen hat obsiegt über das Urteil der Masse. | |
Im Grunde dreht die Fifa jedem Fan eine Nase, wenn sie frech behauptet: | |
"Das ist halt so, damit müsst Ihr Euch abfinden, wir ändern nichts an der | |
Praxis!" Aber was ist um Himmels willen so schwer daran, bei strittigen | |
Torentscheidungen kurz das Spiel zu unterbrechen, sich hinter ein | |
Fernsehgerät zu klemmen und zu studieren, was wirklich passiert ist? | |
Alles spricht dafür. Nichts dagegen. Auch Blatters Einwand, die Technik | |
könne ja nicht in der fünften Liga eingesetzt werden, ist eine lächerliche | |
Schutzbehauptung. Denn die Fifa könnte den Videobeweis beschränken und nur | |
in den ersten Ligen zulassen beziehungsweise bei großen Turnieren. | |
Die Beratungsresistenz der Fifa ist fast schon pathologisch. Das Festhalten | |
am rein "menschlichen" Urteil der Schiris - und manchmal auch am Urteil von | |
solch bemitleidenswerten Gestalten wie Torrichtern - ist nicht | |
nachzuvollziehen, denn die Technik steht bereit. Die Firmen rennen der Fifa | |
geradezu die Bude ein. Aber gegen die Irrationalität des Joseph Blatter ist | |
kein Kraut gewachsen. Er wird die Krise des Schiedsrichterwesens aussitzen | |
wie einst Helmut Kohl. Dem Ex-Kanzler wurde, als er die Quelle von | |
illegalen Parteispenden partout nicht offenlegen wollte, Beugehaft | |
angedroht. Womit ist Joseph Blatter beizukommen? | |
MARKUS VÖLKER ist Sportredakteur der taz und berichtet aus Südafrika. | |
****** | |
CONTRA Videobeweis | |
Bitte nicht noch mehr Kontrolle! Der Glaube an die Verbesserung der | |
Gesellschaft durch immer perfektere Überwachung, er sollte nicht auch noch | |
in den Sport Einzug halten. Fehlentscheidungen wie die vom Sonntag sind | |
krass, vor allem wenn sie in diesem Fall Chancen verbauen, die sich nur | |
alle vier Jahre bieten. | |
Nun wird so getan, als könne man derartige Probleme lösen, indem man das | |
Schiedsrichterwesen technologisiert. Die Diskussion zeigt, dass das Problem | |
einzig bei den Referees gesehen wird, ganz so als wären sie es, die die | |
Fairness in den Sport zu bringen haben. Das sind aber die Sportler. Längst | |
hat die Sportgemeinde akzeptiert, dass zum Berufsbild eines gestandenen | |
Profis gehört, den Erfolg mit allen Mitteln – auch unerlaubten – | |
anzustreben. | |
Wäre es nicht ein Gebot der Fairness für Manuel Neuer gewesen, zum | |
Schiedsrichter zu gehen und zu sagen, dass der Ball hinter der Linie war? | |
Aber sicher! So laufen die meisten Spiele auf Bolzplätzen und in Parks ab. | |
Da funktioniert Fairness ganz ohne Schiedsrichter, Chip im Ball oder gar | |
Videobeweis. Gerne wird eingewendet. Warum sollte das im Profisport anders | |
sein? Weil es da um viel Geld geht? Betrug ist also okay, wenn man ihn | |
begeht, um noch reicher und schöner zu werden? Welch perverser Gedanke! | |
Die Deutschlandfahnen werden geschwungen und Manuel Neuer wird als wahrer | |
Schlawiner gefeiert, weil er den Ball schnell aus dem Tor gefischt hat und | |
nach einem Abschlag um ein Haar gar noch das 3:1 vorbereitet hätte. Wie | |
fair sind die, die das feiern? Nicht wenige werden darunter sein, für die | |
Thierry Henry nach seinem Handspiel in der WM-Qualifikation als ehrenwerter | |
Fußballer gestorben ist, die sich über Luis Fabianos Grinsen nach seiner | |
Handballeinlage gegen die Elfenbeinküste, tierisch aufgeregt haben. | |
Natürlich wäre es schön, wenn ein WM-Turnier ohne jede Fehlentscheidung von | |
Schiedsrichtern über die Bühne gehen könnte. Eine bessere Ausbildung, der | |
Abschied vom Korpsdenken in den Schiedsrichterkreisen, der das Aufkommen | |
von Verschwörungstheorien befördert, und, ja, vielleicht auch Torrichter, | |
die ganz genau hinschauen – all das würde manch ärgerliche Entscheidung zu | |
vermeiden helfen. | |
Doch wenn es um Fairness geht, sind in erster Linie die Spieler gefordert. | |
Es müsste nur einmal einer anfangen! Herr Neuer, wie schön wäre es doch, | |
wenn Sie den Anfang gemacht hätten! Nein, nicht die Technik macht den | |
Fußball fairer. Hier ist der Mensch gefragt. | |
ANDREAS RÜTTENAUER ist Sportredakteur der taz und berichtet ebenfalls aus | |
Südafrika. | |
28 Jun 2010 | |
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Schwerpunkt Deniz Yücel | |
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