# taz.de -- Private Viewing mit Abbas Khider: "Ein Recht aufs eigene Problem" | |
> Der deutsch-irakische Schriftssteller Abbas Khider freut sich mit Ghana | |
> und erzählt beim Private Viewing, warum er es vorzieht, auf Deutsch, | |
> nicht auf Arabisch zu schreiben. | |
Bild: Abbas Khider | |
"Ich hasse Sport", sagt Abbas Khider. Mehr als ein paar Liegestützen nach | |
dem Aufstehen seien nicht drin. "Als Kind war ich dick, richtig dick, also | |
stand ich im Tor", erzählt er lachend. "Aber auch als Torwart war ich nicht | |
gut. Ich hab mich dann aufs Taubenzüchten verlegt, mitten im | |
Irak-Iran-Krieg. Ab dann hatte auch ich eine Bezugsgruppe." | |
Wir laufen auf das Gelände des unlängst für Spaziergänger geöffneten | |
Berliner Flughafens Tempelhof. Khider ist von der riesigen, durch keine | |
Wurstbude und keine Skulptur definierten Feldfläche so begeistert wie ich. | |
Ich hole Bier, er sichert uns Plätze in dem einzigen Biergarten, natürlich | |
kann man auch hier Fußball gucken. | |
Der Schriftsteller ist bester Laune, die Lesereise vergangene Woche lief | |
gut, außerdem ist sein nächster Roman abgegeben. "Wenn ich das Gefühl habe, | |
ich kann nichts mehr für mein Buch tun, dann ist es fertig", sagt er. "Und | |
ich konnte nichts mehr dafür tun." Wovon es handelt, wird nicht verraten. | |
Khider schreibt auf Deutsch, dabei hat er die Sprache erst mit 27 Jahren | |
gelernt. Vier Jahre dauerte seine Odyssee als Flüchtling durch Jordanien, | |
Libyen, Tunesien, wieder Libyen, die Türkei, Griechenland, Italien, ehe er | |
nach nach unzähligen Gefängnisaufenthalten im Jahr 2000 schließlich in | |
München landete. Weitere sechs Jahre später erhielt er die deutsche | |
Staatsbürgerschaft. | |
In einem Interview hat er einmal gesagt, über die erlebten Schrecken könne | |
er nur auf Deutsch schreiben, denn die Fremdsprache halte ihn auf Distanz. | |
Ist das inzwischen anders? | |
"Nein", Khider zündet sich eine nächste Zigarette an. "Ich wurde ja nicht | |
nur von arabischen Händen gefoltert, sondern auch mit arabischen Worten." | |
Das sagt er völlig unsentimental. Die Amerikaner haben eine erste | |
Torchance, er amüsiert sich: "Jetzt haben aber einige Araber einen | |
Herzinfarkt gekriegt." Er ist für Ghana, wie fast alle hier im Biergarten, | |
eine afrikanische Mannschaft muss weiter kommen. Khider tippt 2:1 für | |
Ghana. | |
Oktoberfest in Bagdad | |
Identitätspolitik ist seine Sache nicht. Religion geht auch gar nicht, | |
Familie, na ja. Selbst Vater zu werden komme bislang nicht infrage. Er habe | |
zu viele tote Kinder gesehen, und wenn er mit seinen Nichten und Neffen | |
unterwegs sei, habe er einfach nur Angst um sie. Überhaupt fallen ihm | |
Bindungen nicht allzu leicht, er schüttelt den Kopf und ist sichtlich | |
unzufrieden mit sich. Und seine Familie im Irak? Die sei froh, dass er in | |
Sicherheit sei und nicht immer für Ärger sorge, vor allem seine Mutter. | |
Dabei profitierten sie heute von seiner Renitenz. Ein Bruder kam mit ihm | |
nach München, seine sieben anderen Geschwister sind im Irak geblieben, | |
"noch leben sie", fügt er knapp hinzu. Und sie haben einen Job. Wer eine | |
Bescheinigung vorzeigen kann, dass der Bruder gefoltert wurde, hat bessere | |
Chancen, Arbeit zu finden. | |
Die Ghanaer schießen das erste Tor, wir sind zufrieden. | |
Das erste Mal sei er 2003 in den Irak zurückgekehrt. Und das müsse er mir | |
erzählen, das sei unglaublich gewesen: Er war gerade ein paar Stunden da | |
und traf seine Familie zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder. Ich könne | |
mir ja vorstellen, wie es da zugegangen sei, alle am Weinen und so weiter, | |
und dann kamen amerikanische Soldaten, um das Haus nach Waffen zu | |
durchsuchen. Wo er herkomme?, fragten sie. Aus München, antwortete er. | |
Daraufhin die Soldaten: "Ah, München, Oktoberfest, toll. Hast du uns nicht | |
ein paar Bier mitgebracht?" Die wollten wahrscheinlich nett sein, aber das | |
war zu viel, Oktoberfest, so ein Scheiß, selbst ihm habe es die Sprache | |
verschlagen. Die Militärs fanden keine Waffen und sprühten zufrieden einen | |
Haken auf die Außenseite der Haustür: "Gute Familie", heißt das. | |
Wie fühlt sich das an, wenn man nach Jahren als Illegaler beginnt, in | |
München Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaften zu studieren, | |
zusammen mit all den deutschen Kommilitonen aus Mittelschichtsfamilien? Zu | |
Anfang, überlegt Khider, habe er die Probleme der anderen nicht so | |
verstanden. Jemand wird in der Kindheit von seinem Vater geschlagen, und | |
deswegen ist er bis heute depressiv. "Das leuchtete mir nicht ein", sagt er | |
lächelnd. "Aber dann wurde mir klar, jede Gesellschaft hat ihre eigenen | |
Verwerfungen und jeder ein Recht auf sein Problem." "Bewunderswerte | |
Toleranz", sage ich. "Sicher", sagt er, "was spricht gegen Toleranz?" | |
Wir konzentrieren uns aufs Spiel, das wird jetzt doch noch spannend. Khider | |
lag richtig, am Ende steht es 2:1. Alles klatscht, wir verlassen den Park, | |
es ist kurz vor Mitternacht und noch immer nicht dunkel. | |
28 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
## TAGS | |
Asylbewerber | |
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