# taz.de -- Private Viewing mit Tolu Ogunlesi: "Die haut ihr weg, kein Problem" | |
> Der nigerianische Schriftsteller Tolu Ogunlesi über Nationalismus im | |
> Fußball, das Scheitern seines Heimatlandes bei der WM und das | |
> unfreundlich-provinzielle Berlin. | |
Bild: Tolu Ogunlesi (re.): "In Nigeria werden seit dem Ende der Diktatur Journa… | |
BERLIN taz | Berlin ist Endstation, Dienstag früh geht es zurück nach | |
Lagos. In nur vier Wochen war Tolu Ogunlesi in London, Madrid, Stockholm, | |
Brüssel, auf der Art Basel und auf dem platten Land bei Freiburg. Immer den | |
Freunden nach; in London traf er seinen Vater, der ist Arzt und nahm dort | |
an einer Konferenz teil. "Reisen ist hier so einfach und billig - und keine | |
Grenzen, Wahnsinn!", der junge Schriftsteller aus Nigeria ist begeistert. | |
Wir stehen im Haus der Kulturen der Welt an der Bar Schlange. Kein Wunder, | |
dass viele Afrikaner Europa besser kennen als ihren eigenen Kontinent. Das | |
gelte auch für ihn. Ogunlesi spricht schnell, keine Ahnung, wann er mal | |
Luft holt. Südafrika komme ihm ungleich entfernter vor als London. "Was für | |
eine Bionade willst du?", frage ich. "Die mit dem meisten Zucker", sagt der | |
28-Jährige bestimmt. Auch das Bier ist ihm zu sauer. Er holt sein halb | |
volles Bierglas, das noch bei den Bekannten auf dem Nachbartisch steht, und | |
schüttet die Limonade hinein. Jetzt ginge es besser. | |
Ein Couchkarree mit weißen Polstern steht vor dem Flachbildschirm in der | |
Ecke des Cafés, wir setzen uns hin. Warum wohl darauf verzichtet wurde, auf | |
eine der Terrassen der Berliner Kongresshalle eine Leinwand aufzustellen? | |
Es leuchtet uns nicht ein, anderen offenbar auch nicht. Das | |
World-Cup-Viewing ist spärlich besucht. Aber die Atmosphäre in dem | |
großartigen 60-Jahre-Bau leicht und elegant. | |
Hast du eine Lieblingsmannschaft unter den Europäern? Ogunlesi überrumpelt | |
diese Frage. "Nein. Fußball ist für mich eine sehr nationalistische | |
Angelegenheit, mich interessiert nur Nigeria." Klar, ist man selbst erstmal | |
rausgeflogen, unterstütze man auch die anderen afrikanischen Mannschaften. | |
Viele Nigerianer haben sich auf Facebook ghanaische Namen gegeben, und nach | |
deren Niederlage gestern war dann der Running Gag: "Hey, du kannst wieder | |
Nigerianer sein! Die Ghanaer habens auch versiebt." Weder Spanien noch | |
Paraguay können Ogunlesis Aufmerksamkeit gewinnen. "Spanien gewinnt", tippt | |
er gelangweilt: 2:0. Er wird für längere Zeit nicht mehr auf den Bildschirm | |
sehen. | |
Und was ist mit seinen Nigerianern? Immerhin hat Staatspräsident Goodluck | |
Jonathan den Fußballverband nach dem frühen Ausscheiden der Mannschaft | |
kurzerhand für zwei Jahre aufgelöst. "Für den Fußball ist das fatal", | |
Ogunlesi ist sichtlich besorgt. Ich könne mir sicher sein, dass jetzt nicht | |
am Aufbau einer neuen Struktur gearbeitet würde. Der Präsident habe | |
vielmehr auf die Pausentaste gedrückt, um die Enttäuschung der Bevölkerung | |
für sich zu nutzen. Nächstes Jahr sind schließlich Wahlen. | |
Ogunlesis Leidenschaft gilt dem Schreiben, für seine Gedichtbände ist er | |
vielfach ausgezeichnet worden. Gerade arbeitet er an einem Sachbuch zur | |
Frage, warum Familien ihre Betriebe nicht von einer Generation in die | |
nächste vererben, sondern sich ständig in Erbstreitigkeiten verheddern. Als | |
Nächstes würde er gern einen der vielen Multimillionäre seines Landes | |
porträtieren. Noch arbeitet er hauptberuflich als politischer Journalist | |
für die Tageszeitung Next. Den Präsidenten hat er in seinen Kolumnen schon | |
oft angegriffen. | |
Gab es schon mal Ärger deswegen? "Nein. Politiker nehmen meine Texte viel | |
weniger ernst, als mir lieb ist." Er grinst. Generell würden in Nigeria | |
seit dem Ende der Diktatur vor zehn Jahren Journalisten nicht mehr | |
umgebracht, sondern gekauft. Entweder sie oder gleich die ganze Zeitung. | |
"Du verdienst also gut?", frage ich frech. Er übergeht meinen | |
Scherzversuch, wir haben wohl nicht die gleichen Humorschulen besucht. | |
Trotzdem haben wir es nett miteinander. | |
Ogunlesi fährt fort: "Korruption, das ist das Thema Nummer eins, auch unter | |
den Intellektuellen, Redefreiheit ist nicht das Problem." Und die Wahlen? | |
"Ja, mal sehen." Ogunlesi ist jetzt total konzentriert. Er engagiere sich | |
in einer Kampagne, die die jungen Leute politisieren wolle. Obama-Style. | |
Sie heißt "RSVP", für "Register, Select, Vote, Protect Your Vote". | |
Inzwischen gebe es einfache Möglichkeiten, die abgegebene Stimme vor | |
Manipulationen zu schützen. Du musst nur deinen Stimmzettel mit dem Handy | |
fotografieren und an die entsprechenden NGOs senden. Jeder hat bei uns ein | |
Handy." Zwei Demonstrationen haben sie schon organisiert, in Lagos und in | |
der Hauptstadt Abuja. Immerhin, ein paar tausend Leute waren da. Nicht | |
viel, aber überhaupt mal zu zeigen, wir erwarten etwas von der Politik, und | |
wir sind keine Rumhänger, sondern wir haben Jobs und Ambitionen, das war | |
schon gut. "Also bist du zuversichtlich?" Ogunlesi lächelt breit: "Man darf | |
nie zu viele Hoffnungen an ein Land knüpfen, das uns schon so oft | |
enttäuscht hat." | |
"Was hat dich in Deutschland am meisten überrascht?", frage ich kurz vor | |
Spielende. Der höfliche Mann weicht zunächst aus und sagt dann zögerlich: | |
"Mich hat schockiert, dass die Leute hier kein Englisch sprechen wollen." | |
Er korrigiert sich: "Aber das ist mein Fehler: falsche Erwartung. Sie | |
können es einfach nicht. Jetzt wird er doch ein wenig ungehalten: "Man | |
merkt der ganzen Stadt an, dass sich niemand darum bemüht, es | |
englischsprachigen Leuten leicht zu machen. Man ist stolz auf Deutschland, | |
und das wars. Damit hatte ich nicht gerechnet." | |
Kurz vor Schluss bekommt Paraguay einen Elfmeter. "Das schafft er nicht, | |
der ist zu nervös", sagt Ongulesi. Und behält recht. Kurz darauf | |
verschießen auch die Spanier. Ogunlesi springt auf. Für Dramatik ist er | |
natürlich doch zu haben. Also Deutschland gegen Spanien. "Die haut ihr weg, | |
kein Problem", sagt er zum Abschied. | |
4 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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