# taz.de -- Rot-Grün-Rot: Der Krampf geht weiter | |
> Selten trat die Kluft zwischen SPD und Linkspartei so deutlich zu Tage | |
> wie am Mittwoch in der Bundesversammlung. Doch die Pragmatiker machen | |
> schon wieder gemeinsam Politik. | |
Bild: Linke-Fraktionschef Gregor Gysi (links) und SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. | |
Eigentlich hatten sich der junge Linksparteipolitiker Jan Korte, der Grüne | |
Toni Hofreiter und der Sozialdemokrat Marco Bülow den Mittwochabend ganz | |
anders vorgestellt. Auf dem von jungen Parlamentariern aus SPD, Grünen und | |
Linkspartei organisierten rot-rot-grünen Sommerfest in Berlin-Mitte wollte | |
man zeigen, wie entspannt das Verhältnis zwischen den drei Parteien | |
inzwischen ist. Vor allem bei den Thirtyssomethings, die die routinierten | |
Abgrenzungsschlachten zwischen SPD und Linkspartei eher merkwürdig finden. | |
"Wir Jüngeren", so der 32-jährige Steffen Bockhahn, Linksparteichef in | |
Mecklenburg-Vorpommern, "haben die Verletzungsgeschichte der Älteren | |
nicht." | |
Doch dann kam die Bundesversammlung. Zwei Stunden zu spät trudelten linke | |
und grüne Parlamentarier aus dem Reichstag ein und brauchten als Erstes ein | |
Bier. Es hatte niemand ahnen können, dass Christian Wulff erst am späten | |
Abend im dritten Wahlgang Bundespräsident werden würde. Und dass | |
ausgerechnet an diesem Tag die Kluft zwischen Rot-Grün und der Linkspartei | |
so tief wie selten zuvor aufreißen würde. Wulf Gallert, linker | |
Fraktionschef in Sachsen-Anhalt, versuchte es mit Lakonie: "Das war kein | |
guter Tag." | |
Denn rund um die Bundesversammlung hatte den ganz Tag lang ein Hahnenkampf | |
zwischen den Spitzen von SPD, Grünen und Linkspartei getobt. Von Annäherung | |
keine Spur. "Die Linkspartei hätte mit der Wahl von Gauck ein für alle Mal | |
mit ihrer SED-Vergangenheit Schluss machen können", schimpfte | |
SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. SPD-Mann Thomas Oppermann bezeichnete die | |
Linkspartei als "Gefangene ihrer Ideologie". SPD-Vize Manuela Schwesig | |
kritisierte die Linke als Partei der der "ewig Gestrigen". Die Linkspartei | |
keilte zurück: Parteichefin Gesine Lötzsch fühlte sich "rüde beschimpft" | |
und warf Gabriel "Zockerei" vor. | |
Um kurz nach halb sechs am Mittwochabend hatten die Parteispitzen noch | |
zusammen gesessen, in Frank-Walter Steinmeiers Büro auf der Fraktionsebene, | |
drei Etagen über dem Plenum. Man wollte vor dem dritten Wahlgang vielleicht | |
doch einen Konsens finden. Doch es war nur ein Pro-Forma-Treffen. Die | |
Fronten waren verhärtet. Die Linkspartei war sauer, weil Rot-Grün ihr den | |
Kandidaten Gauck ohne Absprache vorgesetzt hatte. Und auch jetzt macht die | |
SPD, so Parteichef Gabriel, nur das "Angebot, Gauck zum Präsidenten zu | |
wählen". Die Linkspartei schlug Rot-Grün vor, eine neuen Kandidaten zu | |
nominieren - was Rot-Grün brüsk ablehnte. Als Lafontaine um kurz nach sechs | |
als einer der Ersten aus Steinmeiers Büro herausstürzte und zu seiner | |
Fraktion abbog, war klar, dass Rot-Rot-Grün weiter auseinander war als je | |
zuvor. Die SPD, so ein Ost-Pragmatiker aus der Linkspartei, glaube | |
offenbar, dass die FDP eher wieder zur Vernunft kommt, als dass die | |
Linkspartei regierungsfähig wird. Das sei die Botschaft der Gauck-Wahl. | |
Auf beiden Seiten schüttelt man danach in der Abendsonne auf der Terrasse | |
der Fraktionsebene im Reichstag verständnislos die Köpfe. Der Andere sei | |
schuld am Desaster, jeweils die andere Seite müsse sich bewegen, hieß es | |
unisono. | |
Linkspartei-Politiker Diether Dehm verglich dann auch noch Christian Wulff | |
und Joachim Gauck mit Hitler und Stalin. Wörtlich sagte er einem | |
ZDF-Reporter: "Was würden Sie denn machen, wenn Sie die Wahl zwischen | |
Hitler und Stalin, zwischen Pest und Cholera hätten?" Wulf Gallert | |
bescheinigte seinem Genossen "katastrophale Dummheit". Später entschuldigt | |
sich Dehm für diesen Fauxpas. Doch er veranschaulicht, wie vergiftet die | |
Atmosphäre zwischen SPD und Linkspartei ist. | |
Manche Pragmatiker bei der Linkspartei fürchten, dass sie nun in | |
rhetorischen Gefechten zwischen Scharfmachern wie Dehm und - auf SPD-Seite | |
- Thomas Oppermann zerrieben werden. "Wenn Rot-Grün uns wie einen Paria | |
behandelt, stärkt das natürlich die Fundis bei uns", so ein linker | |
Pragmatiker. Manche vermuten, dass Gabriel, der der Linkspartei die | |
Demokratietauglichkeit abspricht, einen so aggressiven Ton anschlägt, weil | |
er auf eine Spaltung der Linkspartei hofft. Die Stärkung der Fundis ist | |
kein Kollateralschaden, sondern Strategie. Irgendwann würden die | |
Ost-Pragmatiker dann entnervt den Weg zur SPD suchen. | |
Doch dafür spricht erst mal nichts. Die rüde Art, mit der Rot-Grün bei der | |
Gauck-Wahl mit der Linken umsprang, hat deren Zusammenhalt eher gestärkt. | |
Im dritten Wahlgang enthielt sich die Linke fast komplett. Der Eindruck, | |
dass Rot-Grün die Partei gespalten habe, sollte unbedingt vermieden werden. | |
Fraktionsvize Dietmar Bartsch, der über gute Kontakte in die SPD verfügt, | |
hält den Unfall bei der Bundespräsidentenwahl gleichwohl für reparabel. Man | |
habe sich eben zu viel Hoffnung gemacht. Als Lafontaine abtrat und in | |
Brandenburg die rot-rote Koalition gebildet wurden, hätten viele gedacht, | |
dass es so bis 2013 weitergehen würde. "Das war ein Irrtum." Trotzdem hält | |
Bartsch eine Mitte-links-Regierung 2013 für "nicht ausgeschlossen". | |
Entscheidend sei aber nicht eine Bundespräsidentenwahl oder ein Sommerfest, | |
sondern ob man Mehrheiten für rot-rot-grünen Themen organisieren könne. | |
Auch bei der SPD gibt man sich am Tag danach etwas gelassener. Immerhin, so | |
ein SPD-Linker, habe Gysi vor dem dritten Wahlgang die chancenlose | |
Kandidatin Luc Jochimsen zurückgezogen Und: "Auf der Arbeitsebene werden | |
wir in Zukunft vermehrt Gespräche führen", hieß es aus der Fraktion. Einen | |
Tag später war es schon so weit. Am Donnerstag trafen sich | |
Gesundheitspolitiker aus SPD, Grünen und Linker zu einem gemeinsamen | |
Pressetermin. Tenor: In unserem Gebiet geht es gemeinsam gegen die | |
Regierung. Und auch der Linksparteipolitiker Steffen Bockhahn hofft, dass | |
der Krach um Gauck heilende Wirkung hat. "Jetzt wissen zumindest alle, dass | |
Rot-Rot-Grün keine Zukunft hat, wenn es so weitergeht." | |
Doch auch bei den Wahlen 2011 wird es mehr als schwierig. Im März wird in | |
Sachsen-Anhalt gewählt. Die Linkspartei liegt dort weit vor der SPD. Doch | |
die SPD will, wie in Thüringen, auf keinen Fall einen linken | |
Ministerpräsidenten wählen. Der Krampf geht weiter. | |
2 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
S. Reinecke | |
G. Repinski | |
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