# taz.de -- Bundestrainer Joachim Löw: Der Fußball-Junkie | |
> Löw hat die Nationalmannschaft zu einer Werkstatt umfunktioniert, in der | |
> ständig gefriemelt und optimiert wird. Und daran arbeitet er mit | |
> religiösem Ethos. | |
Bild: Die Trainingsziele Löws: Laufen, Passen, Automatisieren. | |
ERASMIA taz | Joachim Löw sah aus, als hätte er nur ein Trainingsspiel | |
gegen die Auswahl der Provinz "La Pampa" gewonnen. Nichts in seinem | |
Mienenspiel deutete darauf hin, dass seiner Mannschaft gerade ein epochaler | |
Sieg gelungen war. "'S isch halt schon au' so", sagte er in seinem | |
badischen Singsang, "wenn man so spielt, schlägt man Argentinien 4:0." | |
Dabei hatten sie den Titelfavoriten gedemütigt, ihm nicht den Hauch einer | |
Chance gelassen. Wie geprügelte Hunde schlichen die Verlierer in die Kabine | |
des Kapstadter Stadions. Maradona sah aus, als bräuchte er jetzt sehr | |
starke Psychopharmaka, um seine heraufziehende Depression zu bekämpfen. | |
Messi war 90 Minuten auf der Suche nach sich selbst, fand ihn aber nicht, | |
den Dribbelkünstler und Kunstschützen. Argentinien war demontiert worden | |
von einer deutschen Mannschaft, die alles richtig gemacht hatte. Und was | |
tat Löw angesichts der fast schon historischen Ereignisse? Er blieb cool. | |
Andere hätten sich von der Bugwelle des Erfolgs wegtragen, hätten sich | |
treiben lassen im Meer der Selbstgefälligkeit. Nicht so der Bundestrainer, | |
der genau weiß, dass noch zwei Partien zu spielen sind. Sein Team braucht | |
ihn noch als nüchternen Analytiker und gewieften Taktiker. Also: Ruhe | |
bewahren! Denn jetzt kommt Spanien. | |
"Die Mannschaft hat, sag' ich jetzt mal, ein Willing gezeigt von | |
Champions." Das war so ein typischer Löw-Satz nach dem Spiel. Unaufgeregt, | |
ein bisschen holprig, aber nicht verkehrt. Man hat den Eindruck, dass sich | |
dieser Typ, der von der Pretoria News zum bestangezogenen Trainer des | |
Turnier gekürt wurde, nicht verstellt. Löw ist ein Muster an Authentizität. | |
Das schafft Vertrauen beim Publikum - und bei den Spielern. Er befriedigt | |
eine Sehnsucht nach Echtheit, die man auf der Bühne der Politik und der | |
bunten Unterhaltung oftmals vergeblich sucht. | |
Löw ist so unprätentiös, dass ihn logischwerweise alle Welt nur "Jogi" | |
nennt - oder gar den "Jogi-Meister", Initiator des Wintermärchens 2010. Wie | |
ein Statiker, der stolz ist auf seinen Brückenbau oder wie ein Autobauer, | |
der ein Gefährt mit einem Benzinverbrauch von zwei Litern auf 100 Kilometer | |
erfunden hat, so ist Joachim Löw, 50, geboren in Schönau, stolz auf das | |
Tuning seiner Mannschaft. | |
Es ist eine Art Ingenierskunst, die Löw an 23 Spielern vollführt: deutsche | |
Wertarbeit, Akribie, Voraussicht. Löw kann alles, außer Hochdeutsch. Dieser | |
Bundestrainer hat es geschafft, dass die Nationalmannschaft zu einer | |
Werkstatt geworden ist, in der ständig gefriemelt wird. Ein Psychologe | |
optimiert die Einstellung. Ein Scout durchleuchtet andere Teams mit | |
Röntgenblick. Fitnessexperten trimmen die Spieler derart, dass die | |
internationale Presse nur noch von der "german machine" spricht. | |
Und siehe da: Die jungen Spieler blühen auf, Bundesliga-Problemfälle wie | |
Lukas Podolski und Miroslav Klose werden zu Leistungsträgern in der | |
Startelf, das Spiel der Deutschen wird dank Löws Offensivfimmel gänzlich | |
undeutsch. Zu bestaunen ist ein fußballerisches Gesamtkunstwerk, ein | |
geöltes Räderwerk, dessen Funktionieren Löw täglich überwacht. Seine | |
Wertarbeit ist aber auch schön. Er könnte damit Designpreise gewinnen. Das | |
Spiel von Schweinsteiger, Özil und Co. generiert Wow-Effekte und | |
Aha-Erlebnisse. Es liegt wie ein Handschmeichler in der Faust der Fans. Die | |
können richtig gut Fußball spielen - das ist die Erkenntnis der Stunde. | |
Löw ist dem Fußball verfallen, ein Besessener ist er deswegen aber noch | |
lange nicht. Dafür erledigt er die Arbeit viel zu locker und unaufgeregt. | |
Löw ist vielmehr seit sieben Wochen in seinem Element: Endlich kann er | |
täglich mit Spielern arbeiten, sie formen und anleiten. Er ist kein | |
Teammanager, der die Arbeit auf dem Platz von Paladinen erledigen lässt. | |
Löw, der Übungsleiter, gestaltet ganz unmittelbar auf dem Rasen, räsoniert | |
über das "Spiel in die Spitze", über die "Seriensprintsportart Fußball", | |
über "Passen und Laufen" und die "Schulung der Kombinationen zur | |
Automatisierung". Das klingt nach Schufterei nah an der Grasnarbe. Und | |
genau diese Schufterei ist es, die Löw mit religiösem Ethos erledigt. Das | |
alles mag man gar nicht glauben, wenn er nach getaner Arbeit im Anzug von | |
Strenesse wie aus dem Ei gepellt und nicht ohne Anflug von Eitelkeit vor | |
die Presse tritt. Aber auch das kann er: einen guten Eindruck machen, den | |
netten Herrn Löw spielen. | |
Dass der nette Herr Löw auch anders kann, ist seit den gescheiterten | |
Vertragsverhandlungen mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) bekannt. | |
Offiziell ist Löw seit dem 1. Juli nicht mehr Bundestrainer. "Aber sie | |
können davon ausgehen, dass ich bis zum Ende des Turniers Bundestrainer | |
bin", sagte er dieser Tage. Aber was kommt nach dem 11. Juli, wenn das | |
Finale in Johannesburg gespielt ist? Da schweigt Löw sich aus. | |
Am Wochenende aber hat er derart vom Dasein eines Vereinstrainers | |
geschwärmt, dass der Eindruck entstehen musste, er würde lieber heute als | |
morgen bei einem Team im Ligabetrieb anheuern. Auf Spiegel Online sagte er: | |
"Als Vereinstrainer kann ich über einen langen Zeitraum mit einer | |
Mannschaft und auch individuell mit jedem einzelnen Spieler arbeiten." Er | |
kennt das aus seiner Zeit beim VfB Stuttgart, dem FC Tirol oder Austria | |
Wien. Dekoriert mit dem Titel, nach dem seine Elf mit spielerischer | |
Leichtigkeit greift, sollte Joachim Löw ein paar bessere Angebote bekommen. | |
4 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Deniz Yücel | |
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