| # taz.de -- 40 Jahre Roskilde-Festival: Arschlochfreie Zone | |
| > Seit 40 Jahren bewährt: Die Politik des Roskilde Festivals setzt auf | |
| > Solidarität, Gemeinschaftsgefühl und den Umweltgedanken. Das schätzen | |
| > auch die Künstler. | |
| Bild: Einzigartig unter den Open-Airs des Sommers: das Roskilde Festival. | |
| Was einem als Erstes auffällt, wenn man das Gelände des Roskilde Festivals | |
| betritt, ist die Abwesenheit von Selbstverständlichem. Die Ikonen der | |
| Weltwirtschaft fehlen. Hier stehen keine großen Werbewände für | |
| Zuckerlimonade oder Turnschuhe. Keine Macs, keine Kings, kein | |
| knebelbärtiger Großonkel aus Kentucky verkaufen Fleischmassen. Stattdessen | |
| bietet eine Bagel-Bude, betrieben vom Handballverein aus Helsinge, | |
| handbelegtes Backwerk an, und bei Lizes Öko Cocktails werden einem "100 % | |
| organic hangovers" versprochen. Roskilde ist nach 40 Jahren immer noch | |
| anders. | |
| Natürlich wird auch hier viel Geld umgesetzt, schließlich müssen sich die | |
| Besucher vier Tage lang verpflegen und mit allem ausstatten, was sie in | |
| dieser Zwangsgemeinschaft der 100.000 brauchen, und hinterlassen dabei | |
| knappe 1.000 Tonnen Müll. Ein echtes Problem für die Veranstalter, die sich | |
| dem Umweltgedanken mehr als verpflichtet fühlen. Und nicht nur dem, wird | |
| doch der Gewinn aus dem Ticketverkauf komplett gespendet. Die Roskilde | |
| Festival Charity Society hat nach eigenen Angaben seit Anfang der 70er | |
| Jahre rund 18 Millionen Euro sowohl an örtliche soziale Projekte wie an | |
| international arbeitende gemeinnützige Organisationen gespendet. Dem | |
| wollten übrigens die Gorillaz, einer der musikalisch besten Acts in diesem | |
| Jahr, nicht nachstehen: Sie spendeten eine Million Kronen an ausgewählte | |
| Projekte. | |
| Wie überhaupt die Musiker am besten ankommen, die den besonderen Geist | |
| Roskildes würdigen. Wenn Patti Smith auf der legendären Orange Stage mit | |
| bewundernswerter Energie den Rock-n-Roll-Nigger beschreit und ihre Liebe zu | |
| Gloria beschwört, ist das Publikum voll da. Ebenso wie Minuten später bei | |
| Brother Ali. Der muslimische Albino-Rapper aus Minneapolis erinnert gerne | |
| daran, dass wenige ihre Extras nur deshalb bekommen, weil viele zu wenig | |
| haben, und dass wir, wenn wir uns selbst lieben, auch die anderen weniger | |
| hassen und unterdrücken. Wohlgemerkt, der Mann ist zwar ein grandioser | |
| Prediger, trotzdem war das Hiphop und war das Party. Und natürlich mögen | |
| das einfache Wahrheiten sein, aber mehr Anspruch in ein paar Minuten Musik | |
| zu packen, schaffen auch die Besten nur in raren Momenten. | |
| So zieht auch im musikalischen Bereich die Politik der Veranstalter: Ein | |
| paar große Namen müssen sein, aber auf den kleineren Bühnen soll es | |
| abwechslungsreich, weltweit und gerne unbekannt zugehen. Die ewig gleichen | |
| Bands, die wie ein Treck die großen Sommerfestivals abgrasen, werden | |
| einfach nicht eingeladen. Dafür sagen Künstler wie die Gorillaz oder Prince | |
| zu, die die großen Veranstalter für Nürnberg oder den Nürburgring | |
| vergeblich umwerben. | |
| Möglich wird das Festival nur durch die 25.000 Freiwilligen, die für ihre | |
| je 24 Stunden Arbeit rund um das Festival freien Eintritt bekommen. Das | |
| fördert die Identifikation und sorgt dafür, dass ein Viertel der Gäste | |
| sagt: Das ist meine Party, willkommen daheim. Statt bärbeißiger | |
| Orang-Utans, denen das Wort Security auf die Brust tätowiert zu sein | |
| scheint, stehen hier wohlwollende Menschen am Einlass. So entsteht das, was | |
| Roskilde von den meisten Festivals dieser Größenordnung unterscheidet: eine | |
| entspannte Freundlichkeit, die sich auf alle überträgt. | |
| Die Bevölkerungsdichte dieser temporären Großstadt ist höher ist als die | |
| der Megacitys der Welt. Auch wenn hier kein modernes Utopia entsteht: Das | |
| Roskilde Festival ist eine bemerkenswert arschlochfreie Zone mit | |
| bemerkenswert guter Musik. Eine bemerkenswerte Bilanz, nach 40 Jahren. | |
| 5 Jul 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Eberhard Spohd | |
| ## TAGS | |
| Konzert | |
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