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# taz.de -- Generationswechsel im DFB-Team: Expedition Löw
> Joachim Löw hat eine Mannschaft geformt. Seine Mannschaft. Ohne
> Stinkstiefel, ohne kapriziöse Typen, ohne autoritäre Anführer. Aber ein
> verschworenes, ehrgeiziges und mündiges Team. Und ein verspieltes.
Bild: Ein Faible für Perspektivspieler: Joachim Löw.
Vor ein paar Jahren hatte Joachim Löw eine Vision. Es war Weihnachtszeit
und der Deutsche Fußball-Bund hatte zu einer Pressekonferenz in Frankfurt
geladen. Es ging um die Bilanz des WM-Jahres 2006. Aber Löw blickte nicht
zurück auf die turbulenten Ereignisse, jedenfalls nicht nur. Er schaute
voraus auf die kommenden Jahre, die seinen Spielern in der
Nationalmannschaft gehören sollten, "der goldenen Generation", wie der
Bundestrainer sie seinerzeit nannte.
Auf Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski, Per Mertesacker und Philipp
Lahm rieselte an der Otto-Fleck-Schneise güldener Staub herab. Ob er von
ihnen abfallen oder sie für alle Zeit schmücken sollte, war seinerzeit
nicht klar. "Sie haben die Fähigkeiten, Großes zu erreichen, wenn sie
zusammenbleiben", sagte Löw. Er hatte eine Ahnung, die er der Presse als
Gewissheit unterjubelte. Ein großes Versprechen war es, so oder so.
Es ging aber nicht nur um die Goldjungen, es ging auch um grundlegende
Fragen. Denn Löw wollte mündige Spieler, die selbstständig denken und
Verantwortung übernehmen. Wo möchte ich hin? Was möchte ich in meiner
Karriere erreichen? Wie komme ich dahin? Was bin ich bereit zu opfern und
zu investieren? Was hemmt mich? So lauteten die Fragen, die Löw
ausgearbeitet hatte und die nicht nur Schweini und Poldi beantworten
mussten, sondern auch Löws "Perspektivspieler". Die hießen Mario Gomez,
Stefan Kießling, Eugen Polanski, Gonzalo Castro oder Boateng, Kevin-Prince
wohlgemerkt. Von denen spielt heute einer für Ghana, sind zwei
Ergänzungsspieler und zwei nicht im aktuellen Kader. Das kann passieren,
Fußballerkarrieren verlaufen nicht gerade.
Jedem seine Chance
Aber diese zweite Nationalmannschaft der Perspektivspieler erfüllte ihren
Zweck. Es war eine Art Schattenkabinett, das der Regierung Druck machen
sollte: Wenn ihr Etablierten versagt oder in der Leistung nachlasst, dann
sind wir Jungen bereit, die Posten zu übernehmen. So erzeugte Löw doppelten
Leistungsdruck: einmal, indem er jede Position im Nationalteam doppelt
besetzte, ein andermal über jene Perspektivspieler.
Wenn Löw glaubte, dass einer von ihnen so weit war, bekam dieser Spieler
sofort seine Chance in der DFB-Elf. Geprüft wurden die fußballerischen
Fähigkeiten, aber auch Charakterfestigkeit, Integrationsfähigkeit und die
Bereitschaft, alles für die Mannschaft zu geben. Viele kamen und gingen,
aber wer für gut befunden wurde, durfte auf einen Stammplatz hoffen. Jetzt
haben das Thomas Müller geschafft, Toni Kroos, Manuel Neuer, Marko Marin
oder Sami Khedira. Sie sind ehrgeizig und sie können kicken: "Sie wollen
nicht verwalten, sie wollen nach vorne spielen", sagt Löw.
Die Perspektivspieler sitzen den Alteingesessenen nicht mehr nur im Nacken,
sie haben im Verbund mit den Golden Boys die Macht im Nationalteam
übernommen. Vor vier Jahren war Löw klar, dass beim nächsten großen Turnier
der deutsche Fußball ein neues Gesicht haben würde. Bernd Schneider und
Jens Lehmann hatte er damals schon gedanklich aussortiert. Dass nun auch
Michael Ballack fehlt, mag einem Zufall geschuldet sein, aber es passt ins
Muster des Wandels. Die Meritokratie, jahrzehntelang die einzige
Regierungsform in der DFB-Auswahl, hat unter Löw Kratzer bekommen.
Selbst ein Ballack kann nicht mehr automatisch damit rechnen, nach seiner
Verletzung als Kapitän zurückzukommen. Die Binde trägt Lahm. Und der, Teil
der kickenden Jeunesse dorée, will sie nicht mehr hergeben. Durch den
Abgang der Alten haben es die jungen Nachrücker leichter. Es ging nicht
mehr um Unterordnung, sondern gleich um Mitsprache. Löw haben diese
Umbrüchen zu schaffen gemacht. Da gab es die Sache mit Torsten Frings, dann
mit Ballack. Zwischendurch der Egotrip des Kevin Kuranyi. Jetzt hat Löw ein
Team, das sich auf das Wesentliche konzentriert: Fußball.
Die Stinkstiefel sind weg, die kapriziösen Typen und autoritären Anführer
auch, all jene also, die eine WM-Expedition scheitern lassen können. Alle
Welt schwärmt nun von dieser so undeutsch spielenden Elf, sogar die
französische LÉquipe dichtet in Anbetracht des französischen Versagens:
"DAS ist eine Mannschaft": verschworen, ehrgeizig und immer mit einem
lockeren Füßchen. Noch nie dürfte es Löw so leicht gehabt haben, ein Team
zu führen. "Sie ist sympathisch, sie ist lernwillig, sie ist hoch
motiviert, und das ist nicht aufgesetzt, das ist einfach so", sagt er über
die Mannschaft - und beschreibt zugleich sich selbst.
Denn Löw ist ein Sympathikus. Er ist immer auf seine Arbeit konzentriert
und dabei manchmal so selbstvergessen, dass ihn Kameras dabei einfangen,
wie er genüsslich einen Popel verspeist oder eine Geruchsprobe von der
Achsel nimmt. Auch von dem aktuellen Löw-Song, der auf Youtube dreieinhalb
Millionen Mal angeklickt wurde, hat er noch nichts gehört. "Ich brauche
keine Ablenkungen, und ich will auch keine Ablenkungen", sagt Löw, der in
diesen WM-Tagen nicht einmal seinen Computer hochgefahren haben will. Es
gibt Wichtigeres, klar: Die Arbeit mit dem Team, Löws Elixier. "Wenn er auf
dem Platz steht, fühlt er sich zu Hause", sagt Teammanager Oliver Bierhoff.
Pokern mit den Alten
Unter Jürgen Klinsmann hatte der Umbau begonnen. Der bahnte den Weg,
manchmal mit einer Planierraupe. Viele im DFB fühlten sich überfahren, aber
als Löw nach den Ereignissen 2006, die als "Sommermärchen" in die
Fußballgeschichte eingingen, den Posten von Klinsmann übernahm, da waren
viele Wege frei für den Badener aus Schönau. Er musste den Laden nicht mehr
"auseinandernehmen", er profitierte von Klinsmanns Anschubleistungen. Im
Zentrum stand die Vernetzung mit der U21-Nationalmannschaft, dem
natürlichen Tummelbecken von Löws Perspektivspielern.
Löw und Bierhoff beanspruchten die Oberaufsicht auf den Nachwuchs. Der DFB
spielte mit, auch wenn er ihnen Sportdirektor Matthias Sammer vor die Nase
setzte, mit dem es regelmäßig Kompetenzstreitigkeiten gibt. Trotzdem rückte
die U21 so nah an die Elite heran wie noch nie. Man veranstaltete sogar
gemeinsame Pokerabende, damit sich die Jungen dran gewöhnen, die
gestandenen Profis abzuzocken.
Dass dann im Jahr 2009 auch noch die Nachwuchsarbeit der Bundesliga-Vereine
und des DFB mit drei EM-Titeln saftige Früchte trug, konnte keiner ahnen.
Diese Erfolge ließen endgültig darauf schließen: Mit dem deutschen Fußball
ist wieder zu rechnen, und zwar nicht als Rumpelei, sondern als
ästhetisches Vergnügen. Das ist Löws Markenzeichen geworden, denn
erfolgreich waren deutsche Teams ja fast immer.
Im Teamquartier von Erasmia, im landschaftlich tristen Highveld von
Johannesburg und Pretoria, hatte Löw neulich eine zweite Vision. Wieder war
es Winter. "Die Mannschaft", sagte der Bundestrainer, "wird ihren Zenit
erst in ein paar Jahren erreichen, ihr gehört die Zukunft." Einige Spieler
müssten noch über ihren Schatten springen und lernen, mehr Verantwortung zu
übernehmen. Das war zu Beginn des Turniers. Da konnte Löw noch nicht ahnen,
das die Zukunft längst begonnen hat.
7 Jul 2010
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Schwerpunkt Deniz Yücel
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