# taz.de -- Kolumne Afrika Afrika: Wehret den Anfängen | |
> Die Zeichen mehren sich, dass es in Südafrika nach der WM Pogrome gegen | |
> unerwünschte Ausländer geben wird. In einigen Townships sind die Tage für | |
> den "Ausbruch" bereits festgelegt. | |
Bild: Kapstadt, 2008: Im Township Du Noon nehmen Polizisten nach einem Angriff … | |
Diese WM war ein eindeutiger Erfolg für das Land: Südafrika hat bewiesen, | |
dass es so ein Grossereignis perfekt organisieren kann, die Kriminalität | |
zumindest fuer vier Wochen in Schranken verweisen - und Fans aus aller Welt | |
freundlich willkommen heißen kann. Wenn es doch einfach dabei bleiben | |
koennte. | |
Die Zeichen mehren sich, dass dies nicht der Fall sein wird: In einigen | |
Townships sind sogar die Tage bereits festgelegt, wann es den verhassten | |
Flüchtlingen aus anderen afrikanischen Ländern an den Kragen gehen soll. Je | |
nach Region soll es zum "Ausbruch" von Gewalt gegen unerwünschte Auslaender | |
entweder am 14., 15. oder 16. Juli kommen. Einige können es kaum noch | |
abwarten, bis die letzten Touristen, voll positiver Eindrücke von der | |
Regenbogen-Nation, abgeflogen sind. | |
Die Zeichen sind zu deutlich | |
Ich wünschte, ich könnte die Zeichen ebenso ignorieren wie die meisten | |
unserer deutschen und holländischen Besucher, die am Ende frohgemut selbst | |
die Vuvuzelas akzeptiert und zum beliebtesten Mitbringsel erkoren haben. | |
Oder wie unsere weißen südafrikanischen Freunde, die sich endlich einmal | |
sicher fühlen auf den Strassen der Innenstädte und begeistert Gebrauch | |
machen von einem bislang nie dagewesenen funktionierenden öffentlichen | |
Verkehrssystem. | |
Leider kann ich es nicht. Die Zeichen sind zu deutlich fuer jemanden, der | |
täglich in einem Kinderhaus im Township Masiphumelele arbeitet, mit gut | |
30.000 Bewohnern eine der kleineren Armensiedlungen südlich von Kapstadt. | |
Obwohl die Zeichen selbst dort nicht auf Anhieb fuer jeden erkennbar sind, | |
so als würden sie bewusst verborgen gehalten, jedenfalls fuer die | |
allgemeine Öffentlichkeit: | |
Einige Beispiele | |
Nur einige Beispiele, wenige Tage vor dem großen Finale am 11. Juli, die | |
andeuten, was sich hier und in anderen Townships in Suedafrika | |
zusammenbraut: | |
* Nach Feierabend, es ist bereits dunkel, spricht mich ein junger Mann aus | |
Simbabwe, ein Nachbar des Kinderhauses an: "Sie haben mir gesagt, dass ich | |
spätestens am Tag danach einpacken soll." Und wenn nicht? "Sie werden | |
unsere Hütte anstecken. Sie riefen: Ihr nehmt uns die Jobs und die | |
Wohnungen! Und wir haben Euch schon mal gezeigt, zu was wir in der Lage | |
sind. Wir können dir nur raten, bis Sonntagabend hier weg zu sein!" | |
* Ein andere Nachbar aus Simbabwe ergänzt: "Er wird Probleme bekommen. Er | |
hat noch nicht gelernt, sich zu verstellen und die Sprache der Mehrheit im | |
Township zu sprechen. Ich kann das inzwischen, ohne Akzent. Diejenigen, die | |
später kamen und noch immer unsere Muttersprache aus Simbabwe benutzen, | |
werden als erste dran sein. So wie die meisten Somalier, die gar keine | |
Chance haben, weil sie auch noch anders aussehen." | |
* Eine junge Mutter, ebenfalls aus Simbabwe, kommt weinend von der Arbeit | |
heim, ihr kleines Kind fest gegen die Brust gedrückt: "Im Bus haben mich | |
ein paar Männer angepoebelt: Nach der WM kriegen wir dich! Dich und dein | |
Baby! Ich fragte ruhig zurück: Was haben wir beide euch denn getan? Ihr | |
nehmt uns die Arbeit weg! Ihr alle! Und einer schubste mich so grob, dass | |
ich beinah gefallen wäre. Dann rief der Busfahrer etwas in ihrer Sprache, | |
alle lachten, aber ließen uns immerhin in Ruhe. Ich habe solche Angst..." | |
* Der Leiter unserer Jugendgruppe, Simphiwe Nkomombini, ein zuverlässiger | |
friedliebender Mann - er arbeitet mit mehr als vierzig Jugendlichen seit | |
Jahren vor allem auf den Gebiet der Aids-Prävention - berichtet besorgt | |
nach dem letzten Treffen: "Nur acht Jugendliche verteidigten mit mir die | |
Rechte von afrikanischen Flüchtlingen. Alle anderen meinten voller | |
Überzeugung: Hier platzt alles aus den Nähten. Keine Arbeit. Keine Häuser, | |
nur Bruchbuden. Und da die Regierung nichts tut, müssen wir selbst etwas | |
unternehmen. Die müssen hier weg. Notfalls mit Zwang. Wir machen mit, wenn | |
es soweit ist..." Der Jugendleiter sagt besorgt: "Ich bin schockiert, wie | |
leichtfertig sie von Gewalt reden. Ich werde nicht aufgeben, sie von | |
friedlichen Lösungen zu überzeugen." | |
Nur wenige können die Mehrheit anstacheln... | |
Ja, es gibt auch Leute wie diesen jungen Pädagogen und fraglos ist die | |
Mehrheit der Bewohner in unserem Township gegen Mord und Totschlag. Aber es | |
braucht ja nur eine gewaltbereite Minderheit, um eine Mehrheit | |
anzustacheln. Das ist im Mai 2008 geschehen, als über 60 Menschen im Land | |
ermordet und zehntausende vertrieben wurden. Es kann wieder passieren. | |
Auch, weil sich seit damals nichts verändert hat, abgesehen von einigen | |
moralischen Appellen. Die vielen Protest-Demonstrationen gegen | |
Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot haben bislang kaum irgendwo zu spürbaren | |
Verbesserungen geführt. Die Proteste sind auch keineswegs beendet, sondern | |
nur "ausgesetzt" - für die Dauer der WM. | |
Nachdem Südafrika gezeigt hat, dass es gut für die Ausländer sorgen kann, | |
die ausreichend Geld mitbringen, ist es nun an der Zeit zu beweisen, dass | |
es auch die achtet, die nicht bezahlen können. Ebenso Menschen wie die, die | |
das Land in Kürze in Flugzeugen wieder verlassen werden. | |
Geld verändert die Gesellschaft nicht | |
Das sage ich auch vor dem Hintergrund, dass ich nach fast zehn Jahren | |
Arbeit in einer Armensiedlung, vor allem in Projekten zu umstrittenen | |
Themen wie Aids und Wohnungsnot, zunehmend ueberzeugt bin, dass es nicht | |
zuerst Geld ist, das wirkliche gesellschaftliche Veränderungen, vor allem | |
die Überwindung der nach wie vor extremen Unterschiede zwischen arm und | |
reich, ermöglicht oder nicht. | |
An erster Stelle kommt eine faire Kommunikation und Zusammenarbeit unter | |
denen, die am meisten von einem Problem betroffen sind. Nur so kann die | |
dauernde Konkurrenz um immer zu knappe Resourcen zugunsten von | |
zuverlässiger Planung überwunden werden. | |
An zweiter Stelle steht Aufklärung und Bildung über Entscheidungsebenen von | |
Politik, ueber die Entstehung und Ueberwindung bestimmter Probleme und | |
schliesslich der Entwicklung einer gemeinsamen Strategie. Nur dann werden | |
Spenden und "Entwicklungshilfegelder" etwas langfristig bewirken. Werden | |
eins und zwei ignoriert, werden die meisten Investitionen nur zu noch mehr | |
Konflikten und nach einer Weile, fast unvermeidbar, zu Korruption fuehren. | |
Was jetzt noch nötig ist | |
Bitte, Praesident Zuma von Südafrika und Fifa-Präsident Blatter: Lobt in | |
Eurer Abschlussrede das südafrikanische Volk nicht nur für die | |
Gastfreundschaft der vergangenen vier Wochen, sondern sagt, dass Ihr die | |
gleiche Freundlichkeit gegenüber den Ausländern erwartet , die nicht nach | |
dem 11. Juli das Land verlassen können. Die meisten von ihnen haben | |
Gastfreundschaft noch viel bitterer nötig ! | |
Bitte, Eltern und Lehrer, erklärt Euren Kindern, auch Euren Freunden und | |
Nachbarn, dass es ein Ende der Apartheid und ein neues demokratisches | |
Südafrika nicht gegeben hätte ohne all jene afrikanischen Nachbarn, die den | |
südafrikanischen Freiheitskaempfern über Jahrzehnte Zuflucht und | |
Unterstützung gewährten. | |
Bitte, Polizisten und Sicherheitskräfte, seid ebenso konsequent gegenueber | |
jedem Anfang von Gewalt gegen arme Auslaender wie Ihr es einen Monat lang | |
im Schutz fuer wohlhabende Fans wart. Greift durch bei jenen, die andere | |
aufstacheln! Schaut nicht weg, wartet nicht auf Befehle von Vorgesetzten, | |
wenn Unrecht unübersehbar geschieht! | |
"Mein Vater stellte sich dazwischen" | |
Jeden Morgen während der südafrikanischen WM-Schulferien gibt es bei uns im | |
Kinderhaus eine Versammlung aller Kinder und Jugendlichen. Eines von ihnen | |
hat den Vorsitz, und alle Themen können angesprochen werden. Letzten | |
Samstag sprach ein Junge das Thema Ausländerfeindlichkeit am. Alle Älteren | |
wussten sich noch gut an die Vorfälle im Mai 2008 zu erinnern. | |
Eine Erzieherin, Sinazo Khanyile, erzaehlte den Kindern, wie sie selbst | |
Gewalt zwischen den suedafrikanischen Voelkern der Zulus und Xhosa erlebt | |
hatte, als sie noch klein war: "In einer Nacht kamen ein paar Xhosa zu uns, | |
schlugen an die Tür und schrien: Ihr Zulus muesst hier verschwinden. Wir | |
hassen Eure Sprache! Dann ergriffen sie eine Mutter im Nachbarhaus und | |
prügelten auf sie ein. Mein Vater stellte sich dazwischen und konnte | |
Schlimmeres verhindern. Ich hatte solche Angst und habe nur geweint. Wollt | |
Ihr, dass sowas unseren Nachbarn hier geschieht?" | |
Alle Kinder schuettelten entschieden die Koepfe. Einige liefen zu der | |
jungen Erzieherin und umarmten sie troestend. Es liegt an uns allen, was | |
diese Kinder in ein paar Jahren denken und tun werden. | |
8 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Lutz van Dijk | |
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