# taz.de -- WM-Bilanz I: Mit dem Fußball rollt der Rand | |
> Die WM hat Südafrika genutzt, findet die Regierung: Die Ausgaben wurden | |
> wieder eingespielt, das Land ist attraktiver für Investoren. Doch | |
> Kritiker mahnen an, jetzt dringend Arbeitsplätze zu schaffen. | |
Bild: Jacob Zuma (li): "Die Welt hat das Land in einem anderen Licht gesehen." | |
JOHANNESBURG taz | Bereits vor dem Abpfiff macht Südafrika die Rechnung | |
auf: Die Fußballweltmeisterschaft hat sich gelohnt, die Kassen klingeln, | |
Südafrikaner sind wieder wer! Der Glaube an sich selbst ist dabei der | |
größte Profit, den die Nation einfährt. Die Frage dreht sich nach der WM | |
eher darum, wie der positive Kick für die Zukunft genutzt werden kann. | |
Für viele Südafrikaner selbst kommt zunächst die Ernüchterung nach all den | |
Feierlichkeiten und den zusätzlichen Ausgaben für Fan-Utensilien und | |
Spielbesuche. Kreditanträge haben zugenommen, denn Rechnungen müssen | |
bezahlt werden. Viele Südafrikaner kommen auch im Alltag oft nur mit | |
Schulden über die Runden, jetzt ist der Druck für viele gestiegen, die | |
WM-Ausgaben mit einzurechnen. | |
Landesweit hat die WM Südafrika jedoch viel gebracht, verkündete Präsident | |
Jacob Zuma diese Woche. Laut amtlichen Prognosen habe das vierwöchige | |
Tournament das Bruttosozialprodukt um zusätzlich 0,4 Prozent gesteigert - | |
wichtig in Zeiten der Wirtschaftskrise. "Wir können mit Sicherheit sagen, | |
dass wir gute Rückflüsse haben auf unsere Investitionen. Das schließt auch | |
die 33 Milliarden Rand (3,5 Milliarden Euro) ein, die für Transport und | |
Infrastruktur, Telekommunikation und Stadien ausgegeben wurden", sagte Zuma | |
und fuhr fort: "Die Welt hat das Land in einem anderen Licht gesehen, die | |
Präzision, wenn es um Planung und Logistik geht. Dazu zählt auch die | |
Effizienz der Sicherheitsmaßnahmen." Die jahrelangen Vorbereitungen zahlten | |
sich jetzt aus. | |
Finanzexperten sind nuancierter. Die Ausgaben der Touristen und Fußballfans | |
spülen nach unabhängigen Schätzungen 13 Milliarden Rand (1,5 Milliarden | |
Euro) in die südafrikanische Wirtschaft, also wesentlich weniger als die | |
knapp 40 Milliarden, die für den Bau der neuen Stadien sowie für | |
Modernisierung und Ausbau von Straßen und Flughäfen ausgegeben wurden. | |
Chris Hart, Chefökonom bei Investment Solutions, glaubt nicht, dass die WM | |
finanziell Profit abgeworfen hat. Aber die positive internationale | |
Berichterstattung über Südafrika als Ergebnis einer erfolgreichen | |
Organisation der Spiele sei unbezahlbar. "Das war eine wichtige | |
Veranstaltung für Südafrika, die das Image verändert. Es war erfolgreich, | |
entgegen vielen Erwartungen. Menschen sahen und erfuhren die WM als einen | |
Erfolg." Jetzt sei es viel einfacher für Südafrika, langfristig mehr | |
ausländische Investitionen anzuwerben. Allerdings müsse das Land beweisen, | |
dass es die Standards der WM auch hinterher aufrechterhält, meint Hart. Das | |
gelte insbesondere für die Sicherheit. | |
Tourismusminister Marthinus van Schalkwyk glaubt, dass Südafrika auch in | |
den nächsten Jahren noch durch die Werbung für die WM gewinnt. Die 100 | |
Millionen Dollar schwere Marketingkampagne der Regierung Monate vor Beginn | |
der Spiele hatte bereits zu über 1,9 Millionen ausländischen Besuchern im | |
ersten Quartal 2010 geführt, 320.000 oder 21 Prozent mehr als im | |
Vorjahreszeitraum. Im WM-Monat Juni kamen 200.000 Touristen mehr als im | |
Juni 2009, und das in Südafrikas normalerweise niedrigster Touristensaison | |
und einem dieses Jahr besonders kalten Winteranfang. | |
Obwohl die Fifa zugegeben hat, zu WM-Beginn weniger Tickets als geplant | |
verkauft zu haben, gehen Präsident Blatter und die WM-Organisatoren in | |
Südafrika von mehr als 450.000 WM-Besuchern aus. Blatter sieht die Spiele | |
als Hoffnungsträger. "Wir geben der Welt Hoffnung, dass wir vielleicht | |
durch Fußball bessere Menschen werden," sagte er. | |
Für die Südafrikaner in den armen Townships liegt die Hoffnung in einer | |
anderen Welt: Sie brauchen Arbeit und Häuser. "Die WM hat sicherlich die | |
Infrastruktur und den Tourismus dauerhaft verbessert", sagt Patrick Craven, | |
Sprecher des Gewerkschaftsdachverbandes Cosatu. "Bleibt die Frage, ob | |
genügend politischer Wille besteht, die Stimmung zu nutzen und mehr | |
Arbeitsplätze zu schaffen, denn Südafrika leidet unter der Ungleichheit in | |
der Gesellschaft." Das werde sich nach der WM nicht automatisch ändern. | |
Rich Mkhondo, Chef des lokalen WM-Organisationskomitees, weist auf die | |
indirekte Schaffung von 415.000 Arbeitsplätzen im Auftakt zur WM während | |
der Rezession hin. Doch es seien im ersten Halbjahr 2010 auch fast 80.000 | |
Arbeitsplätze verloren gegangen. Zwar waren es im Vorjahr noch 870.000, und | |
die Rückkehr zu einer Wachstumsrate von 4 Prozent im ersten Halbjahr 2010 | |
klingt gut, aber die rund 66.000 Arbeiter der Fußballstadien sind laut | |
Mkhondo fast alle wieder ohne Arbeit oder können ihre erworbenen | |
Fähigkeiten nicht direkt anderswo einsetzen. Der psychologische Effekt der | |
WM könne helfen, aber die Struktur der Wirtschaft ändere sich dadurch | |
nicht. "Südafrika hängt nach wie vor vom Rohstoffexport ab, anstatt das | |
verarbeitende Gewerbe im Land auszubauen", kritisiert Gewerkschaftssprecher | |
Craven. | |
Sorge bereitet auch die grassierende Angst in Südafrika um eine neue Welle | |
der Ausländerfeindlichkeit gegen afrikanische Migranten. Besonders in den | |
ländlichen Gegenden gäbe es große Probleme und es lasse sich leicht ein | |
Sündenbock finden, so Craven: "Da hilft es auch nicht, dass sich ganz | |
Südafrika hinter Ghana gestellt hat." | |
Das Fußballfieber ist nächste Woche verschwunden, aber die Stadien stehen | |
noch. Südafrika hat 11,7 Milliarden Rand in die WM-Stadien gepumpt. Was | |
wird aus ihnen? "Wir werden mit den Stadien in größeren Städten kein | |
Problem haben", weist Südafrikas WM-Organisationschef Danny Jordaan auf die | |
zukünftige Nutzung durch Fußball- und Rugby-Spiele und andere | |
Veranstaltungen hin. Lediglich mit den Stadien in den ländlichen | |
Kleinstädten Nelspruit und Polokwane gäbe es Herausforderungen. Viele | |
bereits verschuldete Gemeinden tragen überdies die Last, ihre | |
WM-Zusatzkosten decken zu müssen. | |
Aber das fällt derzeit nicht ins Gewicht. "Südafrika glaubt wieder an sich, | |
man kann es überall spüren, es ist da", sagt Mike Lee, Leiter des | |
Thinktanks World Future Society of South Africa. "Das Haupterbe der WM ist | |
die historische Brücke, die zum Heilungsprozess im neuen Südafrika | |
geschlagen wird." | |
10 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Martina Schwikowski | |
## TAGS | |
Maut | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Südafrika führt die Maut ein: ANC goes CSU | |
Die ANC-Regierung bittet Benutzer der Stadtautobahnen rund um Johannesburg | |
demnächst zur Kasse. Von rechts bis links formiert sich Protest. | |
WM-Bilanz III: Afrika auf Augenhöhe | |
Das Fußballfest spielt in Afrika, die Hexerei mit dem Tintenfisch in | |
Deutschland: Wie die WM Vorurteile zurechtrückte und was das für Afrika und | |
unser Bild davon bedeutet. | |
Afrikas Nationalmannschaften: Die kontinentale Baustelle | |
Der afrikanische Fußball bleibt eine Baustelle. Mehr Kontinuität, mehr Raum | |
für die vielen guten U20-Spieler - das ist das Erfolgsrezept. Es muss nur | |
umgesetzt werden. | |
WM-Bilanz II: Hinter dem Jubel wächst die Wut | |
Südafrika hat vier Wochen lang friedlich zusammengelebt. Und nun, wenn | |
alles vorbei ist? Die sozialen Verteilungskämpfe beginnen von neuem. Und | |
sie werden härter. |