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# taz.de -- Spanien nach dem Finalerfolg: Den Fatalismus besiegt
> Nach dem Finalsieg bei der Fußball-WM entdeckt eine gespaltene Nation,
> dass Einheit stark macht. Und dass man in den letzten Minuten auch
> gewinnen kann.
Bild: Ausgelassene Fans feiern in Madrid das Siegtor Spaniens.
MADRID taz | Es war eine Nacht, die an die Nerven ging. Als es zum Ende der
Regelspielzeit noch immer 0:0 stand, schallten in der Madrider Altstadt
trotzige Sprechchöre aus Kneipen und von den Balkonen: "Dieses Spiel
gewinnen wir". Die Angst war den Fans ins Gesicht geschrieben. Jeder kennt
in Spanien die Missgeschicke der letzten Minute. Alle erinnern sich an
jenen nigerianischen Kullerball, den 1998 Nationalkeeper Andoni Zubizarreta
mit der eigenen Hand zum Tor verwandelte und die spanischen WM-Träume schon
in der Vorrunde platzen ließ.
Oder wer könnte jenen Elfmeter von Real-Madrid-Star Raul beim
EM-Viertelfinale 2004 vergessen, der irgendwo im Stadionhimmel verschwand
und mit einer Heimfahrkarte belohnt wurde? Oder die WM vor vier Jahren, als
die Franzosen Mitfavorit Spanien im Achtelfinale bezwangen.
Spanien spielte erstmals in seiner Geschichte ein WM-Finale. Aber es ging
nicht in erster Linie gegen Holland, sondern gegen die eigene schwarze
Geschichte, den Fatalismus, den die Spanier mit sich herumschleppen und das
nicht nur beim Fußball. Den galt es zu besiegen. Anders als in den
Niederlanden spielte die gemeinsame, dunkle Geschichte im 30-jährigen Krieg
keine Rolle. Nur einmal kam das Thema kurz zur Sprache. "Den König von
Spanien hab ich allzeit geehrt", zitierte eine TV-Sprecherin die
niederländische Hymne, als das Bild der spanischen Königin Sofia
eingeblendet wurde. "Das wird sie nicht daran hindern, alles zu tun, um zu
gewinnen", entgegnet ihr einer der Kollegen im WM-Studio.
Und die Holländer taten alles, um Spanien zu bezwingen. "Wenn wir das
überleben, dann brauchen wir dieses Jahr nicht zur medizinischen
Regeluntersuchung", stöhnte der Reporter, nachdem die spanische Elf zum
wiederholten Mal kurz vor dem holländischen Tor scheiterte. Doch dann ging
plötzlich alles ganz schnell. Ein Zuspiel auf Iniesta und "Gol, gol,
gooooooooool". Spanien hatte seine Angstgespenster besiegt. "Jetzt wird
alles anders. Wir können auch gewinnen", rief eine Fußballbegeisterte nach
dem späten, alles klärenden Tor und stürzte jubelnd auf die Straße. Und mit
ihr Hunderttausende überall im Land.
"Wir sind Spanier", sangen sie begeistert und das nicht nur in Madrid
sondern auch in Barcelona und Bilbao. Spanien entdeckt, das Einheit stark
macht. Die konservative Tageszeitung ABC schwärmt in ihrem Leitartikel von
einer "zivilen Explosion spanischer Identität" - sehr zum Leidwesen der
Nationalisten im Baskenland und in Katalonien. In Barcelona, wo zum
Endspiel erstmals während des gesamten Turniers eine Public-Viewing-Area
eingerichtet worden war, kamen Zehntausende und mit ihnen die Gesänge und
Fahnen des verhassten Spaniens. "Ich verstehe die Katalanen, die gutgläubig
La Roja unterstützen - diese rote Mannschaft, die eigentlich die Farben des
FC Barcelona hat - aber sie tun mir auch leid. Sie werden benutzt als
Alibi, als fünfte Kolonne", gab ein Kolumnist der La Vangudia, der
wichtigsten Tageszeitung aus Barcelona, den Fans im spanischen Nordosten
mit auf den Weg.
"Spanien hat sich diese Freude verdient. Es ist ein Sieg, der weit über den
Sport hinausgeht", erklärte Nationalcoach Vicente del Bosque nach dem
Spiel. Zumindest für eine Nacht taucht das Land auf der iberischen
Halbinsel aus der lähmenden Krise auf. Vergessen sind die Schlagzeilen der
letzten Monate, die Spanien an den Rand des Staatsbankrotts zu schreiben
versuchten. Auf genau diesen Optimismus setzt Industrieminister Miguel
Sebastián jetzt: "Der Sieg Spaniens wird das Image unserer Produkte und
Dienstleistungen im Ausland aufwerten." Er hofft auf eine Verbesserung der
Wachstumsrate von 0,3 Prozent für das laufenden Jahr.
12 Jul 2010
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Schwerpunkt Deniz Yücel
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