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# taz.de -- Debatte Schulreform-Volksentscheid: Veränderung unerwünscht
> Was nach Hamburg bleibt, ist eine Reform der kleinen Schritte oder eine
> Politik, die über ihre Ziele schweigt. Falls sie sich noch welche setzt.
Bild: Die Welt im Blick: Vierklässler in Hamburg.
Die siegreichen Schulreformgegner in Hamburg haben nicht nur, was schlimm
genug ist, die bildungspolitische Debatte in ganz Deutschland weit
zurückgeworfen. Sie legen auch eine enorme Kluft zwischen Politik und
Bevölkerung offen. Das ist nicht weniger beunruhigend. Und so wirft der
Rücktritt von Ole von Beust ein trübes Licht auf den Fortgang der
reformpolitischen Debatte in Deutschland insgesamt.
Seit der späten Ära Helmut Kohls war die Diagnose eines Reformstaus unter
den politischen und gesellschaftlichen Eliten des Landes allgemein
akzeptiert. Der Sozialstaat galt als veränderungsbedürftig, ebenso der
deutsche Föderalismus oder eben das Bildungssystem. Irgendwo zwischen
ostdeutscher Wirtschaftsmisere, Pisa-Test und ICE-Pannen verlor sich der
selbstgewisse Glaube der alten Bundesrepublik, auf allen Feldern Weltspitze
zu sein. Als maßgebliche Ursachen galten ursprünglich die Bräsigkeit Kohls
und die SPD-Blockade im Bundesrat.
Fünfzehn Jahre später haben sich alle politischen Farbkombinationen an
politischer Veränderung versucht, immer mit einem negativen Ergebnis.
Rot-Grün stürzte über die Hartz-Reformen, Schwarz-Rot brachte nur eine
untaugliche Föderalismusreform zuwege, Schwarz-Gelb streitet noch immer
über ein tragfähiges Koalitionsprogramm. Und in Hamburg hat jetzt auch das
Modell Schwarz-Grün, auf das sich die Aussicht auf Erneuerung zuletzt fast
ausschließlich projizierte, mit einem Versuch politischer Gestaltung
versagt. Zudem ist mit dem Hamburger Referendum ein weiteres Mal die Idee
gescheitert, es gebe so etwas wie eine global gültige "best practice",
deren Umsetzung in nationale Politik sich fast von selbst versteht.
Das Resultat vom Sonntag hat damit die Stärke nationaler Traditionen
gezeigt, wie irrational sie auch immer sein mögen. Es hat die Macht des
Status quo demonstriert. Wer Veränderung anstrebt, braucht wesentlich
bessere Argumente als derjenige, der das Bestehende erhalten will. Wer
konkrete Verluste befürchtet wie in Hamburg gewichtige Teile des
Bildungsbürgertums, wird sich lauter artikulieren als etwa
Migrantenverbände, die ja noch gar nicht wissen können, was ihnen ein neues
Schulsystem auf die Dauer wirklich bringt. Zumal diejenigen, die im
bestehenden System den Bildungsaufstieg geschafft haben, oft zu dessen
entschiedensten Verteidigern gehören.
Dass im hamburgischen Fall sämtliche Fraktionen der Bürgerschaft die
Schulreform stützten, hat an diesen Mechanismen nichts geändert. Es hat sie
ganz im Gegenteil erst richtig zur Geltung gebracht. Dass sich eine
Strömung, die es in der Bevölkerung unbestreitbar gibt, im Parteienspektrum
überhaupt nicht widerspiegelt: das hat bei den Stimmberechtigten zu Recht
Misstrauen erregt - im Fall der Hartz-Reformen ist aus dem
Vertrauensverlust bekanntlich eine neue Partei entstanden.
Dabei hat das Misstrauen gegen Veränderung durchaus einen vernünftigen
Kern. Natürlich produziert jede Reform zunächst Unruhe und Verdruss,
selbstverständlich hätte das neue Hamburger Schulsystem selbst bei
größtmöglicher Umsicht aller Beteiligten erst einmal eine jahrelange
Debatte über die handwerklichen Mängel seiner Umsetzung ausgelöst. Das aber
gehört zu jeder nachhaltigen Veränderung dazu.
Der Gesamteindruck, in der Politik lasse sich nichts bewegen, führt am Ende
doch wieder zurück zum Phänomen der flüchtigen Ministerpräsidenten. Die
sechs Abgänge der letzten Zeit haben zwar sehr unterschiedliche Ursachen -
von einem Unfall auf der Skipiste bis zu ungelenker Amtsführung im
Schwäbischen, von der Freizeitgestaltung auf Sylt bis zu einer Düsseldorfer
Landtagswahl, deren Verlierer an seinem Amt eher zu lange klebte, als es zu
leichtfertig aufzugeben. Sie alle haben jedoch mit schwindender politischer
Gestaltungskraft zu tun.
Schon länger gibt es in ganz Europa für Regierungen keinen Amtsbonus mehr,
sondern eher einen Amtsmalus. Wer die politische Macht innehat und damit
womöglich noch etwas anfangen will, der wird dafür bestraft. In Deutschland
verschärft sich dieses Phänomen durch die fortwährenden Landtagswahlen. Was
die große Koalition aufgeschoben hat, erwischt die CDU nun mit voller
Wucht. Auch das erinnert an den Abgang einer ganzen Generation in der Ära
Schröder: Oskar Lafontaine und Wolfgang Clement stiegen auf, Johannes Rau
und Manfred Stolpe wurden in höhere Ämter weggelobt. Hans Eichel, Reinhart
Klimmt, Reinhard Höppner, Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück, Ortwin Runde und
Heide Simonis verloren bei Wahlen. Selbst ein Aufstieg in Berliner
Ministerämter machte die Betroffenen nicht immer glücklich - anders als
jetzt mit Blick auf von Beust oder Roland Koch behauptet.
Der Hamburger und der Hesse sind neben dem Bundespräsidenten die Einzigen,
die ihr Amt ohne einen zwingenden äußeren Grund aufgeben. Sie beide hätten
in der Tat Mühe gehabt, die jeweils nächste Wahl noch einmal zu gewinnen.
Sie waren am Ende aber auch frustriert von den bescheidenen
Gestaltungsmöglichkeiten, die ihnen ihr politisches Amt nur noch zu bieten
schien - und angeblich auch vom Politikstil einer Kanzlerin, die ihre
Schlüsse aus der Reformresistenz vielleicht konsequenter gezogen hat als
jeder andere Politiker im Land.
Diese allseits beklagte Kunst der Camouflage wird nach dem Hamburger
Referendum mehr denn je die Oberhand gewinnen. Der entschlossene Reformer
mit der Fahne in der Hand wird von den Wählern theoretisch zwar geschätzt,
praktisch aber stets abgestraft. Was bleibt, ist im günstigsten Fall eine
Reform der kleinen Schritte, wie sie die grüne Schulministerin jetzt in
Nordrhein-Westfalen praktizieren will - und im ungünstigsten Fall eine
Politik, die über ihre Ziele schweigt und sie durch die Hintertür
umzusetzen versucht. Falls sie sich überhaupt noch welche setzt.
Unter solchen Umständen braucht es Politiker, die sich vor den Mühen der
Ebene nicht scheuen. Insofern beunruhigt der Rücktritt von Beusts am Ende
dann doch.
20 Jul 2010
## AUTOREN
Ralph Bollmann
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