# taz.de -- Sicherheitsvorschriften bei Partys: Jeder Spaß ist illegal | |
> Nach der Katastrophe in Duisburg wird über die Nichteinhaltung von | |
> Vorgaben gestritten. Die Gesellschaft braucht beides: die Befolgung von | |
> Regeln wie den Regelbruch. | |
Bild: Demonstration nach Loveparade-Katastrophe: Zu wenig Regeln gesetzt? | |
Brandschutzbestimmungen, Hygienerichtlinien, Lärmschutzvorschriften - wer | |
jemals mit der Organisation auch nur eines Nachbarschaftsfestes betraut | |
war, weiß, dass man eingedenk der deutschen Reglementierungswut ganz kirre | |
werden kann, selbst wenn die meisten dieser Regeln nicht bloß Unsinn und | |
Schikane sind. Und er weiß: Eine gleichermaßen gute wie regelkonforme Party | |
ist unmöglich; irgendein Gesetz muss man immer ein wenig übertreten, und | |
sei es nur jenes, das den Konsum bestimmter Substanzen unter Strafe stellt. | |
Diese simple Erkenntnis, die in der Diskussion um die Duisburger Loveparade | |
in Vergessenheit zu geraten droht, gilt nicht allein für die Organisation | |
von Partys. Eine Gesellschaft, in der sich jedermann zu jeder Zeit an | |
jedwede Vorschrift hält, ist kein Utopia, sondern eine Horrorvorstellung. | |
Und nicht nur Freiheit und Genuss stehen oft genug im Widerspruch zur | |
Regelkonformität, noch ist kaum ein gesellschaftlicher Fortschritt erzielt | |
worden, dem nicht ein Regelbruch vorausgegangen wäre. | |
Zur guten Tradition der Linken gehört es, oft die Rolle übernommen zu | |
haben, Regeln oder Normen in Frage zu stellen, sie zu brechen und | |
umzukrempeln. Doch die Formel "Links ist dort, wo der Regelbruch ist" lässt | |
sich daraus nicht ableiten. Es kommt vielmehr darauf an, worum es geht. | |
Und: gegen wen es geht. | |
Deutlich wird dies bei jener Kategorie, um die es auch im Zusammenhang mit | |
der Loveparade geht: der Sicherheit. "Sicherheit geht vor", hieß es im | |
Frühjahr dieses Jahres in einem Kommentar der taz zur Sperrung des | |
europäischen Luftraums nach der Aschewolke aus Island. Ob Atomenergie oder | |
soziale Wohlfahrt, lang ist die Liste der Themen, bei denen die Linke den | |
Hals vor lauter Sicherheit nicht voll kriegen kann und diese im | |
Zweifelsfall lieber durch ein paar Regeln mehr gewährleistet weiß. | |
Sicherheit geht vor. Das meint auch die politische Rechte. Nur eben in | |
anderen Dingen (nicht von ungefähr hat sie die Deregulierung auf die Fahnen | |
geschrieben), vorzugsweise in Sachen Terrorismus oder Kriminalität. Im | |
Zweifel lieber einmal zu viel verbieten als einmal zu wenig, lautet das | |
Credo. | |
In Duisburg war es eine von der CDU geführte Kommunalverwaltung, die, | |
unterstützt von einer schwarz-gelben Landesregierung mit einem | |
FDP-Innenminister, Vorschriften aller Art missachtete. Dabei wurden Leute | |
wie der damalige Polizeipräsident, die auf die Einhaltung von | |
Sicherheitsstandards bestanden, aus dem Weg geräumt. Statt den | |
konservativen Sicherheitsfanatiker zu spielen, ließen sie den konservativen | |
Deregulierer raushängen. Ihr Job aber wäre ein anderer gewesen. | |
Denn Regeln aufzustellen und ihre Einhaltung zu überwachen, sie in Frage zu | |
stellen, zu missachten und eventuell durch andere zu ersetzen - all das ist | |
Verhandlungssache. Im großen Ganzen wie im Kleinen, auch bei der | |
Organisation einer Party. Dabei verhält es sich so wie bei | |
Tarifverhandlungen: Die Gewerkschaften starten mit 8 Prozent, die | |
Kapitalvertreter bieten 0,2 Prozent an, nach einigem notwendigen Tamtam | |
einigt man sich irgendwo in der Mitte. | |
Genau das ist in Duisburg nicht passiert. Der Veranstalter Rainer Schaller | |
mag eine laxe Auslegung von Sicherheitsvorschriften gefordert haben; er mag | |
versucht haben, für sich selbst Aufwand und Kosten niedrig zu halten. Aber | |
das war sein Job. Er verfolgte seine legitimen Interessen, die im Übrigen | |
nicht allein aus dem eigenen Profit bestanden, sondern auch aus dem | |
Interesse, dem Publikum eine gute Party zu bieten. | |
Aufgabe der politischen Entscheidungsträger wäre es gewesen, dem die ebenso | |
legitimen Interessen der Allgemeinheit entgegenzusetzen. Man hätte sich | |
irgendwo geeinigt, und vermutlich wäre dabei die Idee mit dem umzäunten | |
Gelände mit nur einem Zu- und Abgang auf der Strecke geblieben. So aber | |
lässt sich nach allem, was bislang bekannt ist, sagen: Jene Politiker und | |
Beamte, die ihren Job nicht getan haben, tragen die weitaus größte | |
Verantwortung für die 21 Toten von Duisburg. | |
2 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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