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# taz.de -- Vorläufige Bilanz der BP-Ölpest: Eine einzige Katastrophe
> Die Räumungsarbeiter ziehen langsam ab. Doch das Öl und der Schaden
> bleiben. Die Fischer: arbeitslos. Die Umwelt: verseucht. Die
> US-Regierung: abhängig von BP.
Bild: Immer weniger Räumungsarbeiter an den verseuchten Stränden: Die Küsten…
WASHINGTON taz | Krabbenfischer Acy Cooper hat eine mit Öl gefüllte Flasche
zu der Versammlung in Venice im Mississippidelta mitgebracht. Das Öl hat er
letzte Woche in dem benachbarten Feuchtgebiet eingesammelt. In seinen
früheren Fischgründen. Der aus Washington zu der Versammlung mit
Betroffenen angereiste Golfküstenbeauftragte Ray Mabus soll sehen, dass die
schwarze Pest noch keineswegs vorbei ist.
In den Monaten zuvor hat der Mineralölkonzern BP die Boote von 2.800
Fischern gechartert, um die Armada von insgesamt 5.050 Rettungsbooten im
Golf von Mexiko zu verstärken. Seit vergangener Woche ist nur noch etwas
mehr als die Hälfte der gecharterten Fischerboote im Einsatz. Acy Cooper
ist einer von denen, die BP nicht mehr zu brauchen meint. Er soll wieder
fischen. Aber Cooper fürchtet, dass das Öl seine Netze zerstört. Und dass
seine Krabben die Verbraucher krank machen könnte.
Die Küstenanwohner von Louisiana, dem am stärksten von der Katastrophe
betroffenen Golfstaat, wo das Öl auf 610 Kilometer Küste geschwappt ist,
fürchten in diesen Tagen noch stärker um ihre Zukunft als in den Wochen
zuvor.
Und auch in den Nachbarbundesstaaten Mississippi, Alabama und Florida
erleben die Menschen, dass BP am Telefon nicht mehr auf
Schadenersatzforderungen reagiert. Dass immer weniger Räumungsarbeiter an
den Stränden und in den Häfen sind. Dass die Ü-Wagen der großen
Fernsehsender abreisen. Und dass sie allein zurückbleiben: mit dem Öl; mit
ihrer Arbeitslosigkeit; mit ihren Häusern, für die sie die Raten nicht mehr
zahlen können; und mit der schweren Seele von Leuten, die nicht wissen, wie
ihre Zukunft aussieht.
"Kümmert euch um uns", fleht der vietnamesische Fischer Phuong Nguyen aus
Louisiana bei der Versammlung den Politiker aus Washington an: "Hier wird
es Elend geben, Scheidungen und Selbstmorde."
Der Mineralölkonzern BP verbreitet seit dem 15. Juli positive Nachrichten.
Auf der wegen der Ölkatastrophe geschaffenen Homepage mit dem gelb-grünen
Logo des Konzerns taucht jetzt das Wort "Erfolg" auf. Die Rede ist auch von
"Zukunft" und "ökologischer Instandsetzung".
Am 87. Tag nach der Explosion der Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" ist
es gelungen, das Loch in 1.500 Meter Tiefe provisorisch zu stopfen. Seither
strömt kein neues Rohöl mehr in eines der artenreichsten Gewässer der Welt.
Und seitdem ist der provisorische Deckel am Meeresboden fest zementiert.
In dieser Woche - voraussichtlich bis Freitag oder Samstag – soll eine
Ersatzbohrung bis zu der Ölquelle im Macondo-Graben getrieben werden. Von
dort aus will BP die Quelle von unten mit Zement und Schlamm versiegeln.
Falls das gelingt, ist auch der bislang noch skeptische Admiral Thad Allen
von der Küstenwache, der die Rettungsarbeiten auf staatlicher Seite
beaufsichtigt, bereit, von einem "Erfolg der ersten Phase" zu sprechen.
Doch von Washington aus hat der oberste US-Amerikaner bereits Entwarnung
gegeben. Schon am 106. Tag der Katastrophe erklärte Barack Obama, das Loch
sei versiegelt. Der US-Präsident hat viel unternommen, um sich im Umgang
mit der "größten Umweltkatastrophe der US-Geschichte" von seinem
Amtsvorgänger abzusetzen. George W. Bush hatte im Sommer 2005 zu lange
gebraucht, bis er sich um die Opfer des Hurrikans "Katrina" interessierte.
Obama dagegen ist sofort in die Golfstaaten gereist. Er hat mit
BP-Verantwortlichen, Lokalpolitikern und Wissenschaftlern konferiert. Und
er hat öffentlich sowohl gegen die "britische" Gesellschaft gewettert als
auch - lange vor dessen Absetzung - erklärt, er würde jemanden, der so
"unfähig" sei wie BP-Chef Tony Hayward, "feuern".
Kurz vor Obamas Entwarnung veröffentlichte auch das Nationale Ozeaninstitut
(NOAA) eine Studie, die sich gegenüber vorherigen Befürchtungen harmlos
ausnimmt. Danach ist eine große Menge des Öls im Golf von Mexiko
"verschwunden". Das meiste Öl sei "verdunstet" oder habe sich "verdünnt"
oder "abgesenkt". Zudem sei Öl an der Meeresoberfläche abgefackelt oder
eingesammelt worden. Nur 26 Prozent der ausgeströmten Ölmenge seien jetzt
noch aktiv.
Auch die Umweltberaterin von Präsident Obama, Carol Browner, kommentierte,
dass "Mutter Natur" einen großen Teil der Arbeit erledigt habe. Tatsächlich
scheint der größte Reinigungseinsatz der US-Geschichte, in dem neben der
Armada von Schiffen und Flugzeugen zeitweise mehr als 30.000
Reinigungsarbeiter an Land, zu See und in der Luft tätig waren, nur relativ
wenig ausgerichtet zu haben. Den größten Teil der bisherigen Arbeit haben
die Selbstreinigungskräfte des Golfs getan.
Vor allem Bakterien, die in dem warmen Wasser leben, in das aus dem
stellenweise porösen Seeboden schon immer kleine Mengen Öl gesickert sind.
Einflussreich waren auch die starken Strömungen, die den Dreck aus dem Golf
im Atlantik verteilen. Der Golfstrom, in den der Mississippi einen großen
Teil des Industrie- und Landwirtschaftsmülls aus den USA einleitet, ist
"stressfähig" und "belastbar", sagten die Meeresbiologen lange vor dieser
Ölkatastrophe.
Dennoch sagten unabhängige Wissenschaftler, die weder im Dienst von BP noch
des NOAA stehen, es gebe keinen Grund zur Entwarnung. Sie argumentieren,
dass 26 Prozent der Rohölmenge aus der "Deepwater Horizon"-Quelle immer
fünfmal so viel Öl ist, wie 1989 vor Alaska aus der "Exxon Valdez"
ausgelaufen war. Und sie erklären, dass das Bindemittel Corexit, das BP und
die US-Küstenwache im Golf in nie zuvor da gewesenen Mengen eingesetzt
haben, das langfristige Umweltproblem eher verschlimmere.
1.457 Millionen Liter des Mittels, das das Öl bindet und in kleinen
Portionen absenkt, sind in den Golf von Mexiko gesprüht worden. Die
wissenschaftliche Kritik konzentriert sich vor allem auf jenen Teil des
Corexit (mehr als ein Drittel der verwendeten Menge), der in 1.500 Meter
Tiefe, direkt an der Austrittsstelle des Rohöls, eingeleitet wurde. Es ist
umstritten, wie stark toxisch der Cocktail aus Rohöl und Corexit auf
Lebewesen und Pflanzen wirkt. Aber es ist völlig unklar, welche Art von
Reaktionen die Verbindung der beiden Chemikalien in der Kälte am
Meeresboden verursacht.
Auch in der US-Umweltbehörde (EPA), die den Einsatz von Corexit bewilligt
hat, ist das Bindemittel umstritten. Die EPA-internen Kritiker befürchten
Langzeitauswirkungen auf Schalentiere im Golf, deren Verzehr die Gesundheit
der US-Amerikaner gefährden könnte. Ein Vorwurf an die Umweltbehörde EPA
lautet, dass sie nicht auf die Einhaltung ihrer Empfehlungen an BP
bestanden habe. Ende Mai entschied die EPA, den Corexit-Einsatz radikal zu
reduzieren. Doch der Mineralölkonzern versprühte weiter Corexit.
Bei der Explosion vom 20. April kamen elf BP-Arbeiter ums Leben. Als
Zweites erlebte die Öffentlichkeit, dass die Mineralölbranche, die
Hightechmethoden entwickelt hat, um Öl aus immer größerer Tiefe und immer
weiterer Entfernung vom Festland zu fördern, nichts vorgesehen hatte, um
auf einen Unfall zu reagieren. Als Drittes zeigte sich eine ungeahnte
Schwäche des mächtigsten Staates der Welt gegenüber einem großen
Mineralölkonzern.
BP ignorierte in den Wochen und Monaten vor der Katastrophe zahlreiche
Warnungen auf der Ölbohrplattform, aber BP ist nach der Explosion
Hauptakteur im Golf geblieben. Anders als die staatlichen Stellen verfügt
BP über das Know-how, das Personal, das Material und die finanziellen
Mittel, um die Reinigungsarbeiten zu organisieren.
Die US-Spitze folgte BP, auch als der Konzern die Öffentlichkeit täuschte.
In den ersten Monaten nach der Katastrophe machte sich die US-Regierung
auch die Angaben aus der BP-Zentrale zu eigen, die den Ölaustritt extrem
verharmlosten.
Sichtbar wurde auch, wie weit die Korruption geht. Die Mineralölbehörde
(MMS), die die Aufgabe hatte, die Bohrungen zu überwachen und die Tantiemen
von den Ölkonzernen einzutreiben, steckte mit BP unter einer Decke. Es gab
in der MMS schon erste Entlassungen. Und die Institution ist aufgespalten
worden.
Eine weitere Schwäche der US-Regierung war ihre Loyalität gegenüber der
Ölindustrie. Erst wenige Wochen vor der Katastrophe hatte Obama der
Ausweitung von Tiefseebohrungen zugestimmt. Sein Ziel war es, damit die
Unterstützung der oppositionellen Republikaner zu seinem neuen Klimagesetz
zu bekommen.
Doch die Explosion der "Deepwater Horizon" hat auch die neue Klimapolitik
mit in die Tiefe gerissen. Im Golf von Mexiko sorgt das sechsmonatige
Moratorium für Tiefseebohrungen, das die Regierung nach der Katastrophe
verhängt hat, für Verbitterung. Insbesondere im Ölstaat Louisiana gilt das
Moratorium, für das Obama verantwortlich ist, als eine zusätzliche
Katastrophe. Im Kongress ist das neue Klimagesetz Ende Juli gescheitert.
Nicht nur Republikaner haben es verhindert. Auch demokratische Abgeordnete
vom Golf haben dagegen gestimmt. Der Lobbyismus der Ölbranche hat sich
wieder einmal gelohnt.
10 Aug 2010
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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