# taz.de -- Eine Gambistin über ihr Instrument: "Die Gambe ist ganz dicht an d… | |
> Die Hamburgerin Simone Eckert wusste schon als Kind, dass sie Gambistin | |
> werden wollte. Dabei ist die Gambe eines der widerspenstigsten | |
> Instrumente überhaupt: Auf kraftvolles Spiel reagiert sie höchst | |
> allergisch | |
Bild: Gambenspiel als Meditation: Simone Eckert, versunken. | |
taz: Frau Eckert, warum haben Sie ein so absurdes Instrument wie die Gambe | |
gewählt? | |
Simone Eckert: Sagen Sie nicht absurd! Ich würde eher sagen, es ist ein | |
besonderes Instrument. Und was mich betrifft: Ich wollte schon als Kind ein | |
Streichinstrument spielen. Als ich auf die Gambe verfiel, mussten meine | |
Eltern das erst mal im Lexikon nachschlagen. Sie haben es toleriert, | |
wollten mich allerdings später überreden, zum Cello zu wechseln, damit ich | |
auch ein "solides" Standbein hätte. Da hatte ich aber schon entdeckt, dass | |
die Gambe ein spezielles Repertoire hat, das auf dem Cello gar nicht | |
spielbar ist. | |
Stimmt es, dass Sie schon als Achtjährige Gambistin werden wollten? | |
Ja. Unsere Grundschullehrerin fragte damals nach unseren Berufswünschen. | |
Als ich "Gambistin" sagte, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und | |
sagte, such dir was Anständiges. Das hat mich provoziert, und ich dachte: | |
Jetzt erst recht! | |
Woher weiß eine Achtjährige so genau, was sie werden will? | |
Schwer zu sagen. Vielleicht ist so ein Weg vorherbestimmt. | |
Gab es einen musikalischen Auslöser? | |
Es gab schon Stücke und Spielsituationen, die bei mir "eingerastet" sind. | |
Einmal habe ich meine Lehrerin zum Beispiel Antoine Forquerays Suite in | |
G-Dur spielen hören. Es ist ein typisches Gambenstück - allerdings ein sehr | |
eigenwilliges mit einer ganz verqueren Technik. Als ich das hörte, habe ich | |
einen ungeheuren Energieschub und ein großes Glücksgefühl erlebt. | |
War es leicht, einen Gambenlehrer für eine Achtjährige zu finden? | |
Nein. Meine erste Lehrerin war Cellistin, die auch Gambe lernte. Sie war | |
kein Profi, aber für den Einstieg war das in Ordnung. Später habe ich | |
wirklich gute Lehrer gefunden, die mich bei der Stange gehalten haben. | |
Hatten Sie je Zweifel? | |
Ja, allerdings keine dramatischen. Aber in gewissen Phasen hat man als | |
Jugendlicher einfach andere Dinge im Kopf. Und meine Eltern haben keinen | |
Druck ausgeübt. Sie waren keine Musiker und wussten nicht, wie man ein Kind | |
zum Virtuosen macht. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich hatte viele | |
Freiheiten. Andererseits hatte ich dadurch zu Studienbeginn nicht die | |
gleichen Voraussetzungen wie ein gedrilltes Kind. Vieles habe ich mir | |
deshalb im Nachhinein autodidaktisch erarbeitet. | |
Sie haben Ihr Studium 1983 in Hamburg begonnen. War das eine reine | |
Frauenriege? | |
Warum fragen Sie? | |
Ist die Gambe kein typisches Fraueninstrument? | |
Ich wehre mich gegen dieses Klischee. Unter den renommierten Gambisten | |
finden sich 50 Prozent Männer. | |
Was macht die Gambe im Vergleich zum Cello einzigartig? | |
Einerseits die Möglichkeit des akkordischen Spiels: Da die Gambe - anders | |
als das viersaitige Cello - sechs oder sieben Saiten hat, kann man mehrere | |
Töne gleichzeitig streichen, also mehrstimmig spielen. Außerdem sind die | |
Saiten weniger straff gespannt als beim Cello. Man kann also nicht so laut | |
spielen. Lautstärke ist auch nicht das Ziel, sondern eher ein runder Klang. | |
Ist die Gambe ein eher intimes Instrument? | |
Sie produziert jedenfalls einen privaten Klang. Denn die Gambe war ja im | |
16. und 17. Jahrhundert ein eher aristokratisches Instrument, das man im | |
kleinen Kreis spielte. Damals waren die Konzertsäle auch noch nicht so | |
gigantisch wie im 19. Jahrhundert. Vor denen hat die Gambe kapitulieren | |
müssen; im 19. Jahrhundert wurde auch fast nichts für Gambe komponiert. | |
Denn dieses Instrument kann technisch nicht verstärkt werden. Die Gambe | |
funktioniert nur drucklos; man kann sie nur aus einer Grundentspannung | |
heraus spielen. Das betrifft sowohl die Spieltechnik als auch die seelische | |
Haltung. Wer die Gambe mit Überdruck spielt, scheitert: Es gibt | |
Nebengeräusche, und man trifft keine einzelnen Saiten mehr. | |
Gibt es Tage, an denen Sie nicht spielen können? | |
Früher schon. Inzwischen wird mir immer bewusster, welche Grundhaltung ich | |
brauche, um an das Instrument und seine Musik heranzukommen. Und dass das | |
mit Unruhe und Hektik nicht funktioniert. Andere Instrumente sind da nicht | |
so empfindlich: Am Klavier können Sie immer Töne erzeugen. Auch moderne | |
Streichinstrumente verzeihen viel mehr als eine Gambe. Die ist ganz dicht | |
an deiner Seele dran. | |
Mit Kraft kommt man der Gambe nicht nahe? | |
Leider überhaupt nicht. Denn hinter Kraft kann man Unsicherheit oder | |
Lampenfieber verstecken. Das funktioniert bei der Gambe nicht. | |
Haben Schüler damit Probleme? | |
Alle haben damit Probleme. Es ist die Hauptschwierigkeit dieses | |
Instruments. | |
Sie haben 1991 das Ensemble "Hamburger Ratsmusik" gegründet. Waren Sie des | |
solistischen Spiels müde? | |
Nein. Ich brenne für beides. Ein Ensemble eröffnet allerdings neue | |
Horizonte: Wenn vier Gamben zusammen spielen, ergibt das einen | |
Zusammenklang wie bei keinem anderen Instrument. Dieses Erlebnis, mit vier | |
Gamben in polyphoner Musik wirklich zu verschmelzen - das ist schon | |
einzigartig. Aber mein Herz schlägt auch für die solistische Musik, denn da | |
gibt es - vom 16. Jahrhundert bis heute - einfach jede Menge grandioser | |
Literatur. | |
Sie spielen auch Neue Musik. Ist ein Renaissance-Instrument damit nicht | |
überfordert? | |
Nein. Ich fand es immer faszinierend zu sehen, dass sich auch | |
zeitgenössische Komponisten für die Gambe begeistern. Hier in Hamburg sind | |
das vor allem ehemalige Schüler György Ligetis. Etliche von ihnen sind | |
inzwischen selbst arrivierte Komponisten, und was sie von ihrem Meister | |
übernommen haben, ist eine Offenheit für die speziellen Möglichkeiten der | |
Gambe. Sie ist zum Beispiel nicht festgelegt auf bestimmte Tonhöhen und | |
kann im Vierteltonsystem spielen. Die Tatsache, dass sie von unserem | |
12-Ton-System weg in andere Tonalitäten gehen können, hat diese Komponisten | |
begeistert. Trotzdem liegt der Schwerpunkt unseres Repertoires auf | |
Renaissance- und Barockmusik. | |
Hat die "Ratsmusik" vom Boom historischer Aufführungspraxis profitiert? | |
Leider nicht, denn dessen Zenit war ja in den 70er, 80er Jahren, betraf | |
also die Generation unserer Lehrer. Sie waren es auch, die uns erzählt | |
haben: Wer diese Instrumente lernt, bringt es zu etwas. Inzwischen sind | |
aber selbst die Nachwehen dieses Booms vorbei. Das hat allerdings auch | |
Vorteile: Die Szene schrumpft sich gerade gesund. | |
Sie unterrichten auch Gambe. Wer will das heute noch lernen? | |
Es gibt durchaus noch interessierte Laien, die zum Teil von anderen | |
Instrumenten kommen. Aber ich beobachte auch Veränderungen. Als ich vor 20 | |
Jahren zu unterrichten begann, existierten viele Laiengambisten, die mit | |
der Musikpädagogik der Nachkriegszeit groß geworden waren: mit Wulf-Fiedeln | |
und der Idee des Ensemblespiels mit angeblich einfachen Instrumenten. Aus | |
ihnen sind etliche hervorragende Ensemblespieler hervorgegangen. Diese | |
Tradition bröckelt jetzt: die Spieler altern, und Jüngere kommen nicht | |
nach. | |
Wer bleibt? | |
Einzelkämpfer, die mit diesen Schwierigkeiten leben. Ich habe derzeit einen | |
13-jährigen Schüler, dem ich eine Gambisten-Karriere durchaus zutraue. Den | |
nötigen Biss und die Starrköpfigkeit hat er jedenfalls. | |
Was macht eine Gambisten-Karriere so schwierig? | |
Da die Standard-Orchesterbesetzung keine Gambe vorsieht, wird man nie eine | |
Festanstellung haben. Wer sich für die Gambe entscheidet, weiß also von | |
vornherein, dass er immer Freiberufler sein wird. Und das auf einem Markt, | |
der immer enger und immer härter umkämpft wird. Das muss man aushalten | |
können. | |
Halten Sie es gut aus? | |
Es gibt solche und solche Tage. | |
22 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Klassik | |
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