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# taz.de -- Drogen-Mafia und Politik in Guatemala: Die Stadt der Verbrecher
> In Guatemala sind Politik, Justiz und Armee mafiös verschränkt. Deswegen
> lässt die UNO unabhängige Juristen ermitteln. Ein gefährlicher Job. Der
> aber erfolgreich sein kann.
Bild: Erschossen: Ein Opfer der Drogenkriege in Guatemala.
GUATEMALA-STADT taz | Alejandro Giammattei muss eine Ahnung gehabt haben,
dass er nicht mehr sicher war. Als ehemaliger Chef des nationalen
Gefängniswesens in Guatemala verfügt er schließlich über beste Kontakte zu
Polizei und Staatsanwaltschaft. Aus einer dieser Quellen stammte wohl der
Tipp. Am 5. August diesen Jahres flüchtet sich Giammattei in die
honduranische Botschaft in Guatemala-Stadt.
Mit einer wütenden, fast atemlos gesprochenen Videobotschaft auf der
Internetseite YouTube erklärt er, dass er von einem korrupten Staat
politisch verfolgt werde. Von 2004 bis 2008 war Giammattei oberster
Schließer des zentralamerikanischen Landes. Als Präsidentschaftskandidat
der damaligen Regierungspartei belegte er bei der Wahl Ende 2007 einen
respektablen dritten Platz.
Die Flucht in die honduranische Botschaft hat Giammattei nichts gebracht.
Während er sich dort versteckt hielt, stellte die UNO-Juristenkommission
gegen die Straffreiheit in Guatemala (Cicig) einen Haftbefehl gegen ihn
aus. Und nicht nur gegen ihn. Mit ihm sind Carlos Vielman und Erwin
Sperisen zur Festnahme ausgeschrieben - der eine war von 2004 bis 2008
Innenminister, der andere Polizeichef des Landes.
Hinzu kommen 15 weitere ehemalige Regierungsfunktionäre. Der Vorwurf:
Steuerung einer kriminelle Vereinigung, Mord, Drogenhandel, Geldwäsche,
Entführung, Erpressung. Sechs Verhaftungen wurden inzwischen vollstreckt.
Vielman und Sperisen haben sich nach Europa abgesetzt. Giammattei hat nach
neun Tagen in der Botschaft aufgegeben und sitzt nun in Untersuchungshaft.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Cicig ehemals hohe
Regierungsmitglieder verhaften lässt. Die Kommission, so etwas wie eine
internationale Staatsanwaltschaft, ist einzigartig in der Geschichte der
Vereinten Nationen. Seit Ende 2007 versucht sie zu verhindern, dass
Guatemala endgültig zum Verbrecherstaat wird. Ihr erster Chef, der
spanische Jurist Carlos Castresana, trat im Juni frustriert zurück. Seinen
Nachfolger stimmte er mit den Worten ein: "Es wird noch mindestens ein
Jahrzehnt harter Arbeit sein, bis die Sicherheitskräfte und die Justiz
Guatemalas von dieser Plage befreit sein werden."
Castresana konnte in seinen zweieinhalb Jahren mit der Verhaftung von
vorher Unantastbaren ein paar spektakuläre Erfolge präsentieren. Trotzdem
ist er nicht unumstritten. Mindestens ein Dutzend seiner Ermittler hat
wegen der selbstherrlichen Art des Chefs das Handtuch geworfen. Die
costa-ricanische Staatsanwältin Gisele Rivera wirft ihm vor, er habe
Ermittlungen wegen "politischer Rücksichtnahmen" verschleppt. Auch
Francisco Goldman, ein US-amerikanisch-guatemaltekischer Schriftsteller,
der zehn Jahre lang über das organisierte Verbrechen in Guatemala
recherchiert hat, sagt, Castresana habe "lieber politische Allianzen
geschmiedet, als sich auf unabhängige Staatsanwälte zu verlassen".
Mord im Dunkeln
Die Arbeit der Cicig ist jedenfalls gefährlich. Mexiko mit seinem
Drogenkrieg erscheint im Vergleich zu Guatemala fast friedlich. 12 Menschen
pro 100.000 Einwohner werden pro Jahr in Mexiko ermordet. In Guatemala sind
es 49. Und doch ist der Drogenkrieg nicht so spektakulär wie in Mexiko. Es
gibt keine offenen Feldschlachten zwischen den Kartellen und auch nicht mit
den Sicherheitskräften. Man mordet noch immer bevorzugt im Stil der
Todesschwadrone des Bürgerkriegs: im Dunkel der Nacht, in Gefängnissen oder
draußen auf dem Land. Nur die Leichen werden täglich von den Zeitungen
präsentiert und versetzen die Bevölkerung in Angst und Schrecken.
Staatsanwältin Gisele Rivera war vor allem mit zwei Fällen befasst, bevor
sie im Dezember 2009 nach Costa Rica zurückkehrte: mit dem so genannten
Massaker von Pavón und dem Mord an drei salvadorianischen Abgeordneten im
Zentralamerikanischen Parlament. Das Massaker von Pavón, sagt sie, sei
längst aufgeklärt, beim Fall der Abgeordneten habe nicht mehr viel gefehlt.
Doch Castresana habe einen "politisch opportunen Moment abwarten" wollen.
Da seien "Menschen mit politischer und wirtschaftlicher Macht verwickelt"
und solche, "die in der Polizei noch immer eine wichtige Rolle spielen".
Und: "Alle, die an diesen beiden Fällen gearbeitet haben, sind heute nicht
mehr in Guatemala." Nun hat der neue Cicig-Chef, der ehemalige
costa-ricanische Generalstaatsanwalt Francisco DallAnese, die Verhaftungen
angeordnet.
Beim Massaker von Pavón ging es um die angebliche Niederschlagung einer
Meuterei im Gefängnis von Pavón, der größten Strafanstalt des Landes. Der
riesige trostlose Komplex außerhalb der Hauptstadt mit angeschlossener
eigener Farm wurde seit Jahren nur noch formal vom Staat kontrolliert.
Tatsächlich herrschte eine dort einsitzende Drogenmafia. 3.000 Polizisten
und Soldaten stürmten am 29. September 2006 in die Anstalt. Sieben
Gefangene wurden dabei erschossen, nach bisheriger Darstellung bei einer
Schießerei mit den Sicherheitskräften.
Die Operation mit dem Decknamen "Pfau" wurde von Giammattei, Vielman und
Sperisen geleitet. Die Cicig fand nun heraus: Es gab keine Schießerei.
Vielmehr suchten Polizisten gezielt die sieben Gefangenen heraus und
richteten sie mit Schüssen aus kurzer Distanz hin. Der Grund: Sie hatten
den lukrativen Drogenhandel im Knast kontrolliert, gehörten aber nicht zur
Mafia der drei Einsatzleiter.
Der Fall der salvadorianischen Abgeordneten ist komplizierter. Die drei
waren Mitglied der rechtsextremen damaligen Regierungspartei Arena und
wurden am 19. Februar 2007 zusammen mit ihrem Fahrer in Guatemala-Stadt
entführt, erschossen und mitsamt ihrem Wagen verbrannt. Der Fall war
schnell aufgeklärt. Zwar waren die Leichen bis zur Unkenntlichkeit
verkohlt, aber der ausgebrannte Wagen trug noch immer sein
salvadorianisches Nummernschild. Zudem waren die Täter mit ihrem Auto und
dem der Entführten über rote Verkehrsampeln gerast und dabei geblitzt
worden. Ihr eigener Wagen war mit einem GPS-Ortungssystem ausgerüstet. Die
ausgewerteten Daten legten alles offen.
Die Täter waren allesamt Polizisten: der Chef der Abteilung zur Bekämpfung
des organisierten Verbrechens mit fünf seiner Männer. Vier von ihnen wurden
kurz darauf verhaftet und in den Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses El
Boquerón gebracht, in dem damals die gefährlichsten Mitglieder der "Maras"
genannten Jugendbanden einsaßen. Polizeipräsident Sperisen war über die Tat
seiner Untergebenen nicht weiter verwundert. "Es gibt 2.000 Polizisten, die
mit Entführerbanden, Drogenhändlern, Autodieben und Erpressern
zusammenarbeiten", gab er damals zu Protokoll.
Am 25. Februar 2007 fuhren nachmittags zwei Pick-ups mit abgedunkelten
Scheiben vor die Strafanstalt. Aus einem stiegen vier schwarz gekleidete
maskierte Männer, jeder mit einem Rucksack auf dem Rücken und einer
Kalaschnikow AK-47 in der Hand. Fast schien es so, als würden sie erwartet.
Kein Wächter stellte sich in ihren Weg, es gab nicht einmal Alarm. Im
Gegenteil: Ein Schließer öffnete ihnen alle acht Stahltüren bis zum Trakt
der vier Polizisten. Man hörte Schüsse. Die vier Häftlinge wurden aus 40
Zentimeter Entfernung erschossen und vorher wohl gefoltert. Die Leiche des
Chefs zeigte auf der rechten Seite über 30 Stich- und Schnittverletzungen.
Giammattei war verantwortlich für die Sicherheit im Gefängnis, Sperisen der
direkte Vorgesetzte der inhaftierten Polizisten und Innenminister Vielman
versuchte, den Verdacht auf die Jugendbanden zu lenken, die nach dem
vierfachen Mord rebellierten: "Es besteht die Möglichkeit, dass sie den Tod
der vier Polizisten verursacht haben."
Auch bei diesen Morden ging es um Drogen. Im großen Geländewagen der drei
Abgeordneten wurde mit größter Wahrscheinlichkeit eine fünf Millionen
Dollar schwere Kokainladung transportiert. Oder aber ihr Gegenwert in
Dollars. Der Wagen war, bevor er abgefackelt wurde, auseinandergenommen
worden. Von Kokain oder Geld fand sich hinterher keine Spur.
Keine politischen Morde
Die Opfer waren in diesem Fall Politiker und doch waren es keine
politischen Morde, wie sie während des Bürgerkriegs in Guatemala (1960 bis
1996) üblich waren. "Ideologie spielt keine Rolle mehr", sagt der
Mafiaexperte Goldman. "Es geht darum, seine Macht zu verteidigen und
auszubauen." Die Täter aber sind immer noch dieselben. Die mafiösen
Strukturen, die heute aus Politik, Justiz und Sicherheitskräften heraus das
Land kontrollieren, sind nach dem Krieg aus dem militärischen Geheimdienst
und den Eliteeinheiten der Armee entstanden.
Ein ehemaliger Chef dieses Geheimdiensts war schon unter den Mördern des
Menschenrechtlers und Weihbischofs Juan Gerardi, der 1998 nach der
Veröffentlichung einer Dokumentation über Kriegsverbrechen erschlagen
worden war. In der Tatnacht wurde dieser Exmilitär zusammen mit einem
anderen ehemaligen Geheimdienstchef gesehen. Der aber spielte im Prozess
keine Rolle. Der Zeuge, der die beiden erkannt hatte, war längst ins Exil
geflohen.
Dieser andere ehemalige Geheimdienstchef ist General Otto Pérez Molina,
auch er einer der Kriegsverbrecher im Bericht von Gerardi und heute der
mächtigste Oppositionspolitiker Guatemalas. Er ist gewissermaßen ein großer
Giammattei. Wie dieser gibt er gerne den wütenden Volkstribun, den Mann für
Recht und Ordnung und für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Die
vergangene Präsidentschaftswahl hat er mit solchen Parolen nur knapp
verloren. Die nächste könnte er durchaus gewinnen.
25 Aug 2010
## AUTOREN
Toni Keppeler
Toni Keppeler
## TAGS
Guatemala
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