# taz.de -- Gegenleistung für längere Laufzeiten: Merkels Weg zur Atomkraft | |
> Die Bundeskanzlerin reist zum Atomkraftwerk Lingen, ihre Gutachter | |
> bekommen Geld von den Energiekonzernen RWE und Eon, und sie rechnen die | |
> Ökostromziele runter. | |
Bild: Technischer Fortschritt: Greenpeace-Projektion am AKW in Lingen. | |
LINGEN/BERLIN taz | Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Donnerstag | |
erstmals persönlich eine weitere Gegenleistung der Kraftwerksbetreiber für | |
längere Laufzeiten gefordert. Einerseits müssten die Konzerne mit der | |
geplanten Brennelementesteuer einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung | |
leisten, sagte Merkel bei einem Besuch des Atomkraftwerks Emsland, das der | |
RWE-Konzern nahe Lingen in Niedersachsen betreibt. "Wir müssen darüber | |
hinaus darüber sprechen, in welcher Weise die Energiewirtschaft einen | |
Beitrag für die erneuerbaren Energien leisten kann", fügte sie hinzu. Die | |
Form dieses Beitrags ließ sie offen. | |
Merkel besuchte am Donnerstag das Kraftwerk, das 1988 in Betrieb ging und | |
nach dem geltenden Ausstiegsbeschluss 2020 abgeschaltet werden müsste. Es | |
ist Tag 3 ihrer Energiereise durch Deutschland. Bis zum heutigen Freitag | |
wird sie sich Windparks angeschaut haben, ein Gas- und ein Atomkraftwerk, | |
um sich ein Bild zu machen. In Lingen begleiteten sie Umweltminister | |
Norbert Röttgen (CDU) sowie der RWE-Chef Jürgen Großmann und Eon-Chef | |
Johannes Theyssen. Die beiden Konzernchefs wollen ihre Reaktoren möglichst | |
lange am Netz lassen, sie bekräftigten im Gespräch mit der Kanzlerin ihre | |
ablehnende Haltung gegen eine Brennelementesteuer. Merkel hält derzeit | |
dagegen, noch ist unklar, wer sich durchsetzt. Doch die Manager haben viel | |
zu sagen, wenn es um die Zukunft der Energieversorgung geht. Sehr viel. RWE | |
und Eon zahlen zum Beispiel - so wurde am Donnerstag bekannt - ausgerechnet | |
Geld an das Energiewirtschaftliche Institut (EWI) der Universität Köln. | |
Genauer: Beide Konzerne geben innerhalb von fünf Jahren jeweils 4 Millionen | |
Euro. | |
Das EWI ist jenes Institut, das zusammen mit dem Schweizer Prognos-Institut | |
und dem Wirtschaftsforschungsunternehmen GWS von der Bundesregierung | |
beauftragt wurde, Szenarien für ein künftiges Energiekonzept zu erarbeiten. | |
Das Konzept ist die Grundlage für die energiepolitischen Entscheidungen, | |
die die Regierung Ende September treffen will. Von ihm hängt ab, wie lange | |
die Meiler am Netz bleiben sollen und welche Gewinne die Konzerne mit ihnen | |
noch machen werden. Monatelang haben die Gutachter dazu berechnet, wie es | |
sich auf die Strompreise, den Klimaschutz und die Volkswirtschaft auswirkt, | |
wenn die hiesigen Atomkraftwerke 4 bis 28 Jahre länger am Netz bleiben. Die | |
Konzerne hätten auf die Arbeit keinen Einfluss genommen, das EWI sei | |
unabhängig, betonte eine Sprecherin. Allerdings ist RWE genau wie Eon im | |
Verwaltungsrat des Instituts vertreten. | |
Der Verdacht, die Ergebnisse seien nicht rein wissenschaftlich begründet, | |
steht im Raum. Die Gutachter legen sie zwar erst heute Minister Röttgen und | |
seinem FDP-Kollegen, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, vor. Doch wurden | |
am Donnerstag schon erste Ergebnisse bekannt: Die Experten nehmen | |
niedrigere Ziele für den Anteil an Ökostrom an als bisher geplant. Während | |
der Nationale Aktionsplan für erneuerbare Energie einen Ökostrom-Anteil von | |
38,6 Prozent für 2020 anpeilt, gehen die Experten von knapp 35 Prozent aus. | |
Dabei hatte das Kabinett den Aktionsplan erst Anfang August beschlossen. | |
Der Unterschied entspricht nun ungefähr der Leistung von bis zu vier | |
Atomkraftwerken. | |
"Atomkraft ist ein Irrweg, Frau Merkel" - diesen Satz hatten | |
Atomkraftgegner bei Merkels Ankunft in Lingen auf den Kühlturm projiziert. | |
Mehrere hundert Demonstranten forderten die Kanzlerin auf, statt nach | |
Lingen lieber nach Schweinfurt, Landshut oder Worms zu fahren. Dort hatten | |
sich die Stadträte der örtlichen CDU und CSU für eine reguläre Abschaltung | |
der benachbarten Atomkraftwerke Grafenrheinfeld, Isar 1 und Biblis | |
ausgesprochen. | |
26 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
R. Bollmann | |
H. Gersmann | |
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