# taz.de -- Sarrazins Thesen im "Spiegel": "Ich habe lange mit mir gerungen" | |
> Prominenter Platz für rassistische Thesen: Der "Spiegel" hat Auszüge aus | |
> Sarrazins Buch abgedruckt. Die Debatte müsse geführt werden, verteidigt | |
> sich Chefredakteur Müller von Blumencron. | |
Bild: "Wir haben darüber intensiv in der Redaktion debattiert": Der "Spiegel" … | |
taz: Herr Müller von Blumencron, warum gibt sich der Spiegel für den | |
Vorabdruck des neuen Buchs von Thilo Sarrazin her? | |
Mathias Müller von Blumencron: Das war keine leichte Entscheidung, wir | |
haben darüber intensiv in der Redaktion debattiert. Auch ich habe lange mit | |
mir gerungen. Sie können sich denken, dass ich den Text weder inhaltlich | |
noch im Ton teile. Er widerspricht meinen Vorstellungen von einer offenen | |
Gesellschaft und der Zukunft dieses Landes diametral. Aber so ist das bei | |
Meinungstexten: Um Debatten einzuleiten, müssen wir auch Beiträge drucken, | |
mit deren Aussagen wir nicht einverstanden sind. | |
Aber bringt der Text die Debatte denn irgendwie voran? Es handelt sich doch | |
um radikal rassistischen Populismus. | |
Wenn Thilo Sarrazin irgendein Autor wäre, würde die Sache anders aussehen. | |
Aber ihn zeichnen gleich zwei Dinge aus: Er war Finanzsenator in Berlin und | |
ist immer noch ein prominenter Sozialdemokrat - und noch viel wichtiger: | |
Sarrazin ist Mitglied des Vorstands einer der ehrwürdigsten Institutionen | |
dieser Republik, der Bundesbank. Er ist daher eine Stimme des öffentlichen | |
Lebens, die sich auf diese Weise in die Debatte einbringt. Das hat uns | |
letztlich bewogen, den Text zu drucken. | |
Allerdings fiel die Anmoderation des Buchauszugs doch recht zahm aus: Warum | |
hat der Spiegel Sarrazins Thesen nicht kommentiert oder wenigstens in der | |
Rubrik "Hausmitteilung" Stellung bezogen, wie das bei anderen Themen | |
durchaus der Fall ist? | |
Unsere kritische Haltung haben wir in der Einleitung zu dem Buchauszug | |
deutlich gemacht, aber ich halte nichts davon, Texte mit einer | |
Gebrauchsanweisung zu versehen. Es handelt sich um einen Meinungsbeitrag, | |
über den man streiten muss. Und es wird ja glücklicherweise schon heftig | |
gestritten. Wir werden es natürlich nicht dabei belassen, einen solchen | |
Text zu drucken, und dann einfach zur Tagesordnung übergehen. Der Spiegel | |
wird das Thema weiterdrehen. Mit Debatten, aber auch mit Artikeln zum Thema | |
Integration: Über Probleme, die es gibt - aber auch über das, was gelungen | |
ist. | |
Aber wenn Sie Sarrazin schon so viel Raum geben: Warum ist der Vorabdruck | |
dann nicht prominenter auf dem Titel oder im Inhaltsverzeichnis | |
angekündigt? Dort aber findet sich der Vorabdruck eher unter "ferner | |
liefen" … | |
Das sehe ich nicht so. Sarrazin hat bei uns mehrere Seiten bekommen. Das | |
reicht. | |
Zudem klammert der im Spiegel veröffentlichte Auszugs diverse heiße Eisen | |
aus - das Thema Eugenik kommt beispielsweise gar nicht vor! | |
Es geht um ein langes Buch, und man muss sich für einen bestimmten | |
Ausschnitt entscheiden. Wir haben hier versucht, Sarrazins Sicht der Dinge | |
weder im Ton abzumildern noch an den Thesen zu rasseln, damit alles noch | |
spektakulärer erscheint. Sondern wir haben eine zentrale Passage gewählt. | |
Dabei hatten Sie einen Vorsprung vor fast allen anderen Medien: Die hatten | |
sich - bevor der Verlag wegen der aktuellen Debatte die Sperrfrist am | |
Donnerstag aufhob - verpflichten müssen, vor kommendem Montag nichts über | |
das Buch zu bringen. | |
Der Spiegel legt Wert auf Exklusivität, das tut er bei jedem Buch und | |
Vorabdruck. | |
Und was kann die Welt am Montag erwarten? Wird die Chefredaktion selbst | |
Stellung beziehen? | |
Sie können sicher sein, dass wir auf den Fall Sarrazin ausführlich eingehen | |
werden. | |
Wird sich Thilo Sarrazin danach besser oder schlechter fühlen als heute? | |
Das sind für uns keine Kriterien. Ich fürchte, er fühlt sich gerade | |
ziemlich gut. Ich möchte, dass man sich mit dem Kern der Debatte | |
beschäftigt - mit dem Thema Integration, aber auch damit, wie in | |
Deutschland darüber diskutiert wird. | |
Und deshalb drucken Sie zunächst als pure Provokation den Beitrag einer | |
Oberkrawallschachtel? | |
Dieser Text ist leider ein Abbild der Art und Weise, wie in vielen Teilen | |
dieses Landes über Integration geredet wird. Damit muss man sich | |
auseinandersetzen, das kann man nicht verdrängen. Sarrazin provoziert, aber | |
das allein spricht nicht dagegen, diesen Text zu drucken. | |
27 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
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