# taz.de -- 67. Filmfestspiele in Venedig: Tricks und Finten | |
> Lidokino II: der Eröffnungsabend der Festspiele in Venedig gehörte gleich | |
> drei Filmen, die mit Action, Blut und Schockmomenten nicht geizten. | |
Bild: Natalie Portman, Vincent Cassel (rechts) und Black-Swan-Regisseur Darren … | |
Die Mostra macht Krach. Wenn es etwas gibt, wovor sie garantiert keine | |
Angst hat, dann sind das Effekte. In der Sala Volpi ist der Ton am | |
Dienstagnachmittag so laut eingestellt, dass der Festivaltrailer, der schon | |
bei normaler Lautstärke an eine Kirmes erinnert, noch lange in den Ohren | |
tönt. Und der gestrige Eröffnungsabend gehörte gleich drei Filmen, die mit | |
Action, Blut und Schockmomenten nicht geizten: Darren Aronofskys | |
Psychothriller "Black Swan", Andrew Laus Actionspektakel "Legend of the | |
Fist: The Return of Chen Zhen" und schließlich Robert Rodriguez | |
Rachefantasie "Machete". Bis Redaktionsschluss waren die ersten beiden zu | |
sehen; dass auch der dritte nicht auf subtile Reize setzt, lässt sich schon | |
deshalb vorhersagen, weil Rodriguez mit "Machete" zum Spielfilm ausbaut, | |
was er im Rahmen der beiden Grindhouse-Filme als Faketrailer in Szene | |
setzte. | |
Andrew Lau versteht seinen Film als Hommage an Bruce Lee, der im November | |
70 Jahre alt würde. Chen Zhen, der Held bei Lau war auch der Held in Wei | |
Los "Fist of Fury" aus dem Jahr 1972. Damals spielte Lee die Hauptrolle, | |
diesmal Donnie Yen, und beide Helden haben eine Mission: Sie wollen die | |
Japaner, die in den 1920er Jahren im Begriff sind, den Norden Chinas zu | |
besetzen, nach Kräften sabotieren. Kung Fu kämpft hier also gegen Karate, | |
und gern ließe man sich auf die Schönheit der Fausthiebe, der | |
Hebeltechniken und Sprungtritte ein, wäre da nicht dieser aufdringliche | |
Patriotismus in Laus Inszenierung. Die Eröffungssequenz freilich ist toll: | |
Chen Zhen rettet sich und seine Leute aus den Schützengräben des Ersten | |
Weltkriegs, in die er durch einen fiesen Winkelzug der Kolonialpolitik | |
hineingeraten ist. Andrew Lau zieht dabei alle Register des | |
Martial-Arts-Spektakels, und es ist eine echte Überraschung, zu sehen, wie | |
gut sich die Topoi des Weltkriegsfilms, die Bajonette, die schlammigen | |
Uniformen und die Schützengräben, mit den Tricks und Finten der | |
Hongkong-Kampfkunst vertragen. | |
Darren Aronofsky war zuletzt 2008 mit "The Wrestler" am Lido zu Gast und | |
wurde damals mit dem Goldenen Löwen belohnt. Auch sein neuer Film schaut | |
sich dort um, wo harter Körpereinsatz die Grundlage für Kunst und | |
Unterhaltung bildet. Nach dem Wrestling ist nun das Ballett an der Reihe. | |
Die New Yorker Tänzerin Nina (Natalie Portman) hat die Hauptrolle in einer | |
Inszenierung von Tschaikowskis "Schwanensee" inne. Sie gibt die | |
unschuldige, reine weiße Schwanenkönigin Odette und zugleich die | |
dämonische, verführerische schwarze Odile. Die Zeit des Castings und der | |
Proben wird für sie zum Albtraum, da sie an vielen Problemen leidet - an | |
einer kontrollierenden Mutter, an ihrem eigenen Perfektionismus, an ihrem | |
Hang zur Selbstverletzung und schließlich an einer von vielen Komplexen | |
verstellten Sexualität. Weil Aronofsky kein Mann der leisen Töne ist, | |
inszeniert er jedes Motiv drastisch und bis zum bitteren Ende aus. | |
Sein Film ist Schwarzweißmalerie im Wortsinn. Schön ist dieser Hang zum | |
Groben, wo "Black Swan" zu unerwarteten Lösungen findet - etwa wenn | |
Aronofsky eine sexuelle Fantasie seiner Heldin zunächst recht realistisch | |
filmt, dann aber, in dem Maße, wie Ninas Erregung steigt, ihre Haut zur | |
pickeligen Haut eines gerupften Vogels mutieren lässt. Irgendwann freilich | |
weiß man nicht mehr so recht, wie lange man die stets jammernde Heldin denn | |
noch aushalten soll. Je weiter "Black Swan" voranschreitet, desto mehr | |
gleicht die Hauptfigur einem gehetzten Hühnchen und desto größer wird der | |
Wunsch, ihr mit den Worten des Choreografen Thomas (Vincent Cassel) | |
zuzurufen: "Lass doch mal locker, leb doch mal ein bisschen." CRISTINA NORD | |
1 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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