# taz.de -- Kommentar AKW-Laufzeiten-Studie: Im Interesse des Stromkartells | |
> Die Fehler in der Studie der Bundesregierung legen den Verdacht nahe, | |
> dass sie nur dazu dient, die im Koalitionsvertrag beschlossene | |
> Laufzeitenverlängerung zu rechtfertigen. | |
Bild: Nein Danke auch zum potentiellen Koalitionspartner Union. | |
Drei Studien, drei Meinungen. Im Mai legte der Sachverständigenrat für | |
Umweltfragen der Bundesregierung in einem Gutachten dar, wie Deutschland | |
bis zum Jahr 2050 komplett mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen | |
versorgt werden könnte. Letzte Woche präsentierte das | |
Wirtschaftsministerium in Schleswig-Holstein eine Studie, nach der die | |
Offshore-Windkraftanlagen vor der deutschen Küste bereits im Jahr 2030 eine | |
Leistung von 30 bis 45 Gigawatt aufbringen dürften. Doch die Studie der | |
Bundesregierung zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke rechnet für das | |
Jahr 2050 nur mit maximal 15 Gigawatt aus Offshore-Windkraft - und etwa der | |
Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Quellen. | |
Wie kommt es zu so unterschiedlichen Ergebnissen? Die vielen Fehler in der | |
Laufzeitenstudie der Bundesregierung legen den Verdacht nahe, dass sie nur | |
dazu dient, die im Koalitionsvertrag beschlossene Verlängerung der | |
AKW-Laufzeiten zu rechtfertigen. | |
Erster Fehler: Die Studie geht davon aus, dass mit Atomkraft künftig etwa | |
20 Prozent weniger Energie verbraucht würde als mit erneuerbaren Energien. | |
Woher diese komische Idee rührt, wird nicht begründet. | |
Zweiter Fehler: Die Studie rechnet den Ausbau der Windenergie klein. | |
Dritter Fehler: Die Studie ignoriert die Auswirkungen eines wachsenden | |
Windstromanteils. Bei guten Windverhältnissen kann der Strombedarf nachts | |
zu 100 Prozent aus Windstrom gedeckt werden. Da aber Atomkraftwerke fast | |
drei Tage brauchen, um runter- und wieder hochzufahren, ist es technisch | |
unmöglich, sie in dieser Zeit abzuschaltem. Diese Inflexibilität würde dazu | |
führen, dass sie immer weniger laufen - und wegen der hohen Fixkosten | |
unrentabel werden. | |
Vierter Fehler: Die Studie rechnet damit, dass Kohlekraftwerke ab 2025 mit | |
CCS ausgestattet werden, welches das Kohlendioxid abtrennt und unterirdisch | |
verbringt. Dieses ist aber teurer, als die Gutachter meinen. | |
Fünfter Fehler: Die Studie rechnet zwar mit bis zu einem Drittel des Stroms | |
aus solarthermischen Kraftwerken. Diese sollen aber nicht in Nordafrika | |
gebaut werden, wie im Rahmen der Mittelmeerkonferenz geplant, sondern in | |
Sizilien oder Andalusien stehen. Dadurch wird die Solarenergie aber um rund | |
40 Prozent teurer gerechnet, als es nötig wäre. | |
Sechster Fehler: Ein hoher Anteil an Windkraft erfordert den Ausbau der | |
Netze und den Einsatz von Speichertechnologien, um lokale Schwankungen | |
auszugleichen. Die Studie der Bundesregierung plant nur einen geringen | |
Ausbau der Netze - und die günstigen Wasserspeicher in Skandinavien und den | |
Alpen gar nicht ein. | |
Welches politische Kalkül steckt dahinter? Das Oligopol der vier großen | |
Stromversorger - Eon, RWE, Vattenfall und EnBW - möchte den Ausbau der | |
Erneuerbaren und der Stromnetze deutlich verlangsamen, wenn erst mal die | |
Laufzeitverlängerung beschlossen ist. Schon sollen sich die vier | |
Oligopolisten die Rechte für 70 Prozent aller geeigneten Windparkflächen in | |
der Nordsee aufgekauft haben: nicht um Windparks zu bauen, sondern um bei | |
einer AKW-Laufzeitverlängerung den weiteren Ausbau der Windenergie zu | |
stoppen. | |
Auch den Ausbau der Netze blockieren sie seit Jahren. Eon ist dafür bereits | |
verurteilt worden und musste auf Druck der EU sein Netz verkaufen - ohne | |
dass sich viel geändert hätte, denn diese Blockade rentiert sich. Wenn man | |
Engpässe nicht durch Lieferungen aus anderen europäischen Ländern | |
ausgleichen kann, können die Reservekraftwerke öfter hochgefahren werden. | |
Die Bundesnetzagentur erlaubt dann, diese Kosten auf den Endkundenpreis | |
aufzuschlagen: ein perfides Spiel auf Kosten der Verbraucher. | |
Der Begriff Oligopol stammt übrigens von Werner Manette, dem ehemaligen | |
CDU-Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Er hatte Eon & Co | |
vorgeworfen, die Strompreise auf Kosten der restlichen Wirtschaft | |
hochzutreiben. Marnette verließ die Regierung aus Protest gegen die | |
Machenschaften der HSH Nordbank und die Schlafmützigkeit von | |
Ministerpräsident Carstensen gegenüber der Bank, die das Land Milliarden | |
gekostet hat. Auch die Schlafmützigkeit von Merkel gegenüber den Konzernen | |
werden wir eines Tages teuer bezahlen müssen, wenn das Oligopol sich | |
durchsetzt. | |
5 Sep 2010 | |
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