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# taz.de -- Mais-Ernte in den USA: 100 Badewannen pro Hektar
> Landwirtschaft im Großformat: Samuel Martin lebt im US-Bundesstaat
> Illinois von hochindustriellem Mais-Anbau. In diesem Herbst erntet er von
> einer Fläche so groß wie Sylt.
Bild: Ernte im Maisgürtel: Landwirt auf einem Maisfeld im US-Bundesstaat Illin…
BEMENT/WATSEKA taz | Samuel Martin lässt den schweren Pick-up auf dem
Grasstreifen neben dem Maisfeld ausrollen. Und wuchtet sich schwitzend
heraus. Die Luft flirrt vor Hitze über den tausenden, wie mit dem Lineal
gezogenen Reihen.
Der Farmmanager biegt die trockenen Stängel auseinander und stapft hinein.
Er zählt die Körnerreihen, prüft die Größe. "Natürlich wirkt sich die Dü…
in Russland auf mein Geschäft aus. Massiv", sagt er.
Martin, 54, ist ein massiger Mann mit rundem Gesicht. Mit seiner Firma
Emerald Valley Farms bewirtschaftet er sieben Farmen in ganz Illinois, auf
einer Fläche so groß wie die Insel Sylt. Nächste Woche will er die riesigen
Drescher losschicken.
Hier im US-Bundesstaat Illinois wechseln sich gelbe Maisfelder mit
sattgrünen Sojabohnenfeldern ab. Alle paar Kilometer tauchen riesige
Stahlzylinder der Getreidesilos am Horizont auf. Illinois liegt im
Mittleren Westen der USA, im Maisgürtel. Die Rekordhitze in Russland, die
Ernteausfälle und das Exportverbot für Weizen, das Ministerpräsident Putin
verhängt hat, sind hier gute Nachrichten. Sehr gute. Die Weizenpreise
schießen auf dem Weltmarkt in die Höhe, die für Mais ziehen ebenfalls an.
Wie groß seine Ernte sein wird, weiß Martin noch nicht. "Ich kann das
Wetter nicht an- oder abstellen. Drei Viertel meines Ertrages hängen von
Faktoren ab, die ich nicht beeinflussen kann", sagt er. Von Schädlingen,
von Pilzkrankheiten, selbst zu viel Regen kann schaden, weil er
Jungpflanzen ertränkt. Auch industrialisierte Landwirtschaft bleibt zum
Teil ein Lotteriespiel.
100 Badewannen Mais
Wenn alles gutgeht, fährt Martin 450 Scheffel auf jedem Hektar ein, das
entspricht etwa 100 Badewannen voll mit Maiskörnern. Er bricht im
Halbdunkel des Feldes einen Kolben ab und zeigt auf Ringe verschrumpelter
und blasser Körner, die sich um die Frucht ziehen - ein paar Wochen
extremer Trockenheit. Von einem Kolben kann Martin das ganze Jahr ablesen.
Die US-Landwirtschaftsbehörde sagt für dieses Jahr eine gute Maisernte
voraus, doch Martin glaubt ihr nicht. "Nach der Aussaat hatten wir einen
großartigen Start, im Mai und im Juni regnete es aber stark. Es gibt
verdammt große Schwankungen auf den Feldern."
Anders gesagt: Flecken mit verkümmerten Pflanzen drücken den Schnitt. "Und
diese Flecken sehen die Prüfer der Behörde nicht", sagt Martin. "Ich kenne
die Jungs. Wenn es draußen wegen der Luftfeuchtigkeit gefühlte 48 Grad heiß
ist, gehen sie nicht weiter in die Felder, als sie unbedingt müssen." Er
klettert in den Pick-up, steckt sich eine Marlboro Menthol an und fährt
langsam über die schmale, schnurgerade Asphaltstraße. Links Mais, rechts
Sojabohnen, sonst nichts.
Auch Roy Huckabay ist an einem Spätsommertag im August in Illinois
unterwegs, mit einer Hand steuert er seinen Chevrolet Truck, Modell Tahoe,
über die Interstate 57 Richtung Süden. "Der Mais sieht gut aus in der
Gegend hier, Gordy. Hochgewachsen, dicke Kolben, fast trocken. Der braucht
noch zehn Tage, dann kann er runter." Huckabay, 62, ähnlich schwergewichtig
wie der Farmer, Seitenscheitel und Brille, telefoniert über die
Freisprecheinrichtung mit seinem Partner in Chicago.
Er arbeitet an der Chicago Mercantile Exchange, einer der weltgrößten
Terminbörsen für Rohstoffe. Huckabay ist einer von drei Eigentümern der
Linn Group, einem Handelsunternehmen, das Kunden berät und absichert, die
Termingeschäfte tätigen wollen. Er hilft, Martins Mais zu verkaufen.
Huckabay kann stundenlang über Mais reden. Er weiß, wie viel Regen er
braucht oder welchen Boden, wann die reifen Kolben im richtigen Winkel
herabhängen oder dass Farmer gern Feldränder stark düngen, damit sie von
der Straße aus gesund aussehen. Heute wird er Farmern und Silobetreibern,
die Getreide aufkaufen, den Markt der nächsten Monate erklären. Langsam
rollt er durch Bement, ein 1.800-Einwohner-Dorf mit kleinen Holzhäusern
hinter sauber geschnittenen Rasenflächen. "Es ist immer schön, mit guten
Nachrichten in so eine Runde zu kommen", sagt Huckabay und parkt vor der
Stadthalle, einem Flachbau mit blinden Fenstern, von dem der Putz
abblättert.
Drinnen sitzen knapp hundert Farmer vor Styroportellern mit Bohnen und
Kartoffelsalat, viele karierte Hemden, sonnenverbrannte Gesichter, ergraute
Haare. Es ist der Höhepunkt ihres jährlichen Treffens, zu dem der örtliche
Silobetreiber einlädt. Huckabay redet langsam und zeigt mit einem
Laserpointer durch den Raum auf seine Kurskurven und Statistiken. Der rote
Punkt kreist auf der Schautafel. "Die große Überraschung, die auf uns
zukommt, ist die anziehende Nachfrage nach Sojamehl."
Es ist wie Schach, Huckabay versucht, die Züge des Marktes zu berechnen:
Weil Russland seinen Weizen für Brot braucht, muss es die
Viehfutterproduktion herunterfahren. Weil russische Bauern Vieh schlachten
müssen, wird der Weltmarkt in diesem Jahr mit Fleisch überschwemmt. Weil
Russland deshalb 2011 Fleisch importieren wird, werden die Preise für
Futterprodukte wie Sojabohnen oder Mais kräftig anziehen. Und die USA sind
der größte Maisproduzent und -exporteur weltweit. Im Moment kostet das
Scheffel an der Rohstoffbörse in Chicago knapp 4,20 Dollar, Huckabay hält 5
Dollar für möglich. Big money.
Die Landwirtschaft des Mittleren Westens ist hochindustrialisiert. Riesige
Megafarmen produzieren genmodifizierten Mais oder Sojabohnen, die Ernten
werden von drei, vier marktbeherrschenden Firmen aufgekauft. Das Land
gehört Investmentfonds, Unternehmen oder Farmerfamilien, die selbst nicht
mehr wirtschaften. Pächter erledigen die Farmarbeit. Und Manager wie Samuel
Martin verwalten riesige Flächen, sie sind das Bindeglied zum Markt.
Der Arbeitstag von Roy Huckabay beginnt früh. Er steht um 3.45 Uhr auf, um
6.30 sitzt er in seinem Ledersessel im 12. Stock des massiven Granitbaus
der Börse, die in Chicago einen ganzen Block einnimmt. Vor sich zwei
Bildschirme mit Charts, Tabellen und Kurven. Eine Stunde später schickt er
einen Newsletter an Kollegen und Kunden mit aktuellen Daten und Prognosen.
Er hilft Farmmanagern wie Samuel Martin, zumindest einen Teil ihres
Geschäfts berechenbarer zu machen, ihre Einnahmen. Seine Firma arbeitet
jeden Monat mit einem Kapital von rund 150 Millionen Dollar, das die Kunden
investieren. Sie ist ein kleiner Player.
Über vier Fünftel der Geschäfte an der Rohstoffbörse in Chicago werden
elektronisch abgewickelt vor Bildschirmen. Die offene Plattform mit dem
Geschrei und dem Gestikulieren der Händler wird immer unwichtiger. Huckabay
hat in seiner Villa in einem Vorort von Chicago eine Kopie seines Büros
eingerichtet, in dem er jederzeit eingreifen kann. "Meine Beziehung zu
meinen Kunden ist sehr eng. Wenn ich nicht arbeite, fühle ich mich, als
würde ich sie im Stich lassen. Genau das ist mein Problem. Es gibt Tage, an
denen ich meinen Beruf hasse."
Auch Farmmanager Martin sitzt meist vor Bildschirmen. Sein Büro befindet
sich in einem Klinkerbau 90 Meilen südlich von Chicago in Watseka. Das
5.700-Einwohner-Städtchen schmiegt sich an die Eisenbahngleise, die die
Getreidesilos der Gegend miteinander verbinden. Im Diner an der Hauptstraße
ziehen Rentner bei Kaffee über Obama her, neben dem Eingang liegt die
Zeitung des Vereins "Guns save lifes" aus. Auch Martin steht vor 4 Uhr auf,
Huckabays Newsletter blinkt morgens in seinem Postfach.
Es ist ein Lotteriespiel
Die hohen Weizenpreise nach Russlands Exportverbot helfen ihm kaum. Es ist
wieder das Lotteriespiel. Winterweizen wird im September gesät, Mais und
Sojabohnen werden im September geerntet. Diese reiften im vergangenen Jahr
extrem spät. "Wir haben die Weizensaat einfach nicht rechtzeitig in den
Boden bekommen", sagt Martin. Ausgerechnet in diesem Jahr hat er deshalb
keinen einzigen Hektar Weizen draußen stehen. Auch die anziehenden Preise
für Mais und Sojabohnen kann der Manager nur zum Teil mitnehmen. "Die Ernte
2010 ist jetzt schon Geschichte", sagt er. Obwohl die Drescher erst noch
fahren.
Martin nimmt einen Stapel Statistiken von seinem schweren Holzschreibtisch
und blättert, sein Finger fährt Datenreihen entlang, bis er die Tabelle mit
den Verkäufen gefunden hat. "Im Moment habe ich 48 Prozent der aktuellen
Maisernte verkauft und 55 Prozent der Sojabohnen."
Jeder Bauer sagte im Frühjahr das Gleiche. Kaum Weizen im Boden, dafür jede
Menge Mais. Also besser früh verkaufen, weil die Preise durch das große
Angebot fallen würden.
"Das war die einhellige Vermutung, als alle gepflanzt haben." Auch Martin
hat früh verkauft, sicherheitshalber. Immerhin, für die andere Hälfte
seiner Ernte wird er bessere Preise bekommen.
Alles hängt mit allem zusammen. Ob Südamerika eine fantastische Sojaernte
einfährt, China Importe hochfährt, die US-Regierung hohe Maisüberhänge
meldet, Frankreich Weizenausfälle vorhersagt oder eben Russland, all dies
zeigt sich in den bunten Datenreihen auf Martins Bildschirm, die sich
sekundenschnell ändern.
Und Martin reagiert wie ein Fondsmanager. Er verkauft Prozentsätze seiner
Ernte ständig zu unterschiedlichen Preisen, um seinen Kunden am Ende des
Geschäftsjahrs eine gute Rendite zu sichern. 625 Dollar Gewinn pro Hektar.
Das ist seine Benchmark. "Das sind ungefähr 5 Prozent dessen, was ein
Hektar Ackerland in der Gegend kostet. Wenn ich meinen Kunden sagen kann,
hey, ich zahle euch jedes Jahr 5 Prozent eures Investments zurück, ist das
für sie eine gute Anlage." Ackerland funktioniert für Investoren wie Aktien
oder Fonds.
Martin ist konservativ, er verkauft lieber stetig im oberen Drittel der
Preisspanne, statt auf die extremen Höhen zu warten: "Denn der Typ, der die
ausrechnen kann, heißt Gott. Und wenn du dich mit ihm messen willst - viel
Glück!"
Diese Tage sind wichtig für Martin. Jetzt entscheidet er, was auf welchem
Feld gepflanzt wird. In dem Sitzungsraum neben seinem Büro hängen
Satellitenbilder seiner Farms an der Wand, die riesigen Flächen sehen von
weit oben wie ein Mosaik in dem Bundesstaat aus. Die typische Fruchtfolge
in Illinois ist Soja in einem, Mais oder Weizen im nächsten Jahr.
Martin wird auf seinem Mosaik im nächsten Jahr mehr Weizen anbauen. 400
Hektar, das ist viel für ihn, normalerweise konzentriert er sich auf Mais
und Sojabohnen. "Es sieht ja im Moment so aus, als könnte ich es zu einem
profitablen Preis verkaufen."
8 Sep 2010
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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