# taz.de -- Gerichtshof verurteilt Türkei: Mitschuld an Journalisten-Mord | |
> Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte urteilt: Die Türkei hat sich | |
> mitschuldig gemacht und muss Schmerzensgeld an die Familie des ermordeten | |
> Journalisten Dink zahlen. | |
Bild: 2007 wurde Dink ermordet. Seitdem forderten Demonstranten und Angehörige… | |
Die Türkei trägt Mitschuld am Tod des Journalisten Hrant Dink. Dies stellte | |
gestern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg | |
fest. Trotz der Hinweise auf ein Attentat seien die türkischen | |
Sicherheitsbehörden untätig geblieben. Außerdem wurde die Türkei | |
verurteilt, weil sie zu Lebzeiten die Meinungsfreiheit von Hrant Dink | |
verletzte und nach der Ermordung nicht ausreichend ermittelt hatte. | |
Hrant Dink war ein türkischer Journalist mit armenischen Wurzeln. Er wurde | |
im Januar 2007 in Istanbul auf offener Straße vor dem Haus der von ihm | |
herausgegebenen Zeitung Agos erschossen. Agos ist eine zweisprachige | |
türkisch-armenische Wochenzeitung, in der vor allem die Situation der | |
Armenier in der Türkei und der türkische Völkermord an den Armeniern | |
1915-1917 offen diskutiert wurde. | |
Nationalistische Extremisten zeigten Dink 2004 wegen "Verunglimpfung des | |
Türkentums" an, weil er in einem Text im Zusammenhang mit dem | |
türkisch-armenischen Verhältnis metaphorisch von türkischem Blut als "Gift" | |
gesprochen hatte. Gemeint war aber die Fixierung der Armenier auf die | |
Anerkennung des Genozids durch die Türken. Hrant Dink wurde dennoch in drei | |
Instanzen verurteilt. Die Strafe von sechs Monaten Haft auf Bewährung war | |
noch nicht rechtskräftig, als der Mord geschah. Seine politischen Freunde | |
gingen davon aus, dass die Justiz Dink mit ihrem Urteil zum Abschuss | |
freigegeben hat. | |
Gegen seine Verurteilung hatte Hrant Dink noch zu Lebzeiten Beschwerde beim | |
EGMR in Straßburg eingelegt. Nach der Ermordung erhoben seine Frau, seine | |
Kinder und sein Bruder weitere Klagen. Alle Beschwerden hatten Erfolg. Die | |
Türkei muss der Witwe und den Kindern nun zusammen 100.000 Euro | |
Schadensersatz bezahlen, der Bruder erhält 5.000 Euro. | |
Die Türkei habe das Lebensrecht von Hrant Dink verletzt, weil die | |
Sicherheitskräfte den Hinweisen auf Dinks geplante Ermordung nicht | |
nachgingen. Sowohl die Polizei im nordtürkischen Trabzon als auch die | |
Polizei in Istanbul wie auch die paramilitärische Gendarmerie in Trabzon | |
wussten von Anschlagsplänen, blieben aber untätig. Durchgeführt wurde der | |
Mord dann von drei Mitgliedern einer rechtsradikalen Jugendgang aus | |
Trabzon. | |
Schon die Verurteilung Dinks durch die türkischen Gerichte wurde jetzt | |
beanstandet. Sie sei in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig | |
gewesen. Dink habe eindeutig nicht echtes türkisches Blut als Gift | |
bezeichnet. Die türkischen Strafgerichte hätten den metaphorischen Begriff | |
nur als Vorwand benutzt, um Dink zu bestrafen, weil er den türkischen Staat | |
und dessen Weigerung, den Genozid anzuerkennen, kritisiert hatte. Die Suche | |
nach der historischen Wahrheit sei jedoch ein "integraler Teil der | |
Meinungsfreiheit", betonten die Richter. Jeder Staat habe die | |
Verpflichtung, ein Klima zu schaffen, in dem offene Debatten frei von Angst | |
gedeihen können. | |
Kritisiert wurde von den Straßburger Richtern schließlich, wie halbherzig | |
in der Türkei der Mord und vor allem seine Hintergründe aufgeklärt wurden. | |
Zwar stehen die jugendlichen Täter selbst vor Gericht, die Untersuchung der | |
polizeilichen Untätigkeit habe jedoch im Wesentlichen darin bestanden, die | |
Polizisten zu verteidigen. | |
Das Urteil der siebenköpfigen Straßburger Kammer fiel einstimmig, auch der | |
türkische Richter stimmte für eine Verurteilung der Türkei. Das Land kann | |
noch die 17-köpfige Große Kammer des EGMR anrufen. | |
(Az.: 2668/07 u. a.) | |
15 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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