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# taz.de -- Fussball-Derby in der Hauptstadt: Fangesänge auf Berlinerisch
> Am Freitag spielen mit FC Union und Hertha BSC erstmals beide Berliner
> Vereine in der 2. Liga gegeneinander. Auch musikalisch prallen da zwei
> Welten aufeinander.
Bild: Fans in Feierstimmung: Beim Freundschaftsspiel Hertha-Union am 27.1.1990 …
1. FC Union Berlin
Die Anhänger des Ostberliner Klubs erinnern sich und alle anderen gern an
die prägende Besonderheit der Vereinsgeschichte, den ewigen Kampf mit den
Mächten. "Den Sieg vor Augen, den Blick weit nach vorn / Ziehn wir
gemeinsam durch die Nation / Osten und Westen - Unser Berlin / Gemeinsam
für Eisern Union". Der Blick musste oft weit nach vorn gehen, weil man oft
ziemlich weit hinten stand. Manchmal sah man gar keine Sonne mehr, aber
aufgeben ist nicht, so das Credo der Unioner.
Natürlich sind die Ost-West-Gedenktöne für viele Fans mittlerweile eher
Teil der Folklore, zumal die Ost-Ost-Rivalität viel stärker ist. Der
Erzfeind heißt BFC Dynamo. Aber Folklore gehört nun mal zur Tradition und
dass Union vom Berliner Senat viel weniger wohlwollend als Hertha BSC
behandelt wurde, ist keine Mär.
Abgesehen davon, dass niemand alles ernst nimmt, was crazy Nina äußert,
passt wohl keine Sängerin so gut zu dem Verein aus dem nach 1990 schwer
getroffenen Arbeiterbezirk Schöneweide wie sie. Punkig, schlagernd,
extrovertiert, ein bisschen irre sind sie beide. Dass Nina Hagen ihre Liebe
zu Union nicht durch Anwesenheit auf der Zuschauertribüne zeigt, nimmt ihr
niemand übel. Es reicht das Bekenntnis, das Union-Gen von ihrem Vater
übernommen zu haben, der ein großer Fan der Eisernen war.
Das schon in der DDR entstandene Image vom Underdog, Tradition und extreme
Fanverbundenheit sind für Union zentrale Pfeiler bei der Abgrenzung zum
Rundum-Kommerzwesen und zum Rivalen Hertha. So klingts auch aus den Boxen
bei den Spielen. Die Stadion-Playlists sorgen des Öfteren bei Besuchern von
auswärts für Verwirrung. Sham 69, Rammstein, Beastie Boys, Rainald Grebe,
alles ist möglich. Und erst recht natürlich Achim Mentzel, der
berühmt-berüchtigte MDR-Stimmungskanonier.
Auch er ist so ein Original: hatte als Rock-n-Roller die DDR-Jugend
verrückt gemacht, ehe er in die volkstümliche Schlagerwelt abdriftete.
Dafür hat seine Union-Hymne "Stimmung in der Alten Försterei" von 1985
erstaunlichen Rockappeal (beginnt wie "Waiting for the Rapture" von Oasis).
Die Langzeitaktualität des Textes kommt selbstverständlich nur durch den
Verzicht auf Originalität zustande: "Auf einer grünen Wiese zwei Tore
aufgestellt / und zwischen diesen Toren der schönsten Platz der Welt /
Angriff - Unioner stürmen vor den Ball hinein ins gegnerische Tor / Hey,
hey, hey, Union". Geschrieben wurde der Song von Harry Jeske, seinerzeit
Bassist der Puhdys.
Mentzels Union-Lied schaffte es nicht nur in der DDR auf eine Platte,
sondern auch jenseits der Mauer. Der Westberliner Fanartikelhändler "Pepe"
Mager hatte 1988 beim Ostberliner Amiga-Label für 800 D-Mark die Lizenz
erworben, "Stimmung in der Alten Försterei" mit seinem Hertha-Loblied auf
einer Vinylsingle ("Freunde hinter Stacheldraht") zu veröffentlichen.
Den seltsamsten Support erhält Union jedoch seit zehn Jahren vom DFB. Im
Jahr 2000 schuf der Heimorgelspieler Franz Lambert, bereits Komponist der
Fifa-Hymne, auch eine DFB-Hymne. Seither wird sie vor Pokalspielen und
Länderspielen in den Stadien aufgeführt und animiert die Unioner gern zum
Mitsingen, weil sie eine erstaunliche Ähnlichkeit zum älteren Hagen-Song
"Eisern Union" aufweist. Damit, sagen die Unioner, ist es die
meistgespielte Vereinshymne in fremden Stadien. Trotzdem flog der Verein
jüngst mal wieder in der ersten Pokalrunde raus.
Hertha BSC Berlin
All die Fans brüllen sich den Hals aus / Und der Stürmer, der stürmt vor /
Alle jubeln, wenn der Ball rollt / Voll hinein ins Gegnertor". So weit, so
unklar, welchem Verein hier gehuldigt wird. Gäbe es da nicht die Melodie
und den Refrain "Nur nach Hause gehn wir nicht". Kein Zweifel mehr, hier
kommt Frank Zander mit seiner Hertha-Hymne. Eigentlich hatte er sie 1993
geschrieben, um sich vor den sensationell ins DFB-Pokalfinale eingezogenen
Hertha-Amateuren zu verbeugen. Doch dann setzte sich das Lied bei den Fans
fest, kein Wunder, da es ein Cover des Rod-Stewart-Schunkler "Sailing" ist.
Wenn sich im Fußball ein Musikstück verselbständigt, ist das meistens ein
gutes Zeichen. Nur Vereinslieder, die sich selbst den Weg ins Stadion
bahnen, sind wahre Vereinslieder. Deshalb und nur deshalb kann man auch
nichts gegen den Ballermann-Stampfer "Das geht ab!" von Die Atzen sagen.
Der Partyrapp wurde von den Hertha-Fans in die Stadionkurve getragen, als
der Klub aus Versehen auf Meisterkurs war. Und als er abstürzte, machten
sie aus dem Refrain "Wir holen die Meisterschaft" einfach "Wir steigen
niemals ab!"
Alles falsch, aber nicht halb so schlimm wie die sonstigen Versuche, die
alte Dame Hertha mit neumodischem Schnickschnack aufzuhübschen, um sich als
Vorzeigeklub der Hauptstadt zu präsentieren. Eventgläubigkeit und
Anbiederung an die Edelfans in den VIP-Logen führten 2008 dazu, dass die
Profispieler Verdis Gefangenenchor aus "Nabucco" in einen Herthajubelchor
umwandelten (nachzuhören auf der CD "Blau und weiß"). Die meisten jener
Sänger sind längst über alle Berge und schwören neuen Klubs die Treue.
Dass früher im besungenen Fußball auch bei Hertha nicht alles, aber manches
besser war, beweist der charmante Schlager "Blau-weiße Hertha" von den drei
Travellers aus dem Jahr 1961. In herrlicher Altbackenheit klingt es
molleschäumend laubenpieperhaft: "Blau-weiße Hertha, du bist unser
Sportverein / Blau-weiße Hertha, du wirst es für immer sein / Wo du
spielst, da rollt das Leder ungestüm ins Tor / Wo du schießt, da ruft ein
jeder: Hertha vor, noch ein Tor / Blau-weiße Hertha, dir gehört der Sieg."
Rührend gestrig, aber eben nicht peinlich.
Und welch ein Unterschied zur verquasten Schlagerlyrik, mit der der Hesse
(!) Matthias Reim 1997 "Hertha, Hertha, unsere Hertha" umgarnte. "Deine
Waffe ist die Stärke / Wenns drauf ankommt, du zu sein / Dunkle Schatten,
alte Sehnsucht / Geh den Weg ins Licht hinein!" Vielleicht ist ja das
Flutlicht gemeint oder doch gleich das Glück der Nation? Immerhin finden
sich Anklänge der Nationalhymne im Intro. Reims Hertha-Lied ist ein später
Gruß aus dem ZDF-Hitparaden-Berlin und dürfte selbst von hartgesottenen
Alt-Herthanern kaum zum "Kultlied" geadelt werden.
Heute steht Hertha nicht nur sportlich als Verein da, der sein Potenzial
nie ausschöpfen konnte. Auch musikalisch hat er die mit Berlin verbundenen
Chancen vertan. 2006 hatte der Hertha-Fan Christian Ulmen versucht, die
alte Dame und Seeed zu verkuppeln. Weil die Band wie die Mannschaft sei:
"Berlin, multikulturell, gut". Der damalige Klubmanager Dieter Hoeneß fand
es eine gute Idee, im Prinzip. Seeed-Sänger und seit seiner Jugend
Hertha-Fan Pierre Baigorry bekundete Interesse an einer Kooperation von
Jung und Alt, sprich mit Frank Zander.
Es endete auf Berliner Art: Nichts passierte. So schrieb Baigorry alias
Peter Fox eben keine Blau-weiß-Hymne, sondern die Hass-Liebes-Hymne auf
Berlin "Schwarz zu blau". Dafür kassierte er 2009 bei der "Echo"-Verleihung
in Berlin den Preis in der Kategorie "HipHop urban" - aus den Händen von
Hertha-Kapitän Arne Friedrich .
16 Sep 2010
## AUTOREN
Gunnar Leue
## TAGS
Fußball
Union Berlin
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