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# taz.de -- Neustart der Anti-Atom-Bewegung: Im Zeichen der Sonne
> Viele nahmen am Samstag zum ersten Mal an Protesten teil. Insgesamt kamen
> 100.000 zur Großdemo nach Berlin. Sie sind von der Regierungspolitik
> enttäuscht.
Bild: Viele neue Gesichter: Antiatom-Protest in Regierungsviertel.
BERLIN taz | Die rote Sonne ist allgegenwärtig. Auf vielen tausend Fahnen
flattert das Symbol der Anti-Atom-Bewegung am Samstag im Berliner
Regierungsviertel. Die wenigsten davon stammen aus den 80er Jahren, der
Zeit, als das Logo mit dem Schriftzug "Atomkraft? Nein Danke!" entstand und
vor allem als Aufkleber und Button verbreitet war. Heute ist das Symbol
gefragt wie nie.
17.000 Fahnen und 1,2 Millionen Aufkleber hat in den letzten Monaten allein
die Organisation ".ausgestrahlt" produziert, die zu den Initiatoren der
Großdemonstration gehört. Die Grünen sind nachgezogen und haben das rote
Logo massenhaft auf parteifarbene Fahnen gedruckt. Und auch der
Solarzellenhersteller Solarworld wirbt auf Aufklebern mit der lachenden
Sonne.
Allgegenwärtig sind am Samstag auch die Atomkraftgegner in der
Bundeshauptstadt. Nahezu jede Straße rund um Bundestag und Kanzleramt ist
um 15 Uhr dicht mit Menschen gefüllt. "Wir wollten das Regierungsviertel
umzingeln", sagt .ausgestrahlt-Sprecher Jochen Stay. "Stattdessen ist es
regelrecht geflutet worden." Während der Umzingelung sitzen die Menschen
auf dem Asphalt. Hier singen sie in Chören, dort drüben wird getrommelt und
getanzt. Zehn Minuten lang ertönt dann ohrenbetäubender Lärm: "Atomalarm"
mit Pfeifen, Rasseln, Trommeln, Vuvuzelas.
Wie viele Menschen heute letztlich auf der Straße sind, kann niemand
überblicken. Allein der Hauptzug der Demonstration vom Bahnhof aus umfasst
nach taz-Zählungen etwa 50.000 Menschen, doch tausende weitere strömen auf
anderen Wegen zur Umzingelung. Die Veranstalter sprechen am Nachmittag von
100.000 Menschen - doppelt so viele wie noch vor einem Jahr.
Nicht nur bei der Sonne als Symbol des Protests vermengt sich an diesem
Samstag Altes mit Neuem. Während am Hauptbahnhof die Bewegungskultband Bots
ihre Klassiker spielt, tanzt die jüngere Generation begeistert hinter den
Wagen, mit denen sich die Berliner Musikklubs Bar 25 und Watergate an der
Demo beteiligen.
Die Demonstranten sind bunt gemischt. Bauern aus dem Wendland, die seit 30
Jahren gegen das geplante Endlager in Gorleben kämpfen, sind mit ihren
Treckern aus Niedersachsen angerollt. Sie sind die Helden für [1][viele der
Menschen, die heute zum ersten Mal auf der Straße stehen], um gegen
Atomkraft zu demonstrieren. Sie alle eint die Wut auf die Regierungspläne.
Am deutlichsten wird dies in der engen Reinhardtstraße in Berlin-Mitte. Da,
wo die FDP ihre Bundeszentrale hat, entlädt sich der Frust. Sie kreischen
und johlen, sie schlagen mit Stöcken auf ihre gelben Atomtonnen. Und dann
geht wieder die Sonne auf: Hunderte, wenn nicht tausende der
Anti-Atom-Aufkleber werden an die Hausfassade der Liberalen geklebt.
"Recht so", sagt ein Mann, der die Szene beobachtet. "Sonst lernen die es
nie." Und noch einmal wird es an diesem Tag bunt: Drüben auf der
Reichstagswiese, die von Berliner Behörden an diesem Tag für die
Demonstration gesperrt wurde, verschaffen sich hunderte Demonstranten ihren
eigenen Zugang. Sie klettern über die Absperrungen und laufen bis zum
Bundestag vor. Auf den Treppen des höchsten Hauses der Republik üben sie
die Sitzblockade für den Castortransprt im November. "Ab-schal-ten!", rufen
sie und "Zu-rück-tre-ten!"
Kurz sieht es so aus, als könnte nun die Stimmung kippen. Aber dann greift
Uwe Hiksch von den Naturfreunden Deutschland zum Mikrofon. Der
Mitorganisator der Großdemonstration bittet seine Mitstreiter: "Wir sind
heute friedlich hier. Macht wieder den Weg frei - aber dann kommt alle im
November wieder, wenn wir im Wendland gegen den Castor demonstrieren." Die
Menschen stehen wieder auf. Es ist ein rundum friedlicher Protest.
Neben der roten Sonne sind auch viele Parteifahnen in der Demonstration zu
sehen: SPD, Grüne und Linke beteiligen sich mit eigenen Blöcken und viel
Prominenz: Mit Sigmar Gabriel, Claudia Roth und Gesine Lötzsch sind jeweils
die Vorsitzenden dabei. Bei der Abschlusskundgebung reden dürfen sie
allerdings nicht; die Organisatoren, von denen viele immer noch vom
rot-grünen Ausstiegsbeschluss enttäuscht sind, wollen sich nicht von
einzelnen Parteien vereinnahmen lassen.
Das Spektrum der RednerInnen ist trotzdem breit: Neben dem
BUND-Vorsitzenden Hubert Weiger und Martin Schulz von der Bäuerlichen
Notgemeinschaft sprechen auch Wolfgang Rohde vom Vorstand der IG Metall und
Hermann Albers vom Bundesverband Erneuerbare Energie und warnen vor den
Auswirkungen auf die Wachstumsbranche.
Hubert Weiger vom BUND wird heute einen Tagessieg nach Hause tragen: "Die
100.000 Menschen in Berlin stehen für Millionen in Deutschland, die es
ablehnen, dass die gefährlichen Atomkraftwerke länger laufen sollen." Frau
Merkel sollte diese Proteste sehr ernst nehmen, sagt er. Die Auflehnung in
der Bevölkerung, so hoffen die Veranstalter, wird die Regierung nicht so
leicht wieder los wie die Aufkleber an der FDP-Zentrale. Dort waren die
Sonnen am Abend zum Großteil wieder entfernt.
19 Sep 2010
## LINKS
[1] /1/zukunft/umwelt/artikel/1/jeder-findet-atomkraft-doof/
## AUTOREN
M. Kreutzfeldt
M. Kaul
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