Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Drogenkrieg in Mexiko: Was verlangen Sie von uns?
> Nach der erneuten Ermordung eines Fotoreporters in Mexiko bittet die
> Zeitung "El Diario" die Drogenkartelle direkt, endlich Weisungen
> auszugeben. Die taz dokumentiert das Editorial.
Bild: Mexikanische Armee verbrennt sichergestellte Drogen.
Sehr geehrte Herren, die Sie um die Vorherrschaft in Ciudad Juarez kämpfen,
in weniger als zwei Jahren wurden zwei unserer Reporter ermordet. Ihr
Verlust ist für uns alle, für die, die wir hier arbeiten ebenso wie für die
Angehörigen, eine tiefe Zäsur.
Wir geben Ihnen hiermit zur Kenntnis, dass Journalisten Kommunikatoren sind
und keine Hellseher. Daher möchten wir Informationsdienstleister Sie darum
bitten, uns zu erklären, was Sie von uns wollen. Wir möchten gerne wissen,
was wir Ihrer Meinung nach veröffentlichen oder nicht veröffentlichen
sollen. Wir wollen wissen, woran wir uns halten sollen.
Wir wollen keine Toten mehr
De facto sind Sie derzeit die Autoritäten in dieser Stadt. Die legal
installierten Machthaber vermochten es nicht zu verhindern, dass unsere
Kollegen weiterhin umgebracht werden, obwohl wir sie wiederholt
aufgefordert haben, für mehr Personenschutz zu sorgen. Dieser Tatsache
müssen wir ins Auge sehen. Daher wenden wir uns nun mit unserer Frage
direkt an Sie. Denn wir wollen unbedingt verhindern, dass ein weiterer
unserer Kollegen Ihren Schüssen zum Opfer fällt.
Wir wollen keine weiteren Toten. Wir wollen keine weiteren Verletzten und
auch mit den Einschüchterungen muss jetzt Schluss sein. Unter den gegebenen
Bedingungen können wir unmöglich unserer Aufgabe nachkommen. Sagen Sie uns
also bitte, was Sie von uns als Zeitung erwarten.
Das ist keine Kapitulation. Es bedeutet auch nicht, dass wir unsere Arbeit
beenden. Es geht vielmehr darum, einen Waffenstillstand mit denen zu
schließen, die in unserer Stadt ihre Gesetze mit Gewalt durchgesetzt haben.
Wir möchten, dass Sie das Leben jener respektieren, die sich der Aufgabe
verschrieben haben, die Bevölkerung mit den nötigen Information zu
versorgen. Stattdessen ist Journalismus inzwischen zu einer der
gefährlichsten Aktivitäten überhaupt geworden.
Ein gestern früh von einem der Drogenkartelle an einer Straßenecke
hinterlassenes Transparent nimmt offenbar Bezug auf die Ermordung unseres
Fotoreporters Luis Carlos Santiago Orozco, der am vergangenen Donnerstag
nachmittag in einem Einkaufszentrum umgebracht wurde. Das Transparent droht
mutmaßliche Kommandanten und einen Kommissar damit, ihnen würde das gleiche
passieren wie unserem Fotografen, sofern sie nicht eine bestimmte Summe
Geld zurückgäben. El Diario nimmt diese Botschaften ernst, zumal die
Drohungen immer wieder wahr gemacht wurden.
Für uns, die wir diesem Verlagsunternehmen vorstehen, bestehen Ziel und
Mission in der Information der Gesellschaft. Daran haben wir die
vergangenen 34 Jahre immer festgehalten. Aber wir sehen keinen Sinn darin,
weiterhin das Leben so vieler Kollegen zu gefährden, nur damit sie als
Vehikel für offene oder verschlüsselte Mitteilungen entweder der
Organisationen untereinander oder für ihre Kommunikation mit dem Staat
missbraucht werden.
Ein Krieg ohne Strategie
Selbst in einem Krieg gibt es Regeln. An allen Fronten wird die Integrität
der Journalisten, die über einen Krieg berichten, mehr oder weniger
repektiert. Deshalb fordern wir Sie, die Herren der verschiedenen
Drogenhandelsorganisationen, erneut auf, uns zu erklären, was Sie von uns
erwarten, damit wir nicht mehr mit dem Leben unserer Kollegen bezahlen
müssen.
Vor viereinhalb Jahren besuchte Felipe Calderón die Redaktion von El
Diario. Er steckte mitten im Präsidentschaftswahlkampf. Bei diesem Treffen
mit den Mitarbeitern antwortete der heutige Präsident auf die Frage, wie
seine Regierung zukünftig die Meinungsfreiheit garantieren wolle: "Was die
Morde an Journalisten angeht: Jene, die zum Wohle der Gemeinschaft etwas
tun, das sie in Gefahr bringt, sollten ebenso geschützt werden wie ich als
Präsidentschaftskandidat. Ein Journalist, der bedroht wurde oder gerade an
einer Recherche über das organisierte Verbrechen arbeitet, sollte
Personenschutz bekommen."
Wie die Geschichte dann weiterging, ist bekannt: Ohne jede Strategie
stürzte sich Calderón in einen Krieg gegen das organisierte Verbrechen. Ihm
waren dabei weder die Dimension des Feindes noch die Folgenbewusst, die
diese Attacke für das Land haben würde. Ohne gefragt zu werden, wurden das
mexikanische Volk und insbesondere die Menschen in Ciudad Juarez in eine
Sache hineingezogen, unter deren Auswirkungen heute alle leiden.
Die Politik wirft Nebelkerzen
Auch die Journalisten wurden in diesen unkontrollierten Kampf verwickelt -
und zwar ohne dass der Präsident sich je wieder an sein Versprechen aus dem
Konferenzraum von El Diario erinnert hätte. Nie erhielten Journalisten den
Schutz, den Calderón einst als "unabdingbar" bezeichnet hatte.
Bislang war unsere einzige Verteidigungswaffe die Suche nach der Wahrheit,
das Beherrschen des Wortes, unsere Computer und unsere Kameras. Der Staat
als Beschützer der Rechte seiner Bürger - und nicht zuletzt der
Journalisten - war in diesen Jahren der Feindseligkeiten einfach abwesend,
selbst wenn er mit vielen letztlich gescheiterten Operationen versucht hat,
das Gegenteil zur Schau zu stellen.
Am vergangenen Freitag, nach dem Verbrechen an unserem Fotoreporter Luis
Carlos Santiago Orozco, veröffentlichte El Diario dazu einen Leitartikel
unter dem Titel "Von wem sollen wir Gerechtigkeit verlangen?" Den Bürgern
von Juarez geht es genauso wie uns, auch sie wissen nicht mehr, an wen sie
sich wenden sollen. Und was macht der Verantwortliche für die Sicherheit
der Bürger? Er verliert sich in völlig sinnlosen Diskussionen darüber, ob
sich Mexiko heute mit Kolumbien vor zwanzig Jahren vergleichen lässt, wie
es die Außenministerin der USA, Hilllary Clinton, kürzlich geäußert hatte.
Das ist der Grund, warum wir die agierenden Gruppen selbst auffordern
darzulegen, was sie von uns Medienleuten eigentlich wollen. Wir sind an
einem Punkt angelangt, da es dringend notwendig ist, die gesetzmäßigen
Autoritäten in Ciudad Juarez auf andere Weise dazu zu zwingen, gangbare
Lösungen anzubieten. Die Umstände haben die Leidensfähigkeit von bereits zu
vielen Bürgern erschöpft.
Das Editorial wurde von Bernd Pickert aus dem Spanischen übersetzt und
bearbeitet.
20 Sep 2010
## TAGS
Mexiko
## ARTIKEL ZUM THEMA
Journalistin über Drogenkrieg in Mexiko: Journalismus oder Tod
Als Investigativjournalistin recherchierte Marcela Turati zum Drogenkrieg
in Mexiko. Dann wurde klar: Die Polizei überwachte sie.
Drogenkrieg in Mexiko: 20-jährige wird Polizeichefin
Eine junge Kriminologie-Studentin wurde als Polizeichefin in einer
mexikanischen Kleinstadt an der US-Grenze genannt. Sie war die einzige
Kandidatin für den hoch gefährlichen Job.
Getötete Migranten in Mexiko: Politisches Opfer eines Massakers
Die Chefin der Einwanderungsbehörde in Mexiko tritt zurück. Für Migranten
gibt es zu wenig Schutz. Sie werden von Polizei und Drogenkartellen
ausgeplündert und umgebracht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.