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# taz.de -- Amoklauf in Lörrach: In Ruhe auf den Kopf geschossen
> In Lörrach sucht die Polizei weiter nach Fakten über den Amoklauf. Klar
> ist: Die Sportschützin besaß legal vier Waffen und ihr Sohn wurde nicht
> erschossen. Ein Ortstermin.
Bild: Trauer in Lörrach.
LÖRRACH taz | "Sie wohnte hier" - "Sie war geschieden" - "Nein, getrennt" -
"Das war das gemeinsame Kind" - "So eine schöne Frau". Es ist der Tag nach
dem Amoklauf in Lörrach. Ein paar Meter vom Tatort entfernt reden Anwohner
laut durcheinander. Manche wollen ihre eigene Version des Ereignisses
schildern. Einige zeigen Mitleid mit der Schützin, andere beschimpfen sie
nachträglich, viele sind schlicht fassungslos. Um zu begreifen, was am
Abend zuvor in der baden-württembergischen Stadt nahe der schweizerischen
Grenze passiert ist, kommen sie zusammen, suchen das Gespräch mit
Bekannten, Journalisten, Polizisten oder Menschen, die vorbeilaufen.
Am Sonntagabend forderte der Amoklauf einer 41-jährigen Frau in Lörrach
vier Todesopfer. Kurz vor 18 Uhr hatte es nach Polizeiangaben eine
Explosion in einem Haus nahe des Sankt-Elisabethen-Krankenhauses gegeben.
Anschließend brannte es dort. Zudem waren mehrere Schüsse gefallen. Dabei
kamen der getrennt lebende Exehemann der Amokläuferin ums Leben sowie ihr
gemeinsamer fünfjähriger Sohn. Beide waren bereits vor der Explosion tot.
Laut Polizei wies der Mann Schussverletzungen auf, das Kind "Spuren
stumpfer Gewalt." Das Ganze spielte sich laut Polizei in der Wohnung und
Kanzlei der Anwältin ab.
Kurz nach der Explosion verließ die Frau das Haus und lief, mit einer
kleinkalibrigen Sportwaffe und einem Messer bewaffnet, nur wenige Meter
weiter in die Klinik. Dort seien viele Fußgänger unterwegs gewesen, sagt
ein Polizeisprecher. Sonntags gegen 18 Uhr hätten viele Besucher die Klinik
verlassen. Außerdem werde der Hof häufig als Durchgang zur Nordseite der
Stadt genutzt. Die Frau schoss auf dem Weg ins Klinikgebäude zwei Passanten
an.
"Ich war zufällig hier, habe dann nur den Rauch gesehen, viele Leute und
das Geschrei gehört", sagt Ernst B., einer der beiden Verletzten, am
Montag. Die Schützin habe Ruhe ausgestrahlt und sehr zielstrebig gewirkt,
sei auf dem Weg zum Krankenhaus geradezu "geschlendert". Sie habe ihm
gezielt auf den Kopf geschossen. "Die, die ihr im Weg standen, hat sie
beseitigt. Ich hatte ja keinen Konflikt mir ihr, ich war ihr nur im Weg."
Er hatte Glück. Hätte ihn der Schuss tiefer am Kopf getroffen, wäre er
schwerer verletzt worden.
Keine 24 Stunden später versucht er einen Witz zu machen: "Ich war am
Sonntagabend zu Fuß vorbeigekommen. Mein Auto hatte ich da drüben
abgestellt. Ich wundere mich, dass ich gar keinen Strafzettel bekommen
habe."
Als die Frau schließlich am Krankenhaus angekommen war, ging sie in den
ersten Stock, in die gynäkologische Abteilung. Dort erlitt ein 56-jähriger
Krankenpfleger schwere Schuss- und Stichverletzungen und starb. Kurz darauf
traf bereits die Polizei ein. In einem Schusswechsel wurde die Frau
getötet, ein Beamter mit einem Kniedurchschuss verletzt.
"Es liegt nahe, dass eine Beziehungsproblematik Auslöser der Tat war",
sagte der leitende Staatsanwalt Dieter Inhofer auf einer Pressekonferenz am
Montag. Auch habe die Staatsanwaltschaft ermittelt, dass die Frau im Jahr
2004 eine Fehlgeburt in der Klinik hatte. "Ob das der Grund war, warum sie
sich dorthin wandte, wissen wir nicht", sagte Inhofer. Es gebe Hinweise,
dass die Frau auch früher schon "psychisch angespannt" gewesen sein. Und
weiter: "Wir haben bislang überhaupt keine Querverbindung zwischen der Frau
und dem Pfleger."
Wie der Staatsanwalt bestätigte, sei die Frau Sportschützin gewesen und
habe legal vier Waffen besessen. Das Kind habe üblicherweise beim Vater
gelebt, an diesem Wochenende sei es jedoch bei der Mutter gewesen. Beide
hätten sich im Juni dieses Jahres getrennt. Nach bisherigen Ermittlungen
habe es keinen Sorgerechtsstreit gegeben.
Lörrachs Oberbürgermeisterin Gudrun Heute-Bluhm sagte, die Stadt werde vor
allem Sorge dafür tragen, dass die Opfer, die ihre Wohnungen verloren
haben, schnell wieder dorthin zurückkönnten. Es seien Spendenkonten
eingerichtet und Kondolenzbücher ausgelegt worden. Im Krankenhaus fand am
Nachmittag eine stille Andacht für die Mitarbeiter statt.
Viele in Lörrach fühlten sich am Tag nach der Tat an den Amoklauf im
baden-württembergischen Winnenden erinnert. Vor eineinhalb Jahren tötete
der 17-jährige Tim K. zuerst in der Albertville-Realschule neun Schüler und
drei Lehrer - und auf der anschließenden Flucht weitere drei Menschen. Am
Ende erschoss er sich selbst.
Das Spezielle an Lörrach ist, dass eine Frau Amok lief. In Deutschland ist
kein Fall bekannt, der mit diesem Ereignis vergleichbar wäre, bestätigt der
örtliche Polizeisprecher. "Von den Erfahrungen her ist es tatsächlich eher
ungewöhnlich."
Die Passanten rätseln vor allem über die Tatsache, dass die Frau auch ihr
eigenes Kind umgebracht hat. "Warum tut man so etwas?" - "Wieso auch noch
das Kind?" - "Und warum musste sie dann auch noch ins Krankenhaus laufen?",
fragen sich mehrere ältere Frauen, die sich am Mittag vom Straßenrand aus
den Tatort anschauten. "Die hat nicht mehr gewusst, was sie tut", sagt ein
anderer Mann, der am Abend zufällig am Krankenhaus vorbeigekommen war. Er
zeigt Verständnis für die Frau. "Da muss was Schwerwiegendes dranhängen,
wenn man so etwas tut." Der Druck der Gesellschaft nehme immer mehr zu,
sodass manche Menschen durchdrehen würden und keinen anderen Ausweg mehr
sähen.
Auch Landesinnenminister Heribert Rech (CDU) war am Montagmittag in
Lörrach. Er lobte das Vorgehen der Polizei. Ihr sei es gelungen, durch
gezielte Schüsse die Amokläuferin zu stoppen und damit ein weiteres
Blutvergießen zu verhindern.
Der Einsatz beruhte auf einem neuen Konzept, das die Polizei nach dem Fall
von Winnenden entwickelt hat. Laut den Behörden seien die Beamten geschult
worden, "schnell und effizient einzugreifen".
Die Initiative "Keine Mordwaffen als Sportwaffen" kritisierte jedoch, dass
auch dieses Mal eine Mordserie "durch das lasche deutsche Waffengesetz
ermöglicht" worden sei. Die Aktivisten fordern seit dem Winnendener
Schulmassaker ein Verbot tödlicher Sportwaffen, egal welchen Kalibers.
Anlässlich des Prozessauftakts gegen den Vater von Tim K. vor einer Woche
hatte ihr Sprecher Roman Grafe erklärt: "Es ist nur eine Frage der Zeit,
bis die nächste Katastrophe infolge des noch immer laschen deutschen
Waffengesetzes geschieht." Das Risiko durch legale, tödliche Sportwaffen
sei trotz der gesetzlichen Regelungen "unbeherrschbar".
20 Sep 2010
## AUTOREN
Nadine Michel
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