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# taz.de -- die wahrheit: Angst vorm Fliegen in Stahlgewittern
> Auch das noch: Jetzt kommt Google Library View und dringt in die
> intimsten Bereiche von privaten Bibliotheken vor.
Bild: Fast lautlos gleitet die Drohne von Google durch die Straßen, bevor sie …
Nachdem sie die gesamte Außenwelt des Planeten Erde fotografisch erfasst
und online gestellt haben, widmen sich immer mehr exhibitionistisch
veranlagte Mitarbeiter und Freunde des Konzerns Google der Ausstellung
ihrer privaten Wohnräume im Internet. "Google Kitchen View", "Google
Bathroom View", "Google Bedroom View" - wer das mag, der kann sich
mittlerweile via Google Aufklärung über die Zustände in mehr als dreißig
Millionen Haushalten verschaffen. Brandneu hinzugekommen ist jetzt "Google
Library View", ein Portal, das jedermann Einblick in den Bestand von
Privatbibliotheken gewährt.
Die Idee, fotografierende Minihubschrauber an Bücherregalwänden
entlangzuschicken und die Ergebnisse im World Wide Web zu präsentieren, ist
ebenso genial wie umstritten. Nicht jeder Bücherbesitzer kann sich mit der
Vorstellung anfreunden, dass winzige, mit bloßem Auge gar nicht
wahrnehmbare Geräte durch Fensterschlitze hereinkommen und durch seine
Wohnung propellern, um die Titel der Bücher zu registrieren, die er sein
eigen nennt. Andererseits pocht die Öffentlichkeit auf ihr Recht zu
erfahren, was die Nachbarn lesen und was bei den Prominenten im Regal
steht.
Nehmen wir den Schlagersänger Heino, von dem man noch gar nicht gewusst
hatte, dass er lesen kann: In einem seiner von Google Library View
gescannten Regale stehen die Werke von Erica Jong ("Angst vorm Fliegen")
und Ernst Jünger ("In Stahlgewittern") unmittelbar nebeneinander, sei es
aus alphabetischen oder aus erotischen Gründen. Oder nehmen wir den
Hamburger Romancier Frank Schulz, der seine eigenen Werke bei sich daheim
zwischen denen von Arno Schmidt und Kurt Schwitters untergebracht hat,
obwohl dazwischen durchaus noch Platz gewesen wäre für die Werke von Oliver
Maria Schmitt, Arthur Schopenhauer und Malin Schwerdtfeger.
Ebenso tief blicken lässt die Autorenreihe im Regal des bekannten
Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki: Goethe, Goetz, Gogol, Golding,
Gombrowicz, Gordimer, Grabbe, Grass, Grillparzer, Grimm, Grimmelshausen.
Und was, so könnte man fragen, ist mit Goldt, Gremliza und Greser & Lenz?
Weshalb haben die vor Reich-Ranickis Augen keine Gnade gefunden?
Interessante Ecken gibt es auch in der Bibliothek des Schauspielers Mario
Adorf. Dreimal darf man raten, wie weit die Bücher über Mario Adorf dort
von den Gesammelten Schriften des Philosophen Theodor W. Adorno entfernt
stehen. Zwischen Adorf und Adorno passt in Adorfs Bücherregal kein Blatt
Papier.
Kraut-und-Rüben-artig durcheinander geht es dagegen, trotz schönster
alphabetischer Ordnung, im schöngeistigen Regalbereich des TV-Historikers
Guido Knopp: Karen Duve, Bob Dylan, Fritz Eckenga, Umberto Eco, Eugen
Egner, Joseph von Eichendorff, Bernd Eilert. Und darauf folgt "Das große
Heinz Erhardt Buch". Ja, wo sind wir hier denn? Und wo hat Guido Knopp
seine eigenen Werke disloziert? Mal eben googeln?
Kleist, Klier, Klopstock … Kluge … Klüger … Knopp. Na bitte. Und es folg…
Koenen, Koeppen, Körner, Koestler. Eine illustre Nachbarschaft, die sich
der Schöngeist mit dem graumelierten Haarteil da ausgesucht hat, mit einer
Geschicklichkeit, in der ihm die gewiefte Mediennonne Alice Schwarzer
allerdings nicht nachsteht: In ihrem Regal finden wir einen ehemaligen
Pornokönig und die zur Bild-Zeitung übergelaufene Ikone der neuen
Frauenbewegung traulich vereint mit einer unverdorbenen Nachwuchskraft. Der
Reihe nach: Jörg Schröder ("Cosmic"), Alice Schwarzer ("Der kleine
Unterschied"), Katrin Seddig ("Runterkommen").
Es würde zu weit führen, hier auch noch den Bücherbestand des
FC-Bayern-Veteranen Uli Hoeneß zu würdigen. Das soll ein andermal
geschehen. Verraten sei nur so viel: Zwischen den Werken von Thomas Mann
("Der Zauberberg") und Reinhard Mey ("Was ich noch zu sagen hätte") hat
Hoeneß nur ein einziges Buch einsortiert. Wer aber hat es verfasst? Karl
Marx, Karl May oder Ulrike Meinhof?
Bitte googeln.
25 Sep 2010
## AUTOREN
Gerhard Henschel
## TAGS
Jan Böhmermann
Hamburg
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