# taz.de -- Studie über Fremdenfeindlichkeit: Deutschland, stillgestanden! | |
> Ausländerfeindlichkeit ist tief verankert in der Gesellschaft. Eine neue | |
> Studie zeigt, dass sich 58,4 Prozent der Deutschen die Religionsausübung | |
> für Muslime einschränken möchte. | |
Bild: Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit sind laut einer Studie seit zwei… | |
Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit sind tief verankert in der | |
gesellschaftlichen Mitte Deutschlands. Das zeigt eine am Mittwoch in Berlin | |
vorgelegte Studie. Besonders gravierend sind die Ergebnisse im Hinblick auf | |
eine steigende Islamfeindlichkeit in Deutschland. | |
Demnach sprechen sich mit 58,4 Prozent mehr als die Hälfte der Deutschen | |
dafür aus, die Religionsausübung für Muslime erheblich einzuschränken. Im | |
Osten ist diese Zahl dramatisch: Dort schließen sich 75,7 Prozent der | |
Menschen dieser Forderung an. Das sind drei Viertel der befragten | |
Ostdeutschen. | |
Laut der Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung stimmen 55,4 Prozent | |
der Deutschen der Aussage zu, sie könnten "gut verstehen, dass manchen | |
Leuten Araber unangenehm sind". Das ist ein Anstieg gegenüber 2003 um 11,2 | |
Prozentpunkte. Damals stimmten dieser Aussage bereits 44,2 Prozent der | |
Befragten zu. | |
In der Studie "Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in | |
Deutschland" haben die Forscher Oliver Decker von der Universität Siegen | |
und Elmar Brähler von der Universität Leipzig 2.411 deutsche | |
Staatsangehörige zwischen 14 und 90 Jahren befragt. Nach der Befragung | |
diagnostizieren die Forscher für das Jahr 2010 einen "Anstieg von dezidiert | |
antidemokratischen und und rassistischen Einstellungen" gegenüber dem Jahr | |
2008. | |
Neben ihren Erhebungen zur Islamfeindlichkeit kommen sie zu einer Reihe | |
deutlicher Befunde im Hinblick auf die Verbreitung rechtsextemer | |
Einstellungen in Deutschland: Durchgängig stimmen demnach mehr als 30 | |
Prozent der Deutschen den Aussagen zu, dass "Ausländer kommen, um den | |
Sozialstaat auszunutzen", dass Deutschland durch zu viele Ausländer "in | |
einem gefährlichen Maß überfremdet" werde und dass man bei knappen | |
Arbeitsplätzen "Ausländer wieder in ihre Heimat schicken" sollte. | |
Fast 40 Prozent der deutschen Bevölkerung wünscht sich "Mut zu einem | |
starken Nationalgefühl". | |
Darüber hinaus spricht sich rund jeder vierte Deutsche für eine "starke | |
Partei" aus, die die "Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert". Über 10 | |
Prozent der Befragten wollen einen "Führer", der "Deutschland zum Wohle | |
aller mit harter Hand regiert". Ebenfalls etwa jeder Zehnte hält eine | |
Diktatur "für die bessere Staatsform". 13,3 Prozent der Befragten sehen die | |
Deutschen "anderen Völkern von Natur aus überlegen". | |
Mit diesen Werten steigt die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland seit | |
2008 wieder deutlich an. War vor zwei Jahren noch ein leichter Rückgang | |
ausländerfeindlicher Einstellungen zu verzeichnen, so hat sich dieser Trend | |
wieder gewendet. In Ostdeutschland haben ausländerfeindliche Einstellungen | |
in den letzten Jahren dagegen kontinuierlich zugenommen. | |
Mit ihrer Studie verweisen die Forscher darauf, dass "rechtsextreme | |
Einstellungen kein Phänomen der extremen Ränder, sondern in allen Teilen | |
der Bevölkerung anzutreffen sind", wie Oliver Decker am Mittwoch sagte. | |
Elmar Brähler ergänzte: "Wir finden rechtsextreme Einstellungen auch quer | |
durch die großen Parteien. Bei Anhängern der SPD, der Union und der | |
Linkspartei sind sie am stärksten anzutreffen, aber auch innerhalb der | |
Grünen und der FDP." | |
Als Gründe für die starke Fremdenfeindlichkeit sehen die Autoren auch ein | |
verbreitetes Gefühl der Teilnahmslosigkeit. Demnach haben 94 Prozent der | |
Menschen nicht das Gefühl, einen Einfluss darauf zu haben, was die | |
Regierung tut. 90,4 Prozent halten es für sinnlos, sich politisch zu | |
engagieren. Während rechtsextreme Einstellungen in Westdeutschland quer | |
durch alle Einkommensschichten weitgehend gleich verteilt sind, gibt es in | |
Ostdeutschland einen deutlichen Zusammenhang zwischen zunehmender Armut und | |
rechtsextremen Einstellungen. | |
Während die Studie keine signifikanten Unterschiede zwischen | |
Gewerkschaftern und Nicht-Gewrkschaftsmitgliedern aufweist, sieht das bei | |
Kirchenmitgliedern anders aus: Fast durchgängig findet sich unter | |
Kirchenmitgliedern christlicher Konfessionen eine höhere Zustimmung zu | |
rechtsextemen Einstellungen als unter Konfessionslosen. | |
Im Hinblick auf Unterschiede bei Männern und Frauen zeigte sich, dass | |
Frauen tendenziell weniger Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen als Männer | |
äußerten. Diese Unterschiede seien aber statistisch kaum noch bedeutsam. | |
Anders ist das bei der Betrachtung der Altersgruppen: So stimmen Befragte, | |
die über 60 Jahre alt sind, rechtsextremen Äußerungen deutlich häufiger zu | |
als jüngere Menschen. Befragt worden waren die Menschen im April 2010, also | |
noch vor Thilo Sarrazins Thesen zur Integration. "Hätten wird die Befragung | |
heute durchgeführt, wären die Befunde sicher noch extremer", sagte Brähler. | |
13 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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