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# taz.de -- Mannheimer Gegenmodell zur Bildungskarte: Die Kommune kümmert sich
> Mannheim hält wenig von der Bildungschipkarte. Die Stadt unterstützt
> sozial benachteiligte Kinder anders, etwa mit 10.000 zusätzlichen
> Schulstunden an Brennpunktschulen.
Bild: Erziehungshilfen helfen sozial benachteiligten Kindern durch Extra-Schuls…
MANNHEIM taz | Justin* hat sein Weltall gezeichnet, mit Spielplatzkometen,
Gefängniskometen, McDonaldskometen. Der Sechsjährige weiß genau, was er
später werden will: Ingenieur.
Seit diesem Schuljahr geht er in die 1. Klasse der Humboldt-Grundschule.
Seine Mutter ist alleinerziehend, seinen Vater, der früh starb, kennt er
nicht. Justin wohnt in der Mannheimer Neckarstadt-West, wo 80 Prozent der
Kinder einen Migrationshintergrund haben und die Arbeitslosenquote zehn
Prozent beträgt.
Justins Aussichten, den Berufswunsch zu verwirklichen, sind trübe -
statistisch gesehen. Kinder aus sozial schlechter gestellten Schichten
haben in Baden-Württemberg wie überall in Deutschland deutlich geringere
Chancen als Kinder der Mittel- und Oberschicht, eine Gymnasialempfehlung zu
bekommen. Im Februar hatte das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung
aufgefordert, die Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern, deren Eltern
Arbeitslosengeld II beziehen, zu verbessern.
Seitdem überlegt Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), wie.
Sie begeisterte sich zunächst für eine Bildungschipkarte, so wie das
Stuttgart macht. Die Agentur für Arbeit legte in dieser Woche aber
Einspruch ein, weil die Mitarbeiter damit überlastet seien,
Bildungsangebote zuzuweisen. Nun will von der Leyen die Kommunen damit
beauftragen.
In Mannheim ist SPD-Oberbürgermeister Peter Kurz über die neuen Pläne nur
halb erfreut. Er findet es zwar richtig, die Kommunen stärker
miteinzubeziehen, sagt er: "Aber nicht, indem das hochbürokratische
Gutscheinsystem von einer Stelle zur nächsten verlagert wird."
Mannheim macht es anders. 2007 setzte sich die Stadt das große Ziel, zur
bildungsgerechtesten Gemeinde Deutschlands zu werden. Mit kommunalem Geld
und Personal unterstützt das Rathaus seither Schulen und Kitas, sich noch
stärker um die Bildung der Kinder zu kümmern. Über 10.000
Unterrichtsstunden beispielsweise bekommen ausgewählte Brennpunktschulen
jährlich obendrauf. Davon profitieren nicht nur Kinder, deren Eltern Hartz
IV beziehen.
Dass eine Stadt wie Mannheim Bildungspolitik betreibt, ist nicht
vorgesehen. Qua Grundgesetz haben die Länder die Hoheit über die
Bildungspolitik. Das heißt, das Land Baden-Württemberg gibt die Linie vor
und bezahlt die Lehrer. Die Stadt Mannheim stellt den Hausmeister ein und
ist für das Schulgebäude zuständig.
Doch wo die hoheitliche Bildungspolitik versagt, muss die Kommune
einspringen: So stieg der Etat für Erziehungshilfen in diesem Jahr auf 50
Millionen Euro. Die Schulabbrecherquote in Mannheim liegt bei 8,5 Prozent,
fast doppelt so hoch wie in ganz Baden-Württemberg. Um Kinder vor dem
frühzeitigen Fall zu bewahren, will die Stadt daher lückenlose
Bildungsketten vom Kreißsaal bis zum Schulabschluss schaffen.
Wie das aussehen kann, wird an Justins Grundschule gerade erprobt. So kam
Grundschullehrerin Susanne Stühlmeier einmal wöchentlich zu Justin in den
Kindergarten und gab ihm und den Vorschulkindern eine Mathestunde. Die
Kinder waren so angetan, dass sie um Hausaufgaben baten. "Schule macht
Spaß, weil man da so viel lernt", sagt Justin. Die Bildungspatenschaft an
der Humboldt-Schule soll zehn Jahre lang finanziert werden. Dann wird
Justin entweder den Hauptschulabschluss machen oder auf dem
Gymnasiumskometen sein.
*Name geändert
14 Oct 2010
## AUTOREN
A. Lehmann
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