# taz.de -- Reportage Wahlkampf in den USA: Die fleißigen Helfer der Demokraten | |
> Präsident Obamas Partei drohen große Verluste bei der Wahl im November. | |
> Im Kampf um die Stimmen umwerben die Demokraten vor allem die weiße | |
> Arbeiterschaft. | |
Bild: Müssen nicht motiviert werden: Obama-Unterstützer lauschen gebannt eine… | |
COLUMBUS taz | "Bringt sie zum Lachen", sagt Gaelynn Dooley, "dann seid ihr | |
mittendrin." Vor ihr sitzen 17 Leute. Männer und Frauen zwischen Anfang 20 | |
und dem Rentenalter. Die meisten tragen knallrote T-Shirts mit der | |
Aufschrift "Working America". Manche sind langjährige Profis der | |
Verkaufsbranche, andere kommen aus linken Organisationen. Sie schicken sich | |
an, in eine Vorstadt auszuschwärmen. Ihr Job ist derzeit einer der | |
schwersten in den USA. Sie sollen Wähler von einer Stimmabgabe für die | |
Demokraten bei den Kongresswahlen am 2. November überzeugen. Sie haben eine | |
klar umrissene Zielgruppe: Arbeiter. | |
An einer Wand des Raums im ersten Stock des Bürogebäudes in Columbus, Ohio, | |
hängt eine Collage, die an kollektivistische Experimente aus anderen | |
Weltgegenden und Zeiten erinnert. Vorne schwimmt ein großer grauer Fisch | |
mit mürrischem Gesichtsausdruck und einer Krawatte, die ihn als | |
Kapitalisten identifiziert. Ihm folgt ein dichter Schwarm von kleinen | |
bunten Fischen. Sie versuchen, den großen Grauen zu umzingeln. Motto: | |
Gemeinsam schaffen wir es. An guten Tagen fügen die erfolgreichsten | |
Wahlwerber abends einen kleinen Fisch hinzu mit ihrem Vornamen und der Zahl | |
der Wähler, mit denen sie mehrere Minuten diskutiert haben. | |
Doch der heutige Tag lässt sich eher kompliziert an. Es gibt neue schlechte | |
Umfragewerte für die Demokraten. Gaelynn schreibt auf eine weiße Tafel | |
Regeln für das "Pivotting", das "Wenden" von Gesprächen. So heißt die | |
Technik, die sie den Werbern empfiehlt, um "die Arbeiter" bei ihrem | |
subjektiven Empfinden abzuholen. Bei Klagen über Arbeitslosigkeit sollen | |
sie darauf hinweisen, dass es die Republikaner waren, die für die | |
Freihandelsabkommen gestimmt haben: "Das hat den Weg für das Outsourcing | |
eröffnet", sagt Gaelynne: "Fast 50.000 Arbeitsplätze aus Ohio sind wegen | |
des Nafta-Vertrags nach Mexiko verlagert worden. Fast 92.000 wegen Cafta | |
nach China." | |
Working America ist streng parteiisch aufseiten "der Arbeiter". Wer das | |
ist, definiert Gaelynn so: "Alle, die nicht von Renditen leben." Neue | |
Mitglieder wirbt die Organisation an der Haustüre. Nicht im Betrieb, wo | |
laut Gaelynn "die Unternehmer ihre Beschäftigten immer stärker | |
einschüchtern". | |
Die Organisation finanziert sich aus Geldern der Gewerkschaften. Ihre | |
Arbeit freilich ist ganz anders. Sie macht politische Interessenvertretung. | |
Verteidigt die Sozialversicherung, kämpft (bislang vergeblich) für eine | |
öffentliche Krankenversicherung bei der Gesundheitsreform. Und (ebenfalls | |
vergeblich) für die Ausweitung der gewerkschaftlichen Rechte in den | |
Betrieben. Im Inneren der Betriebe, aus denen die Gewerkschaften immer | |
weiter verschwinden, kann Working America nicht aktiv werden. | |
"Sucht das Gespräch mit den Unentschiedenen", gibt Gaelynn ihren Kollegen | |
mit auf den Weg, "und verliert eure Zeit nicht mit jenen, die längst | |
wissen, für wen sie stimmen." Die Gespräche an der Haustüre sollen nicht | |
länger als 5 Minuten dauern. | |
Das Büro in Columbus ist eines von insgesamt 12 Büros, das die Organisation | |
in den USA unterhält. Ohio ist ein "Swing State". Wer in Ohio gewinnt, | |
siegt gewöhnlich auch auf nationaler Ebene. Working America hat in Ohio | |
eine Million Mitglieder. Damit ist die Organisation in dem traditionellen | |
"Gewerkschaftsstaat" bereits so stark wie die alten Gewerkschaften. | |
Mit Manpower versucht die Organisation auf die Millionen Dollar zu | |
reagieren, mit der die andere politische Seite ihre Kampagne finanziert. | |
Nachdem das Oberste Gericht im Januar die Obergrenze für Wahlkampfspenden | |
abgeschafft hat, ist diese Midtermkampagne zur teuersten der US-Geschichte | |
geworden. "Die Konzerne finanzieren tonnenweise Werbespots im Fernsehen", | |
sagt Gaelynn. Als Gegengewicht dazu setzt ihre Organisation auf persönliche | |
Ansprache. Sie ist überzeugt, dass Gespräche mit den Wählern "mächtiger | |
sind als TV-Werbung". Dafür sind ihre Leute an fünf Tagen in der Woche je | |
acht Stunden unterwegs. Für einen Stundenlohn von 11,22 Dollar. Und ohne | |
Erfolgsprämie. | |
Jeder Werber bekommt einen Taschencomputer und einen Stapel Flugblätter von | |
Working America sowie eine Liste mit 95 Adressen, die es bis zum Abend zu | |
besuchen gilt. Dann fahren drei Minibusse die Werber zu ihrem Einsatzort. | |
"Hey", brüllt ein Mann aus dem Hausinneren, "mit wem redest du, verdammt | |
noch mal?" Es ist eines der ersten Häuser in dem Stadtteil Blacklick, an | |
dem Jihad Seifullah anklopft. | |
Die Häuser sehen aus wie aus der Retorte. Alle haben einen Vorgarten, alle | |
haben eine Doppelgarage und alle eine überdachte Veranda. Hinter jeder Tür | |
bellt mindestens ein Hund. Manchmal zwei. Dazwischen stehen zweistöckige | |
Mietshäuser. "Dies ist ein Arbeiterstadtteil", sagt Jihad. Die Stimme des | |
wütenden alten Mannes kommt näher an die Haustüre, die ein jüngerer Mann | |
einen Spalt breit geöffnet hat. "Es ist wegen der Wahlen", ruft der Junge | |
ins Hausinnere. "We don't fuckin vote", schreit der Alte und knallt mit | |
Getöse die Türe zu. | |
Jihad verzieht keine Miene. "Das ist nicht persönlich gemeint", sagt er | |
lächelnd. Der schlanke junge Mann kommt aus der Gewerkschaftsbewegung. "Ich | |
glaube, wir befinden uns auf dem falschen Weg", erklärt er seine Motive, | |
"in den 50er und 60er Jahren musste nur einer arbeiten, um eine Familie zu | |
ernähren. Heute müssen beide berufstätig sein, damit das Geld reicht." Er | |
wurde vor 33 Jahren in Ohio geboren, als Sohn einer Christin und eines | |
Muslims. Er versteht sich selbst als Christ. In den Gesprächen an den | |
Haustüren stellt er sich als "Jay" vor. Auf den Flugblättern, die er hinter | |
die ungeöffneten Haustüren klemmt, schreibt er den Vornamen der gesuchten | |
Person und die Worte: "Tut mir leid, dass ich Sie verpasst habe. Jay". | |
Jihad-Jay klopft selbstbewusst an die Türen auf seiner Route. Und geht | |
achtlos an zahlreichen anderen Türen vorbei. Er richtet sich ausschließlich | |
an Personen, die in seiner Liste stehen. Nur ihnen will er den | |
demokratischen Kandidaten als Gouverneur für Ohio empfehlen: Ted | |
Strickland. Der wird in dem Flugblatt als "Stahlarbeitersohn" vorgestellt. | |
Als Kontrast zu dem republikanischen Kandidaten John Kasich: "Acht Jahre | |
lang Manager bei Lehman Brothers". | |
Dank seinen Palms weiß Jihad die Namen und das Alter der Personen, bei | |
denen er anklopft. In den meisten Fällen ist ihm auch bekannt, ob sie | |
gewerkschaftlich organisiert sind, und ob sie Sympathien "für die | |
Demokraten" haben. Diese Informationen sind öffentlich. Sie gehen aus den | |
Primaries hervor, bei denen nur registrierte Wähler einer Partei ihre | |
Kandidaten für den nächsten Wahlgang bestimmen. | |
"Die Demokraten habe ich abgehakt", sagt eine 63-jährige Frau. Es ist | |
später Nachmittag und sie öffnet die Türe im Schlafanzug. Ihre Arbeit hat | |
sie bereits verloren. Nun stellt sich die Frage, wie lange sie noch die | |
Ratenzahlungen für ihr Haus leisten kann, bevor sie geräumt wird. In ihrem | |
Vorgarten stehen Werbeposter für Kandidaten der rechten Tea-Party. Jihad | |
notiert, dass es nicht nötig ist, noch einmal bei ihr anzuklopfen. | |
"Ist Kelly zu Hause?", fragt Jihad einen Mann. "Nein, sie kommt erst kurz | |
vor Mitternacht von der Arbeit zurück." - "Ich möchte mit ihr über die | |
Wahlen reden", antwortet Jihad. "Falls du das wissen willst, kann ich dir | |
sagen, dass wir immer demokratisch wählen", sagt der Mann. Das Paar wählt | |
so wie fast alle Afroamerikaner. | |
Hauptproblem für die Demokraten sind die weißen Arbeiter. Angesichts von | |
mehr als 10 Prozent Arbeitslosigkeit in Ohio - ein Prozent über dem | |
nationalen Durchschnitt - und bei einer Rekordzahl von zwangsgeräumten | |
Häusern in diesem Sommer ist es schwerer denn je, sie davon zu überzeugen, | |
dass die Demokraten ihre Interessen vertreten. Auf Jihads erste Frage: | |
"Welches Thema bei diesen Wahlen ist Ihnen das wichtigste?", ist die | |
Antwort überall gleich: "Jobs". Auf Jihads zweite und letzte Frage: "Für | |
wen werden Sie voraussichtlich stimmen?", antworten vor allem die | |
Unentschiedenen und die Wähler der Demokraten. Andere sagen bloß: "Das sage | |
ich nicht." Und knallen die Türe vor Jihads Nase zu. | |
Wegen Halloween liegen in den Vorgärten von Blacklick honiggelbe Kürbisse | |
und baumeln lebensgroße Totenfiguren an den Bäumen. Die Fassaden der | |
kleinen Häuser sehen adrett aus. Aber dahinter wuchert immer häufiger | |
Elend. Die Entlassungen bei Versicherungsgesellschaften und in der | |
Industrie in Ohio haben in Blacklick viele Opfer gefordert. Wenn in einem | |
Vorgarten das Gras in die Höhe geschossen ist, versteht Jihad, dass er zu | |
spät kommt: Vermutlich hat eine Zwangsräumung stattgefunden. Das Haus steht | |
leer. | |
Präsident Barack Obama ist bei den Haustürgesprächen kein Thema. Dieses Mal | |
geht es nicht um Präsidentschaftswahlen. Aber die Erwartungen an den | |
Demokraten waren so hoch, dass viele Wähler zwei Jahre danach schwer | |
enttäuscht sind. Jihad selbst ist Realist. "Natürlich hätte ich eine | |
weitergehende Gesundheitsreform gewollt. Mit einer öffentlichen | |
Versicherung als Alternative zu den Privaten", sagt er, "aber dies ist | |
immerhin ein Schritt in die richtige Richtung." | |
Jihad hat erstmals im Jahr 2004 Wahlkampf an Haustüren gemacht. Damals war | |
er zuletzt mit Themen wie Terrorismus und Krieg konfrontiert. Dieses Mal | |
dreht sich alles nur um die Ökonomie. Er ist einer der erfahrensten Werber | |
für Working America in Ohio. In der Collage in der Stadtmitte von Columbus | |
kleben mehrere bunte kleine Fische, die seinen Namen tragen. Aber an diesem | |
späten Nachmittag in Blacklick gelingen Jihad nur ein knappes halbes | |
Dutzend Gespräche. "Es wird schwer werden", sagt er am Abend, nachdem er an | |
95 Türen geklopft hat: "Aber wir können es schaffen. Manchmal entscheiden | |
ein paar hundert Stimmen." | |
22 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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