# taz.de -- Mit eigenen Ohren gemessen: Der große Fluglärmtest | |
> Ein Gespenst geht um in den südlichen Bezirken der Stadt: Fluglärm heißt | |
> es. Die taz hat in Spandau studiert, was auf Lichtenrade oder Mahlow | |
> zukommt. | |
Bild: Brummt mächtig was zusammen: Flugzeug im Landeanflug auf Tegel | |
Angst vor Fluglärm bestimmt die Diskussion über die geplanten Flugrouten | |
des Großflughafens BBI. Vor allem im Südwesten befürchten die Bewohner, | |
dass Krach und Benzingestank ihre Ruhe beeinträchtigen. Zu Recht? In | |
Spandau kann man jetzt schon erleben, wie es sich anfühlt, wenn ein Airbus | |
in 1.500 Meter Höhe über die Dorfkirche donnert. Eine Ortsbegehung mit acht | |
Flugbeispielen. | |
Flug 1: Swiss | |
Swiss International nach Zürich.Gestartet: 15.07 Uhr.Flugzeugtyp: Airbus | |
319.Gesehen: 15.09 Uhr am Standort Brunsbüttler Damm Ecke Nennhauser Damm. | |
Flughöhe: ca. 1.500 Meter. | |
Mit einem lauten Fauchen fliegt die Maschine hoch über den | |
Einfamilienhäusern von Staaken und beschreibt irgendwo hinter den Feldern | |
einen Bogen. Das Echo hallt lange nach. Auf der Kreuzung ist das Fauchen | |
nur ein Geräusch unter vielen. "Stört Sie der Fluglärm?" Die gebrüllte | |
Frage, gerichtet an eine Frau auf dem Fahrrad, geht im Lärm der | |
vorbeidonnernden Lkws unter. Fluglärm ist hier nicht das Hauptproblem. | |
Flug 2: Lufthansa | |
Lufthansa nach München.Gestartet: 15.09 Uhr.Flugzeugtyp: Airbus 310. | |
Gesehen: 15.11 Uhr an der Dorfkirche Alt-Staaken, Hauptstraße.Flughöhe: ca. | |
1.800 Meter. | |
Flug 3: Transport | |
Transportflugzeug mit Propeller. Gestartet: 15.32 Uhr.Flugzeugtyp: C130. | |
Gesehen: 15.35 Uhr am Döberitzer Weg.Flughöhe: ca. 900 Meter. | |
Die Maschine brettert direkt über die Häuser entlang des Döberitzer Wegs. | |
Trotz Straßenverkehrs dröhnt das Röhren laut in den Ohren. Nicole Schulze, | |
die gerade mit ihrer kleinen Tochter aus einem Wohnblock am Nennhauser Damm | |
kommt, stört das Geräusch nicht. "Ich bin mit den Flugzeugen aufgewachsen", | |
sagt sie. Schlafen bei offenen Fenstern im Sommer? Absolut kein Problem, | |
meint sie. Sie habe lange am Kurt-Schumacher-Platz in Reinickendorf | |
gearbeitet, "dagegen ist es hier mucksmäuschenstill". Gewohnt habe sie in | |
der Einflugschneise, drüben in der Gartenstadt, auch dort habe man stets | |
mit offenen Fenstern geschlafen und vom Schlafzimmerfenster aus den | |
startenden Maschinen nachgeschaut. Sie fahre übrigens gerade zu ihren | |
Eltern. "Wollen Sie mitfahren und mal horchen?" | |
Flug 4: SAS | |
SAS nach Kopenhagen. Gestartet: 15.54 Uhr. Flugzeugtyp: CDJ9. Gesehen: | |
15.57 Uhr am Luftschifferweg. Flughöhe: ca. 1.200 Meter. | |
Ein dumpfes Brummen über dem Einfamilienhaus am Luftschifferweg. Im | |
Erdgeschoss, wo Frau Schulz den unverhofften Besuch empfängt, ist es bei | |
geschlossenen Fenstern gedämpft zu hören. Trotzdem: "Man wird morgens früh | |
wach. Und im Sommer ist es tagsüber schlimm", sagt Frau Schulz. | |
Seit 23 Jahren wohnt sie hier, wo man die Airline-Logos der startenden und | |
landenden Maschinen lesen kann. Ans Wegziehen habe sie aber nie gedacht, | |
die Gartenstadt sei eine schöne Wohngegend, so störend sei der Fluglärm | |
dann auch wieder nicht. "Wenn man einen gut erreichbaren Flughafen haben | |
will, muss man auch den Lärm in Kauf nehmen", sagt Tochter Nicole Schulze. | |
"Eins ohne das andere geht nicht." Die Protestaktionen der Vorortbewohner | |
gegen die geplanten Schönefeld-Flugrouten findet sie "etwas albern". "Die | |
wollen doch auch fliegen. Und solange der Fluglärm andere betraf, hatten | |
sie nichts dagegen." | |
Flug 5: Air Berlin | |
Air Berlin nach Frankfurt. Gestartet: 16.03 Uhr. Flugzeugtyp: Airbus 319. | |
Gesehen: 16.05 Uhr am Luftschifferweg. Flughöhe: ca. 1.300 Meter. | |
Durch das geöffnete Dachfenster kann man den Schriftzug von Air Berlin | |
mühelos entziffern. Die startende Maschine macht ordentlich Lärm. "Wenn die | |
landen, fliegen sie noch tiefer", sagt Nicole Schulze fröhlich. Für die | |
Genossenschaftswohnungen der Gartenstadt-Siedlung um die Ecke gebe es | |
dennoch Wartezeiten von mehreren Jahren, so beliebt sei die Gegend. | |
Beim Rundgang durch die von niedriger Reihenbebauung und giebelbesetzten | |
Backsteinhäusern geprägte Nachbarschaft wähnt man sich tatsächlich auf dem | |
Dorf. Nur die alle paar Minuten vorüberbrummenden Flugzeuge verleihen der | |
Gegend urbanes Flair. | |
Flug 6: Ukraine Int. | |
Ukraine International nach Kiew. Gestartet: 16.37 Uhr. Flugzeugtyp: Boeing | |
737-400. Gesehen: 16.38 Uhr an der Seegefelder Straße Ecke Zeppelinstraße. | |
Flughöhe: ca. 1.200 Meter. | |
Nordöstlich der Gartenstadt Staaken und nördlich der Bahnlinie verläuft die | |
Seegefelder Straße. Der Bus 130 fährt in Richtung Norden, ins Falkenhagener | |
Feld. Die Einsteigenden amüsieren sich über die Reporterin, die dem | |
Flugzeug nachschaut und das Fluggeräusch auf der Straße nach Schließen der | |
Tür und schließlich bei laufendem Busmotor vergleicht. "Das ist unser Sound | |
hier", sagt ein Fahrgast, der sich als "alter Spandauer" vorstellt. Der | |
"paar Flieger" wegen habe er sich noch nie aufgeregt - dass der benachbarte | |
Flughafen Tegel in zwei Jahren dichtmache, sei schade. | |
"Wir Spandauer müssen künftig quer durch die ganze Stadt gurken", pflichtet | |
ihm eine Frau bei. Ob sie oft fliege? Sie antwortet Undeutliches und steigt | |
aus. | |
Flug 7: British Airways | |
British Airways nach London. Gestartet: 16.48 Uhr. Flugzeugtyp: Airbus 320. | |
Gesehen: 16.50 Uhr an der Zeppelinstraße Ecke Pionierstraße. Flughöhe: ca. | |
900 Meter. | |
Das nördliche Falkenhagener Feld ist eine einfache Wohnlage mit | |
Mehrfamilienhäusern und Wohnblocks. Ruhig ist es hier. Nur das Flugzeug, | |
das über den Friedhof donnert, ist sehr laut. In etwa so, wie es nach den | |
geplanten Flugrouten für den Schönefelder Großflughafen bald in | |
Blankenfelde oder Mahlow werden dürfte. | |
Flug 8: Air Berlin | |
Air Berlin nach Nürnberg oder Frankfurt. Gestartet: 17.12 Uhr. Flugzeugtyp: | |
Airbus 319. Gesehen: 17.14 Uhr am S-und U-Bahnhof Spandauer Damm. Flughöhe: | |
ca. 900 Meter. | |
Ein vernehmliches Dröhnen, dicht über den Bäumen sind deutlich die Farben | |
von Air Berlin auf der Heckflosse des Flugzeugs zu erkennen. Inmitten von | |
an- und abfahrenden Bussen, Straßenkreuzungen, Passantenströmen und einem | |
Feuerwehreinsatz interessiert das aber niemanden. Schon gar nicht die | |
Jugendlichen, die vor dem Imbisspavillon skaten und sich die Ohren mit | |
diversen Musikabspielgeräten verstopft haben. Die Frage, wie es sich so | |
lebt in der Einflugschneise eines Großstadtflughafens, wirkt hier ziemlich | |
deplatziert. Trotzdem: Wie lebt es sich damit? "Na, super halt, wat soll | |
sein", sagt ein Halbwüchsiger an der Ampel. Wer weiß, vielleicht greift | |
diese lässige Haltung bald auch auf den südlichen Speckgürtel über. | |
"Irgendwo müssen die schließlich langfliegen", sagte auch Nicole Schulze | |
aus Staaken. Mal sehen, wie dieses Argument in den künftig betroffenen | |
Gebieten ankommt. Spandau jedenfalls soll den Angaben der Deutschen | |
Flugsicherung zufolge entlastet werden. Die Bewohner werden gelassen | |
bleiben: Sich an das Fehlen von Lärm zu gewöhnen ist sicher leichter als an | |
sein plötzliches Auftreten. | |
29 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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