# taz.de -- Protest gegen Flugrouten: Lichtenrader wollen nicht aufgeben | |
> Der Berliner Süden war nicht für Massenprotest bekannt. Nun geht er auf | |
> die Straße und macht Krach gegen drohenden Fluglärm. Jede Woche wächst | |
> der Protest. Das große Vorbild: die Bewegung gegen "Stuttgart 21". | |
Bild: Mit montäglichen Protesten gehen Anwohner gegen die Flugrouten auf die S… | |
Karl Hofmann ist sauer. "Man macht doch keine Demo um 18 Uhr in der | |
Lichtenrader Bahnhofsstraße!", schimpft der Renter. "Da werden doch die | |
Bürgersteige hochgeklappt". 14 Uhr wäre besser, meint der Lichtenrader. "Da | |
würden auch genug kommen." 4.000 Menschen haben am Montagabend um 18 Uhr am | |
S-Bahnhof Lichtenrade gegen die Flugrouten des Großflughafens Schönefeld | |
demonstriert. Deutlich mehr als in der letzten Woche. Viel mehr als bei der | |
ersten Demo vor zwei Wochen. Aber Karl Hofmann reicht das nicht. | |
Die meisten Demonstranten wohnen wie Karl Hofmann gleich um die Ecke, man | |
kennt sich. Es sind Rentner und Familien, die ihre Kinder mitgebracht | |
haben. Politische Aktivisten sehen anders aus. Die Anwohner wollen, dass es | |
hier ruhig bleibt. Dass hier auch weiterhin um sechs Uhr die Bordsteine | |
hochgeklappt werden können. Viele von ihnen sind einst in den südlichen | |
Zipfel von Berlin gezogen, gerade weil sie vor dem Großstadtlärm fliehen | |
wollten. Wenn die Flugrouten so umgesetzt werden, wie sie die Deutsche | |
Flugsicherung (DFS) am 6. September bekannt gegeben hat, wäre es vorbei mit | |
dem Idyll Lichtenrade. Dann donnern die Flugzeuge in 500 Meter Höhe vorbei. | |
Auch der Rentner Hofmann, der seinen echten Namen in der Zeitung nicht | |
lesen will, ist wegen der Ruhe hergezogen. Ein Jahr ist das jetzt her. | |
Vorher habe er sogar die Flugrouten studiert. "Es war geplant, dass die | |
Flugzeuge geradeaus starten." Jetzt sollen sie einen Bogen fliegen, direkt | |
über Hofmanns Haus am Kirchhainer Damm. "Bisher konnten wir mit dem | |
Flughafen gut leben. Doch jetzt ist es schon wesentlich lauter." Seine Frau | |
bestätigt: "Viel Lauter!" Und wieder ihr Mann: "Wissen sie, wie tief der | |
neue Airbus 380 hier drüberfliegt? - 300 Meter! Da fällt man aber wirklich | |
aus dem Bett." | |
Die Stimmung ist schlecht in Lichtenrade. Hofmann regt es auf, wie über den | |
Protest berichtet wird. "Da wird behauptet, dass es nur jene trifft, denen | |
es sowieso gut geht - völliger Kokolores!" Seine Frau fällt ihm ins Wort: | |
"Schauen Sie sich doch um! Hier wohnen ganz normale Menschen, auch in | |
Wohnblocks." Und er wieder: "Mindestens 60 Prozent ganz normale Menschen." | |
Eine edle Einkaufsmeile ist die Bahnhofsstraße in der Tat nicht. | |
Supermärkte und Imbissen wechseln sich ab. Im Bastelladen werden kurz vor | |
der Demo kostenlose Trillerpfeifen verteilt. Der Mann aus dem Asia-Imbiss | |
staunt nicht schlecht, als sich auf dem gegenüberliegenden Parkplatz | |
mehrere tausend Menschen versammeln. Das Geschäft laufe aber nicht besser, | |
seit hier demonstriert wird. Ob er sich auch vor dem Lärm fürchtet? Er | |
macht eine abfällige Handbewegung und lacht. "Ist Quatsch." | |
Als die Kundgebung auf dem Parkplatz beginnt, sind die ersten beiden Reden | |
kaum zu verstehen. Die Busse, die hier halten, machen zu viel Lärm. Günter | |
Haße von der Initiative "Lichtenrade / Mahlow Nord gegen Fluglärm" übt mit | |
den Randberlinern die Parole ein. "Eins, zwei, drei, keine | |
Fluglärm-Schweinerei. Vier, fünf, sechs, der Widerstand der wächst. Sieben, | |
acht, neun, Flugroute zerstreuen. Zehn, auf die Straße gehen." Leise | |
sprechen die Protestler nach. | |
Dann muss Haße unterbrechen, weil die Glocken der Salvatorkirche läuten. | |
Erst als die Demonstranten "lauter" schreien, kommt die Kundgebung langsam | |
in Gang. Das mit dem Krach müssen sie noch lernen, die Lichtenrader. | |
Eigentlich wollen sie ja keinen Lärm. Deshalb sind sie schließlich hier. | |
Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen, ist diesmal zu Gast. Er | |
weiß, wie man 4.000 Menschen anheizt: "Gehen sie auf die Straße", ruft er | |
ins Mikrofon. "Werden sie noch viel mehr, damit die Herrn Ramsauer, | |
Wowereit und Platzeck merken, dass man mit ihnen nicht machen kann, was man | |
will." Ratzmann verweist auf Stuttgart 21: "Solche Großprojekte | |
funktionieren nur mit Transparenz und Bürgerbeteiligung. Wir dürfen die | |
Leute nicht für dumm verkaufen." | |
Peter Abend von einer Initiative aus Mahlow/Waldblick will den Protest | |
nicht mit Stuttgart 21 gleichsetzen. "Es gibt drei Unterschiede", sagt er. | |
"In Stuttgart werden Planungen von den Einwohnern verhindert. Hier sollen | |
Planungen zu unserem Nachteil umgestürzt werden. Zweitens: In Stuttgart | |
gibt es auch Befürworter. Die gibt es hier überhaupt nicht. Und drittens: | |
Wenn wir so weiter machen, dann ist Stuttgart 21 ein leises Blätterrauschen | |
gegen unseren Protest." | |
Noch sind sie davon ein Stückchen entfernt. Auf der Bahnhofstraße machen | |
die Demonstranten immerhin noch richtig Krach mit Trillerpfeifen, Rasseln | |
und Vuvuzelas. Eine halbe Stunde lang. Ab 19 Uhr herrscht wieder Ruhe. Auch | |
Hofmann hat es eilig. Er will die Abendschau nicht verpassen. Schließlich | |
sieht man nicht alle Tage die Einwohner von Lichtenrade demonstrieren. | |
27 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Martin Rank | |
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