Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Proteste gegen die Berliner Flugrouten: Ein Wegweiser zur Fluglärm…
> Am Sonntag demonstrierten erneut 3.000 gegen die geplanten Flugrouten,
> heute werden Tausende zu den fast schon traditionellen Montagsdemos
> erwartet - doch worum geht es eigentlich? Fragen und Antworten zu
> "Berlins Stuttgart 21"
Bild: Demonstration gegen Fluglärm in Lichtenrade am vergangenen Montag
Um was geht es? Wenn der Flughafen Berlin Brandenburg International (BBI)
im Sommer 2012 in Schönefeld in Betrieb geht, soll es zwei parallele Start-
und Landebahnen für die erwarteten 27 Millionen Passagiere pro Jahr geben.
Aus Sicherheitsgründen müssen parallel startende Flugzeuge kurz nach dem
Start mindestens 15 Grad auseinanderfliegen. Die Deutsche Flugsicherung
(DFS) hat per Computer mögliche Routen ausarbeiten lassen. Dem Programm
liegen Bevölkerungszahlen zugrunde, es errechnet die Routen, bei denen am
wenigsten Menschen vom Lärm belastet werden.
Wo liegt das Problem? Flugzeuge starten immer gegen den Wind. Zwei Drittel
der Berliner Winde kommen aus westlichen Richtungen. Daher sind die Gebiete
westlich des Flughafens besonders betroffen. Nach den DFS-Entwürfen würden
die Flieger von der nördlichen Startbahn kurz nach dem Abheben nach Norden
abknicken. So wird die Gemeinde Blankenfelde in etwa 600 Meter Höhe
umflogen - dort wäre die Lärmbelastung sonst extrem. Anschließend würden
die Jets Gebiete im Berliner Südwesten in einer Höhe von 1.500 bis 2.500
Meter überqueren. Dort wären sie noch deutlich zu hören.
Warum ensteht der Airport dann so nah an de Stadt? Der entscheidende
Beschluss fiel in den 90er Jahren: Zur Auswahl für den dringend benötigten
neuen Flughafen standen der DDR-Hauptstadtflughafen in Schönefeld und der
Militärflughafen im 70 Kilometer entfernten Sperenberg. Das Land
Brandenburg bevorzugte das kaum besiedelte Gebiet bei Sperenberg, weil es
eine strukturschwache Region beleben wollte. In Berlin waren SPD und PDS
für Sperenberg, die CDU lehnte diesen Standort ab. Für die in Westberlin
stark verankerte CDU lag der einfach zu weit entfernt. Umweltschützer
wollten die kaum berührte Wald- und Heidelandschaft um Sperenberg schützen.
Zudem bedeutet ein stadtferner Flughafen zusätzlichen Verkehr. 1996
einigten sich die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund auf
Schönefeld als künftigen Standort.
Warum regt sich erst jetzt Protest? Die DFS stellte ihren Routenvorschlag
erst Anfang September vor. So erfuhren die Bewohner von Lichtenrade,
Zehlendorf und den südlichen Speckgürtelgemeinden, welche Belastungen auf
sie zukommen. Zuvor hatten sie geglaubt, die Flugzeuge würden geradeaus
starten und landen - das träfe lediglich Brandenburger Gemeinden wie
Blankenfelde-Mahlow. Viele Bewohner der nun betroffenen Zone haben nach der
Wende dort Häuser gebaut oder renovieren lassen oder sie sind auf der Suche
nach Ruhe an den Stadtrand gezogen. Die sehen sie gefährdet. Innerhalb
weniger Wochen gründeten sich 30 Bürgerinitiativen. Sie haben Montagsdemos
gestartet, zu denen jede Woche mehr Menschen kommen.
Was fordern die Initiativen? Das ist ganz unterschiedlich. Der Bürgerverein
Berlin Brandenburg (BVBB), der vor allem die östlich des Airports gelegenen
Gemeinden vertritt, fordert einen Baustopp. Er will den Airport an anderer
Stelle errichten lassen. Der Bürgermeister von Teltow will eine Baupause,
bis alle Fragen geklärt sind. Marela Bone-Winkel, die sich zur Sprecherin
mehrerer neuer Initiativen gemausert hat, will vor allem verlässliche
Informationen und Alternativrouten von der DFS. Ein Baustopp sei
unrealistisch.
Irgendwo müssen die Flugzeuge doch fliegen! In der Tat drängt sich der
Vorwurf auf, die Initiativen handelten nach dem Sankt-Florians-Prinzip. Die
Regierungschefs von Brandenburg und Berlin sind bemüht, keine Verwerfungen
zwischen den Ländern aufkommen zu lassen. Klar ist: "Unbesiedeltes Gebiet",
von dem manche Initiative gern redet, gibt es nicht so nah an der
Stadtgrenze. Klar ist auch, dass die Routen zuallererst die Gemeinde
Blankenfelde-Mahlow entlasten sollen. Denn landende Flugzeuge kommen in
geradem Anflug, direkt über die Köpfe der Blankenfelder hinweg.
Entscheidend ist, in welcher Höhe die Flugzeuge über den jeweiligen
Stadtteilen sind. Über Wannsee fliegen sie laut DFS 2.400 Meter hoch - sie
wären in der Regel tagsüber nicht lauter als Straßenverkehr. Die Anwohner
fürchten Ausnahmeregelungen, etwa bei Schlechtwetterlagen. Dann würden die
Jets tatsächlich weit niedriger und lauter über sie brausen. Inzwischen hat
die DFS zugegeben, dass die angegebenen Höhen Mittelwerte seien.
Was ist dran an dem Vorwurf der Initiativen, getäuscht worden zu sein? Die
DFS hat erklärt, die zuständigen Ministerien vor 15 Jahren darauf
hingewiesen zu haben, dass parallel startende Flugzeuge um 15 Grad
auseinanderfliegen müssen. Ob diese Botschaft bei den Politikern angekommen
ist und bewusst verschwiegen wurde, ist unklar. Der Staatssekretär im
brandenburgischen Infrastrukturministerium, Rainer Bretschneider, sagte
jüngst, die Gradzahl sei bekannt gewesen, aber jetzt seien es ja 50 Grad.
Auf diese Zahl kommt er durch Zusammenzählen mehrerer Knicks. Berlins
Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) will von den Routen "am 6.
September 2010, gegen 17 Uhr am Nachmittag" erfahren haben. Junge-Reyer war
in den 90er Jahren aber auch noch nicht im Amt.
Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? DFS-Sprecher Axel Raab hat erklärt,
bisher seien die Routen nur ein Vorschlag. Alternativen seien denkbar. Eine
Variante könnte sein, nur die Flugzeuge, die auf der Südbahn starten,
abknicken zu lassen. Dann blieben Teltow und Wannsee verschont. Unklar ist,
ob und wie viel Blankenfelde darunter leiden würde. Einfacher wäre eine
Lösung, wenn der Flughafen auf parallele Starts verzichten würde - das will
er aus wirtschaftlichen Gründen aber nicht. Auch die Fluggesellschaften
werden kaum freiwillig Umwege in Kauf nehmen, um Menschen vom Lärm zu
verschonen. Die DFS selbst erklärt, für sie gelte zunächst Sicherheit, dann
Wirtschaftlichkeit und als drittes Lärmschutz.
Und was sagt die Politik dazu? Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit
(SPD) dringt auf Alternativrouten und will vor allem, dass sich die
Flugsicherung eher als erst im März 2012 entscheidet. Er hätte das Thema
gern vor der Abgeordnetenhauswahl im September 2011 vom Tisch. Wirklich
mitreden kann die Politik aber nicht: Die Flugsicherung legt die Routen
fest, das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung entscheidet. Die DFS wird
von der Fluglärmkommission beraten, in der 34 VertreterInnen betroffener
Gemeinden, Bezirke und Kreise sitzen.
Wie geht es jetzt weiter? Die Fluglärmkommission tagt wieder am 8.
November. Die DFS wartet auf Vorschläge der Kommission, um sie in
Alternativplanungen miteinzubeziehen. Derweil dürfte der Protest auf der
Straße wachsen: Beobachter halten es für möglich, dass die Demonstrationen
wegen der medialen Aufmerksamkeit zur breiten Bewegung werden.
24 Oct 2010
## AUTOREN
Kristina Pezzei
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.