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# taz.de -- Geringste Arbeitslosenzahl seit 18 Jahren: An der magischen Grenze
> Die Arbeitslosenzahlen sinken, weil der Export boomt, Alte immer mehr
> Betreuung brauchen und Erwerbslose auch unattraktive Jobs annehmen. Doch
> es gibt eine Kehrseite.
Bild: Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nimmt zu, darunter vor a…
So was wäre mal ein schönes Bild fürs Fernsehen: Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU) bedankt sich beim dreimillionsten Arbeitslosen
am Ausgang eines Jobcenters, weil dieser eine Stelle aufnimmt und damit die
Erwerbslosenstatistik unter die magische Grenze von drei Millionen drückt.
Doch so weit kommt es noch nicht, dass sich die Politik bei den
Erwerbslosen bedankt. Stattdessen feiert sich die Regierung gern selbst,
wenn die Arbeitslosenstatistik so gut aussieht wie jetzt.
2,945 Millionen Menschen hatten laut Statistik im Oktober keinen Job, das
war der niedrigste Oktoberwert seit 1992. Im September dieses Jahres waren
noch 3,031 Millionen Menschen als arbeitslos registriert. "Die
Arbeitslosigkeit sinkt, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und
Erwerbstätigkeit wachsen weiter kräftig, und die Nachfrage nach
Arbeitskräften ist hoch", verkündete Frank-Jürgen Weise am Donnerstag,
Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit. Am Tag zuvor hatte von
der Leyen die positive Entwicklung vorzeitig bekannt gegeben, um sich damit
zu schmücken.
Millionengrenzen haben immer etwas Magisches, wenn sie über- oder
unterschritten werden, auch wenn man dazu nur ein paar zehntausende
Arbeitslose mehr oder weniger braucht. Dennoch stellt sich die Frage, woher
es kommt, dass die düsteren Prognosen für den Arbeitsmarkt in Deutschland,
die Experten noch Anfang des Jahres im Zuge der Finanzkrise aufstellten,
nicht eintrafen. Was macht das deutsche "Jobwunder", von der
Bundesregierung bejubelt, aus? Und gibt es eine Kehrseite?
Kurzarbeit und flexible Arbeitszeitmodelle halfen, die Flaute durch die
Wirtschaftskrise zu überbrücken, ohne dass die Unternehmen Tausende von
Beschäftigten an die Luft setzten. Teure Entlassungen blockierte auch der
Kündigungsschutz, den gegenwärtig interessanterweise selbst die
schwarz-gelbe Regierung nicht mehr infrage stellt.
Zudem flexibilisieren sich die Strukturen in der Wirtschaft. Nach dem
aktuellen Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit nimmt die
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu, darunter vor allem die
Leiharbeit. Sie verzeichnete im August ein kräftiges Plus von 190.000 mehr
Stellen gegenüber dem Vorjahresmonat. Unternehmen, vor allem in der
Industrie, klopfen jetzt wieder bei den Zeitarbeitsunternehmen an, denn die
Auftragsbücher in Maschinenbau und Automobilindustrie haben sich gefüllt.
Das liegt vor allem an den Ausfuhren: Die deutschen Exporte könnten 2011
erstmals die Grenze von 1 Billion Euro knacken, verlautete aus dem
Branchenverband für den Groß- und Außenhandel. Doch die Arbeitsbedingungen
bergen für die Beschäftigten Risiken: Zeitarbeitskräfte werden schlechter
entlohnt und verlieren bei geänderter Auftragslage eher ihren Job.
Mehr Jobs zu eher wenig Geld, das trifft auch auf viele Jobs im
Gesundheits- und Sozialwesen zu. Dort gab es im August - neuere Zahlen
liegen nicht vor - im Vergleich zum Vorjahresmonat 117.000 mehr
Beschäftigte. "Der Ausbau der Kinderbetreuung und die Alterung der
Bevölkerung führen zu Stellenzuwächsen", sagt Wolfgang Braun, Sprecher des
Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. "Fachkräfte in
der Pflege werden dringend gesucht", sagt Rosemarie Derkau vom DRK
Bildungswerk Nord in Berlin.
Es gibt also Arbeit, die Frage stellt sich, welche. Ähnlich wie die
Zeitarbeit sorgen auch die Arbeits- und Entgeltbedingungen in der Pflege
für ständigen Diskussionsstoff. Denn die Beschäftigten bekommen für
verschleißende Jobs eher wenig Geld und wenig soziale Sicherheit, vor allem
für das Alter. Es könnte sein, dass sich die Entgelt- und
Arbeitsbedingungen wieder mehr zum politischen Maßstab entwickeln für
Wohlergehen als die nackten Arbeitslosenzahlen selbst.
Erwerbslose sind dabei keineswegs faul, sondern im Gegenteil
konzessionsbereiter als früher. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist
innerhalb eines Jahres um 100.000 auf 800.000 zurückgegangen. "Aus
Arbeitgeberbefragungen wissen wir, dass die Arbeitsmarktreformen dazu
beigetragen haben, auch für unattraktive Stellen wieder leichter Bewerber
zu finden", sagt Braun. Auch der demografische Wandel entlastet die
Arbeitslosenstatistik, ein Umstand, den sich die ehemalige
Familienministerin von der Leyen wohl eher nicht auf die Fahnen schreiben
dürfte.
Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind
in diesem und im nächsten Jahr aufgrund des Bevölkerungsrückgangs jeweils
200.000 weniger Bewerber auf dem Jobmarkt zu erwarten. Diese Entwicklung
setzt sich in den kommenden Jahren fort.
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) wähnt Deutschland
angesichts der vergleichsweise positiven Zahlen schon auf der
"Schnellstraße zur Vollbeschäftigung". "Auf dieser Schnellstraße sollte
Herr Brüderle vorsichtig fahren", mahnte Arbeitsagenturchef Weise am
Donnerstag. Voraussagen, sowohl gute als auch schlechte, stimmen manchmal
so wenig wie der Wetterbericht.
28 Oct 2010
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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