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# taz.de -- Drei Stücke Jelineks am Schauspiel Köln: Die Erde geht unter
> In Köln inszeniert Karin Beier unter Einsatz von viel Wasser drei Texte
> von Elfriede Jelinek, die auch den Einsturz des Stadtarchivs Köln zum
> Thema haben.
Bild: Naturkatastrophe? Fehler der ausführenden Baufirmen? Einsturzstelle des …
Es entlädt sich einiges an diesem Abend, ein ganzer Stau aus Frust und Wut
auf eine Stadt und ihre politische Verwaltung. Aber auch Wasser, das sich
gestaut hat und nun losbricht und alles mit sich reißt, vor allem das
Erdreich.
Die Kölner Schauspielchefin Karin Beier, die zuletzt im Kampf gegen den
Abriss ihres Theaters selbst den Verwaltungssumpf kennengelernt hat, hat
für ihre Inszenierung zur Spielzeiteröffnung drei Texte von Elfriede
Jelinek zusammengestellt: "Das Werk. Im Bus. Ein Sturz". Es geht ums Bauen,
um Wasser und Erde, um die Herrschenden aus Wirtschaft und Politik und um
die folgenschwere Allianz aus alledem.
"Das Werk" ist Jelineks Requiem auf den langwierigen Bau eines gigantischen
Kapruner Wasserkraftwerks in den österreichischen Alpen, hunderte Menschen
kamen dabei ums Leben, darunter in den Vierzigerjahren zahlreiche
Zwangsarbeiter. "Im Bus" erinnert an einen 1994 senkrecht in ein Münchner
U-Bahn-Bauloch gefallenen Bus, drei Menschen starben.
"Ein Sturz" schließlich hat Jelinek auf Anfrage des Kölner Schauspiels neu
geschrieben über den Einsturz des Historischen Archivs im März vergangenen
Jahres, zwei Menschen kostete er das Leben, das Gebäude samt seinen
Inhalten wurde vom Erdboden verschluckt. War das etwa eine
Naturkatastrophe? Oder vielleicht doch eher ein Fehler der ausführenden
Baufirmen? Ein Schuldeingeständnis fehlt bis heute.
In Jelineks "Werk", einer monumentalen, assoziativ mäandernden Suada,
erinnern Gestalten wie Geißenpeter und Heidi, Hänsel und Tretel oder
Schneeflöckchen, Weißröckchen in zynisch-egoistischen Monologen an die auf
dem Kampfplatz Baustelle umgekommenen Toten, bringen die Schuldfrage, die
Frage nach der Verantwortung für die Folgen der Ingenieursvisionen des
faustischen Menschen ins Spiel.
Karin Beier splittet die Figuren in der ersten Hälfte des "Werk"-Teils in
verschiedene Spieler auf, mal sprechen sie einzeln, in kurzen Momenten im
Chor. Schnell fokussiert die Regisseurin auf das Wasser als Leitmotiv des
ganzen Abends, sprachlich, ausstattungstechnisch und musikalisch. Es läuft
und läuft aus den Flaschen, die auf den zahllosen Ingenieurstischen des
ansonsten leeren schwarzen Bühnenraums (Johannes Schütz) stehen.
Instrumentalmusiker bringen düstere Klangflächen ins Spiel, Rosemary Hardy
streut Sopranfetzen ein, die die tragische Fallhöhe des Geschehens
markieren. Es ist eine groß orchestrierte Anstrengung aus Schauspiel,
Textperformance und klanglichen Untermalungen, die Beier unternimmt, und
bei der anfangs noch eine gewisse Not durchscheint, die Textmassen und
-themen irgendwie verarbeiten und verteilen zu müssen.
Doch die Regisseurin ist eine Meisterin der wirkungsvollen Setzungen, der
dynamischen Szenenwechsel. Das beweist der Arbeiterchor, den sie auf den
Plan ruft, abgetrotzt Jelineks requiemhafter Totenerinnerung. Ein immenses
Aufgebot an Stimmen, das in eindrucksvollen Tempowechseln lautmalt und
Textbrocken staccato spricht. Der Abend kommt hier, Einar Schleef lässt
grüßen, künstlerisch zu seinem Höhepunkt, entwickelt eine Bannkraft, die er
danach nicht mehr erreicht. Theatrale Form und die Kunstsprache des Textes
gehen eine kongeniale Verbindung ein.
Beier entscheidet sich mit dem anschließenden ersten U-Bahn-Bau-Stück "Im
Bus" für den nächsten Bruch. In dem Zwischenspiel lassen drei gestrandete
karnevaleske Figuren den bösen Katastrophenklamauk anklingen, der nach der
Pause, bei "Ein Sturz", die Oberhand gewinnt: Kathrin Wehlisch beschmiert
sich mit Dreck und personifiziert die "Erde", orientierungslos stolpert sie
durch einen gespenstischen Zwitterraum aus Verwaltungstrakt und
unterirdischer U-Bahn-Baustelle voller Schutt.
Auch die Regisseurin trägt jetzt dick auf. Der Tänzer Krzystof Raczkowski
taucht, blau beschmiert, als "Wasser" auf und liefert sich mit der Erde
einen furiosen, in seiner eindeutigen Symbolik allerdings kitschigen
Tanz-Lustkampf. Die Erde geht schließlich im Wasser unter - denn so war es
ja auch, sagen die Herren im Text, ihre Verantwortung verdrängend: Es war
kein baulicher Fehler, die Natur war schuld. Das Wasser schießt dazu ganz
real aus allen Rohren und Bodenvertiefungen auf die Bühne, knöcheltief
waten und fallen die sogenannten Verantwortlichen in der braunen Suppe
umher. Irgendwann regiert der reine Slapstick. Das macht anfangs
willkommenen Spaß, der dann aber, wie der Wassermasseneinsatz,
überstrapaziert wird.
Am Ende herrscht die Stille nach der Katastrophe - an einem Abend, der
trotz seiner ästhetischen Unentschiedenheit mit hoher Energie von den
Ausmaßen des Unheils erzählt, das der fortschrittshörige Mensch anzurichten
imstande ist und das die Autorin in ihren Texten mit bösem Witz beschworen
hat.
1 Nov 2010
## AUTOREN
Alexander Haas
## TAGS
Theater
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