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# taz.de -- Leipziger Centraltheater: Hartmann muss weiter kämpfen
> Sebastian Hartmann, Intendant und Regisseur am Leipziger Centraltheater,
> hat es nach verschiedenen Querelen nun auch mit drohenden Mittelkürzungen
> zu tun.
Bild: Sebastian Hartmann inszeniert trotz drohender Mittelkürzungen weiter.
Als Sebastian Hartmann vor drei Jahren als neuer Intendant des
Schauspielhauses in seine Geburtsstadt Leipzig zurückkehrte, traf das diese
Stadt wie ein Tsunami. Was fortan hier auf die Bühne kam, erinnerte
deutlich an Frank Castorfs Ostberliner Volksbühne. Obwohl die inzwischen
ermüdet wirkt und vor allem einen Nischenkult bedient, reichte Sebastian
Hartmanns längst eigenständige Spielart der Volksbühnenästhetik, um die
Leipziger Stadttheatergemütlichkeit gründlich aufzumischen.
Immerhin hatten die damals verantwortlichen Kommunalpolitiker nach 13
Jahren Intendanz von Wolfgang Engel den Mut, einen radikalen Neuanfang zu
riskieren. Und sie bekamen ihn. Dass das Neue vor allem neu ist, weil es
anders ist als das Gewohnte und Vertraute, überraschte dann aber doch
erstaunliche viele.
Neues Repertoire, jüngeres Publikum
Hartmann nannte das Schauspielhaus in Centraltheater um und veränderte auch
sonst, was nur möglich war. Er erneuerte konsequent das gesamte Repertoire.
Mangelnden Fleiß oder eine nachlassende Obsession für die Bühne kann man
ihm und seiner Truppe jedenfalls nicht vorwerfen.
Solch ein Furor irritiert immer. Viele Zuschauer bleiben erst mal weg. Doch
in seiner zweiten Spielzeit stiegen die Zuschauerzahlen wieder deutlich.
Auch der stolze Verweis darauf, dass sich der Anteil des studentischen
Publikums auf ein Viertel erhöht, also mehr als verdoppelt hat, wird selbst
in einer Repertoirevorstellung von Jürgen Kruses aktueller
"Jedermann"-Inszenierung per Augenschein bestätigt. Dieser "Jedermann" ist
übrigens nicht nur überraschend unterhaltend, sondern enthält für die
Verhältnisse dieses Regie-Paradiesvogels, der Leipzig auch schon eine
ziemlich verquaste Molière-Adaptation verpasst hatte, geradezu verblüffend
viel Hugo von Hofmannsthal!
Wenn sich bei solchen Neuanfängen wie in Leipzig Misslungenes unter
Gelungenes mischt, und wenn dann gerade erst vertraute Gesichter im
Ensemble wieder verschwinden (im letzten Sommer verließ ein halbes Dutzend
Schauspieler aus unterschiedlichen Gründen das Haus), dann kommt natürlich
an der Abendkasse, in den Leserbriefspalten oder bei den
Zuschauerkonferenzen, denen sich Hartmann schon zweimal gestellt hat, ganz
von selbst auch Gegenwind auf. Wenn dann auch noch die einzige
Regionalzeitung, wie im Sommer geschehen, einen journalistischen
Kritikertiefschlag unter die Gürtellinie leistet, dann lässt das den
42-jährigen Intendanten natürlich nicht kalt.
Existenzgefährdend ist das aber schon deshalb nicht, weil sich jeder
Zuschauer vom Gegenteil der dort behaupteten "Zersetzung" überzeugen kann.
Bedrohlicher für das Haus, seine ambitionierten Projekte und die
Nebenspielstätten sind da schon die äußeren Bedingungen.
Auch in Leipzig hat die strukturelle Schieflage der gemischten
Theaterfinanzierung in Deutschland angesichts des drohenden Kollapses der
Kommunalfinanzen einen kritischen Punkt erreicht. Wenn dann noch
atmosphärische Störungen bei politischem Personalwechsel (der amtierende
Leipziger Kulturbürgermeister Michael Faber war nicht gerade der
Wunschnachfolger der "Szene" für den gestandenen Georg Girardet)
hinzukommen und eine in (und für Dresden!) geplante Umschichtung des
finanziellen Lastenausgleiches im Freistaat Sachsen droht, dann stehen die
Zeichen wirklich auf Sturm.
Lückenbüßer Theater
Mit einer geplanten Novellierung des sächsischen "Kulturraumgesetzes" will
die Dresdner Landesregierung die Finanzierung der Landesbühnen aus dem
bisherigen kulturellen Finanzausgleich abzweigen und dessen Umfang von 86,7
auf 77,6 Millionen Euro reduzieren. Wenn dann, wie ursprünglich geplant,
die entstehende Lücke den eh schon auf dem letzten Finanzloch pfeifenden
Kommunen aufgebürdet würde, hätte Leipzig Einbußen von 2,5 Millionen Euro
abzufangen.
Dagegen wehren sich in öffentlich demonstrierter Solidarität die
Intendanten und der als Theaterfreund bekannte Oberbürgermeister Burkhard
Jung: vom offenen Brief über Demos bis hin zu einem hochkarätigen
Verfassungsrechtsgutachten. Doch selbst eine reduzierte Landesmittelkürzung
würde Gewandhaus, Oper und eben das Centraltheater empfindlich treffen.
Konzertabsagen im Gewandhaus, halbjährliche Zwangspause der Oper,
Schließung der Centraltheater Spielstätte Skala - das sind einige der im
Moment in Leipzig herumgeisternden Schlagworte für einen bisher beispiellos
drohenden kulturellen Kahlschlag.
Vor diesem Hintergrund braucht man schon ein gerütteltes Maß an Nerven und
Stehvermögen, um neben dem eskalierenden Überlebenskampf auch noch
gescheite Kunst zu machen! Doch Hartmann und sein Theater haben beides.
Denn sie sind mittlerweile (alles in allem) in Leipzig und vor allem bei
sich angekommen. Ihr Theater definiert sich weder aus der Abgrenzung zum
Vorgänger noch läuft es einem Vorbild nach. Hier wurden eigene Maßstäben
entwickelt. Und das kommt zunehmend auch an.
Selbstbewusst eröffneten diesmal zwei junge Regisseure die Spielzeit. Auch
wenn bei Martin Laberenz Schillers "Räuber" zu einer Rasselbande mutierten,
so geriet schon Robert Borgmanns Version von Bronnens "Vatermord" zu einem
originellen Beitrag zum aktuellen "Deutschland"-Motto.
Nach der "Jedermann"-Überraschung kam nun mit Thomas Manns "Zauberberg"
eine der nicht ganz unproblematischen, aber nun mal in Mode gekommenen
Romanadaptionen auf die Bühne. Als Regie-Chefsache und als Erfolg! Die aus
den 1.000 Romanseiten herausdestillierten 60 erzählen in fünf Stunden von
Hans Castorps sonderbarem Besuch auf jenem Zauberberg, der die Menschen
eigentlich gesund machen soll, aber sie doch nur in die Krankheits- und
Todessehnsucht seiner Aura hineinzieht. Zwischen den getreulich
übernommenen einleitenden Worten des Wir-Erzählers und dem Lebewohl, das
Thomas Mann seinem Helden nachruft, dem er im "Weltfest des Todes", dem
ausbrechenden Ersten Weltkrieg, nicht viel Überlebenschancen zubilligt,
erfahren wir viel über die Ausdehnung der Zeit, die im Roman eine so
zentrale Rolle spielt. Ab und zu nimmt uns der Fahnen- und Wortwitz
schwingende Wir-Erzähler (Manolo Bertling) an die Hand und hüpft ironisch
locker durch seine langen Sätze.
Es ist überhaupt, mit allen bei Hartmann unvermeidlichen
Slapstick-Nebenpfaden, eine lustvolle Kletterpartie durchs Wort- und
Gedankengebirge. Die Bühne selbst ist ein kluftiges Eisgebirge mit Schrägen
und Steilwänden, zum Abseilen und Hinaufklettern. Hier trifft Hans Castorp
(Guido Lambrecht) seinen im wahrsten Wortsinn dem Krieg entgegenfiebernden
Vetter Joachim Ziemßen (Maximilian Brauer) und den Hofrat Behrens (Matthias
Hummitzsch). Hier verliebt er sich wortreich in Madame Chauchat (Artemis
Chalkidou). Und hier duellieren sich der Humanist Settembrini (Peter René
Lüdicke) und der Zyniker Naphta (Ingolf Müller-Beck) beim Kochen, beim
Diskutieren und mit Pistolen. Mit leichter Hand und im erkennbaren Muster
grassierender TV-Moden wird dabei selbst der anspruchsvolle philosophische
Diskurs zum puren szenischen Vergnügen.
Geisterbeschwörung
Wenn die Geisterbeschwörung dann zum Menetekel für den ausbrechenden Krieg
wird, ist das Personal eigentlich schon ins Reich der Toten entflohen. Dort
sehen sie aus wie eine ramponierte Tischgesellschaft des Ancien Régime. Für
die Schlussvision des Krieges dann müssen sie sich erst wieder freibuddeln.
Denn nach einem großen Donnerschlag war diese sonderbare Gesellschaft unter
einer Lawine verschüttet. Ein gelungener Abend - nicht nur für
Thomas-Mann-Fans! Und wieder ein Stück Legitimation für dieses Theater in
schwierigen Zeiten.
9 Nov 2010
## AUTOREN
Joachim Lange
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