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# taz.de -- Anhörung im Bundestag: Neuer Zoff um Internet-Sperren
> Das BKA besteht im Kampf gegen Kinderpornographie im Netz auf
> Sperrlisten. Die halten Experten für gefährlich. Doch auch die derzeitige
> Lösch-Regelung ist rechtlich bedenklich.
Bild: Zensursula, ein Kofferwort aus "Zensur" und "Ursula" – wichtigstes Schl…
BERLIN taz | Sind Internetsperren im Kampf gegen Kinderpornos böse? Oder
braucht man sie, weil das Löschen kinderpornographischer Dateien auf
ausländischen Servern oft nicht rasch genug gelingt? Darüber gingen die
Meinungen am Mittwoch bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags
weit auseinander. Worin sich aber die meisten Sachverständigen einig waren:
Der Weg, den die Regierung derzeit geht, ist rechtlich mehr als
zweifelhaft.
Der Bundestag hatte im Juni 2009 mit den Stimmen von Union und SPD das
umstrittene "Zugangserschwerungsgesetz" beschlossen. Danach sollte das BKA
täglich eine Liste von Kinderpornoseiten an die deutschen Internetprovider
liefern, damit diese den Zugang erschweren. Bei Aufruf einer derartigen
Seite wäre nur ein Stoppschild zu sehen gewesen.
Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag erreichte die FDP, dass das Gesetz ein
Jahr lang ausgesetzt wird. Das BKA soll nun versuchen, eine Löschung an der
Quelle zu erreichen, dabei geht es vor allem um Länder wie die USA und
Russland. Bis Februar läuft eine Evaluation des Prinzips "Löschen statt
Sperren".
Bei der Anhörung am Mittwoch war man sich jedoch weitgehend einig, dass die
einjährige Aussetzung des Gesetzes durch einen Erlass des Innenministeriums
mehr als zweifelhaft ist. Von einem "verfassungsrechtlich fragwürdigen
Vorgehen", sprach Jürgen-Peter Graf, Richter am Bundesgerichtshof (BGH).
Mehrere Sachverständige sprachen sich deshalb für eine komplette Rücknahme
des Zugangserschwerungsgesetzes aus, wie es Grüne, Linkspartei und auch die
SPD nun fordern. Es sei nicht geeignet, die Zugriffe auf
kinderpornographische Dateien zu verringern, da die Sperren leicht zu
umgehen seien, sagte der Aachener Anwalt für Informationstechnologierecht
Dominik Boecker.
Zudem hätten die Erfahrungen mit ausländischen Sperrlisten gezeigt, dass
diese mitunter im Internet auftauchten - und der Staat Pädophilen so
geradezu eine Navigationshilfe an die Hand gebe. Von einer "symbolischen
Gesetzgebung" sprach Klaus Hoffmann-Holland, Kriminologe an der Freien
Universität Berlin. Andere Sachverständige verwiesen auf die Gefahr des
"Overblocking", also dass rechtmäßige Onlineinhalte versehentlich
mitgesperrt werden.
Ganz anders sah das erwartungsgemäß BKA-Vizepräsident Jürgen Maurer. Er
führte aus, dass die bisherigen Bemühungen, kinderpornographische Inhalte
löschen zu lassen, "keine befriedigenden Ergebnisse" erbracht hätten. So
seien mehr als 40 Prozent der vom BKA an die ausländischen Behörden
gemeldeten Seiten eine Woche nach Benachrichtigung noch im Netz. Sein
Fazit: Man müsse die Seiten sperren, bis die Inhalte gelöscht sind.
Unterstützung erhielt Maurer von BGH-Richter Graf. Während das Löschen bei
in Deutschland und in anderen EU-Ländern abgespeicherten Kinderpornodateien
gut funktioniere, sei dies außerhalb Europas nicht der Fall. Deshalb
brauche es nun Sperrlisten. "Verfassungsrechtliche Gründe, welche einer
Sperrung von Seiten mit kinderpornographischen Inhalten entgegenstehen
könnten, sind nicht ersichtlich", so Graf.
Einen heftigen Verriss der Netzsperren lieferte hingegen Christoph
Schnabel, Mitarbeiter beim Hamburgischen Beauftragte für Datenschutz. Er
könne Befürchtungen verstehen, dass das Gesetz später auf andere
missliebige Inhalte ausgedehnt werden könnte. Es solle "so schnell wie
möglich" aufgehoben werden, so Schnabel, und "seinen Status einnehmen als
Fußnote im Kapitel 'Fehlentwicklungen' in der Geschichte der Entwicklung
des Internet in Deutschland".
10 Nov 2010
## AUTOREN
Wolf Schmidt
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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