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# taz.de -- Ausbau der Stromnetze: Eine Leitung, tausend Einwände
> Der Ausbau der Stromleitungen ist wichtig für die Energiewende. Trotzdem
> geht er nur schleppend voran – und Fehler der Vergangenheit werden
> wiederholt.
Bild: Ungeliebt, doch notwendig: Hochspannungsmasten.
Gunnar Hemme kreuzt die schwarz karierten Hemdsärmel und beugt sich über
seinen Besprechungstisch. "Hier geht es um ein einmaliges Stück Natur",
sagt er. Landwirt Hemme, 40, ist vor elf Jahren von Niedersachsen in die
Uckermark nördlich von Berlin gekommen und hat dort, am Rande des
Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin, eine Molkerei mit 20 Mitarbeitern
aufgebaut. 500 Kühe stehen in Sichtweite. Dazwischen: Parkplätze und Feld.
Doch auf der Fläche plant die Firma 50Hertz Transmission eine
Höchstspannungsleitung, 380.000 Volt, an 50 Meter hohen Masten. Als sich
Hemme entsetzt an den Netzbetreiber wandte, hätten ihm die Mitarbeiter
geantwortet: "Dann hängen wir Ihnen die Kabel eben höher." Diese Antwort
hat Hemme nicht gefallen. Inzwischen engagiert er sich in der
Bürgerinitiative "Biosphäre unter Strom - keine Freileitung durchs
Reservat".
Die Leitung ist Teil eines gigantischen Ausbauprojekts. In den nächsten
Jahren soll Europa mit Höchstspannungsleitungen überspannt werden, um den
Strom von Skandinavien bis Spanien, von Polen bis in die Niederlande
transportieren zu können. Bisher umfasst das deutsche Höchstspannungsnetz
35.000 Kilometer.
Im Dezember wird die Deutsche Netzagentur eine Studie veröffentlichen, in
der sie den Bau von weiteren 3.500 Kilometern für notwendig erklärt. In der
ganzen Republik sollen neue Höchstspannungsleitungen gebaut oder bestehende
Hochspannungsleitungen auf die Kapazität von 380.000 Volt aufgerüstet
werden. Rund 20 Milliarden Euro wird der Umbau der Stromnetze bis 2020
kosten.
Als Grund nennen Industrie und Bundesregierung den massiven Ausbau der
erneuerbaren Energien. Er mache "im Strombereich die Planung von
Stromautobahnen erforderlich, die in einen europäischen Verbund integriert
werden", heißt es im schwarz-gelben Energiekonzept. "Wenn wir mehr
erneuerbare Energien wollen, brauchen wir neue Stromleitungen", sagt auch
Volker Kamm, Sprecher der Firma 50Hertz Transmission, die das
Höchstspannungsstromnetz in Ostdeutschland inkl. Berlin und Hamburg
betreibt.
42 Prozent der installierten Leistung aller deutschen Windanlagen stünden
in Ostdeutschland, vor allem in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und
Sachsen-Anhalt. Doch würden im Netzgebiet von 50Hertz nur 18 Prozent des
Stromes verbraucht. "Im Norden und Osten wird Strom produziert, im Westen
und Süden gebraucht", sagt Kamm.
Obwohl ein vordringliches politisches Ziel, verläuft der Ausbau des
Stromnetzes stockend. In ihrer ersten Netzstudie von 2005 hatte die
Energie-Agentur einen Ausbaubedarf von 850 Kilometern vorhergesagt -
realisiert werden konnten bislang nur rund 90 Kilometer. Der Ausbau
scheitert an der Langwierigkeit der Planung und dem Widerstand entlang der
Trassen.
Er sei nicht gegen erneuerbare Energien, betont Gunnar Hemme. Er wehrt sich
gegen den Vorwurf, den Hügel hinter seinem Haus zu schützen und dadurch die
Energiewende zu verhindern. Die Erneuerbaren würden doch nur vorgeschoben.
Der festgestellte Bedarf sei Ausdruck der "völlig unklaren Energiepolitik",
pflichtet ihm Thorben Becker vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND)
bei. Wer die Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängere, neue
Kohlekraftwerke plane, die Erneuerbaren ausbaue und den europäischen
Stromhandel intensivieren wolle, der brauche in der Tat neue Leitungen,
lästert Becker.
So haben sich entlang aller geplanten Netzausbaustrecken Dutzende von
Bürgerinitiativen gebildet. Tausende von Einwendungen von Bürgern bei den
zuständigen Behörden verzögern die Planungen, Klagen drohen. Die Bewohner
fürchten die elektromagnetische Strahlung, die Zerstörung des
Landschaftsbildes und die tödliche Falle, die Stromleitungen für Vögel
darstellen können.
Peter Ahmels kennt diese Sorgen, die Argumente der Leitungsgegner nimmt er
ernst. Bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) leitet er das Projekt "Forum
Netzintegration". Gefördert vom Bundesumweltministerium, versucht die
Umwelthilfe den Konflikt zwischen Bürgerinitiativen, Wirtschaftsverbänden,
Energieerzeugern und Parteien zu moderieren.
Natürlich werde zunächst auch Strom aus Kohle und AKWs durch die Leitungen
fließen, das sei gar nicht anders machbar. Langfristig gesehen werde der
Strom aber zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen, sagt Ahmels.
Die Strommengen, die Wind, Sonne, Wasser und Biogas erzeugten, würden
variieren; zu unterschiedlichen Zeiten werde an unterschiedlichen Orten
Strom produziert.
So wird der Strom an einem sonnigen Sommertag von Südeuropa in den Norden
geleitet, an einem stürmischen Herbsttag von Skandinavien in den Süden.
"Wir werden einen europäischen Verbund von Stromautobahnen brauchen", sagt
Ahmels. Doch er ist überzeugt, dass der Netzausbau nur mit den Menschen
entlang der Trassen vorangetrieben werden kann, nicht gegen sie.
Im November soll die einjährige Diskussion des Forums in ein gemeinsames
Papier münden, das Vorschläge für einen verträglichen Netzausbau
unterbreitet. Es gebe "zahlreiche technische Möglichkeiten, mit denen
Naturschützer beruhigt werden können", sagt Ahmels.
Die Seile könnten so gespannt werden, dass tödliche Zusammenstöße mit
Vögeln verringert oder vermieden würden. Und wo es möglich sei, müsse die
teure Erdverkabelung erwägt werden.
Auf die unterirdisch verlegten Kabel verweist auch das Bundesamt für
Strahlenschutz in Salzgitter. Zur Sicherheit sollten Leitungen nicht durch
Wohngebiete führen. Wo dies nicht möglich sei, sollten die Leitungen
baulich so verändert werden, dass die elektromagnetische Strahlung die
Anwohner nicht gefährde. Und im Zweifel müssten die Kabel eben unter die
Erde.
Ökologisch sei das nicht unbedingt die bessere Alternative, sagt Kamm von
50Hertz. "Höchstspannungsleitungen werden sehr heiß und erwärmen den
Boden", weiß er. Der Eingriff in den Wasser- und Bodenhaushalt sei
erheblich. Vor allem aber an den Preisen dürfte sich der Netzbetreiber
stoßen.
Zwischen 3- und 15-mal so viel wie eine Freileitung kostet es, ein Kabel
unterirdisch zu verlegen. Und diese Zusatzkosten hätten die Netznutzer über
höhere Netzentgelte zu finanzieren. Nur vier Pilotprojekte benennt der
Gesetzgeber, bei allen anderen Strecken sei eine unterirdische Verlegung
gar nicht möglich.
Das wollen die Grünen im Land Brandenburg ändern. Sie haben ein
Erdkabelgesetz in den Landtag eingebracht, das den Bau unterirdischer
Leitungen erleichtern würde. Obwohl der Bund zuständig und ein dessen
Gesetzen widersprechendes Landesgesetz gar nicht möglich ist, "hat das
Gesetz in den anderen Parteien überraschend viele Freunde gefunden", heißt
es aus der Fraktion.
Die Grünen haben ihren Entwurf an das niedersächsische Erdkabelgesetz
angelehnt; dieses gilt nicht mehr, seit der Bund im vergangenen Jahr ein
eigenes Gesetz zum Ausbau des Netzes beschlossen hat. Bei der Deutschen
Umwelthilfe gilt es aber noch immer als vorbildlich, weil es
Kompromisslösungen ermöglicht. Es sieht vor, dass Stromleitungen nicht
näher als 400 Meter an Wohnbebauung vorbeiführen dürfen und sensible
Strecken erdverkabelt werden können.
Allerdings: "Die Genehmigungsbehörde kann dem Trassenverlauf des
Unternehmens nur zustimmen oder sie ablehnen", kritisiert Ahmels. Es sei
aber wichtig, Kommunen und Bevölkerung schon in die Planung der Trasse
einzubeziehen.
"Beim Bau neuer Stromtrassen muss aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt
werden", schreibt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in seinem
Jahresbericht und spielt damit auf die Debatten über
Gesundheitsgefährdungen durch Mobilfunkmasten an. Zwar beruhigt das BfS,
die elektromagnetische Strahlung sei direkt unterhalb der Leitungen am
stärksten und falle danach steil ab.
Durch die elektromagnetischen Felder seien keine
Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten. Doch generell sollten
"Stromtrassen aus Sicht des Strahlenschutzes so geplant werden, dass sie
möglichst nicht zu einer zusätzlichen Strahlenbelastung führen".
Für die Uckermarkleitung läuft die Planfeststellung bereits, vor Kurzem ist
die Frist abgelaufen, vor der Betroffene Einwände vorbringen konnten.
Molkereibesitzer Hemme wartet auf die Entscheidung des zuständigen
Landesamts für Bergbau in Cottbus. Die Mitarbeiter dort müssen sich durch
die 1.233 Einwendungen von 19 Kommunen und 73 Trägern öffentlicher Belange
- also Abwasserzweckverbänden, Vereinen oder Umweltverbänden - arbeiten,
die eingereicht wurden.
Hemme ist skeptisch. Bislang habe das Amt weder eine öffentliche Anhörung
durchgeführt noch an einer von der Bürgerinitiative organisierten
teilgenommen. Trotzdem ist er sich sicher, dass die Gegner die
Uckermarkleitung, so wie sie jetzt geplant ist, verhindern können. "Die
hätten sich eine andere Strecke aussuchen sollen", sagt Hemme.
Klageberechtigte Personen stünden schon bereit.
11 Nov 2010
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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